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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830.

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zes Gebürge, und am Fuß desselben einen unermeß-
lichen See zu erblicken. Es dauerte lange, ehe ich
mich überzeugen konnte, daß ich nur eine optische
Täuschung, durch Nebel und verschiedene Wolken-
schichten gebildet, vor mir hatte. Der obere Himmel
war nämlich lichtgrau und ohne Schattirung, gegen
ihn aber lag eine ganz schwarze Wolken-Masse in
Form des wildesten Gebirges, deren obere Linie,
kühn gezeichnet, vielfach auf und nieder stieg, wah-
rend die untere durch eine Nebelschicht völlig horizon-
tal abgeschnitten war. Dieser Nebel nun schien ein
auf beiden Seiten unabsehbares silberweißes Wasser-
becken zu bilden, und da an ihm, unmittelbar zu
meinen Füßen, sich der grüne Vorgrund, ein bewal-
detes, sonniges Wiesenland anschloß, so erreichte die
Täuschung wirklich einen seltenen Grad! Nur nach
und nach, wie ich den Berg herabfuhr, verschwand
das zauberartige Bild in der Lust. Die schönste
Wirklichkeit erwartete mich dagegen heute früh in
Wales. Der Traum der Wolken schien mir im vor-
aus die Herrlichkeit des Thales von Llangollen ver-
künden haben zu wollen, eine Gegend die nach mei-
nem Geschmack alle Schönheiten der Rheinländer
weit übertrifft, und dabei eine ganz besondere Origi-
nalität in den ungewöhnlich geformten Spitzen und
jähen Abhängen der Berge ausspricht. Ein reißen-
der Fluß, die Dee, windet sich in tausend fantasti-
schen Krümmungen, die dichtes Laubholz überschat-
tet, durch den Wiesengrund, woraus schroff auf bei-
den Seiten hohe Berge empor steigen, die bald mit

zes Gebürge, und am Fuß deſſelben einen unermeß-
lichen See zu erblicken. Es dauerte lange, ehe ich
mich überzeugen konnte, daß ich nur eine optiſche
Täuſchung, durch Nebel und verſchiedene Wolken-
ſchichten gebildet, vor mir hatte. Der obere Himmel
war nämlich lichtgrau und ohne Schattirung, gegen
ihn aber lag eine ganz ſchwarze Wolken-Maſſe in
Form des wildeſten Gebirges, deren obere Linie,
kühn gezeichnet, vielfach auf und nieder ſtieg, wah-
rend die untere durch eine Nebelſchicht völlig horizon-
tal abgeſchnitten war. Dieſer Nebel nun ſchien ein
auf beiden Seiten unabſehbares ſilberweißes Waſſer-
becken zu bilden, und da an ihm, unmittelbar zu
meinen Füßen, ſich der grüne Vorgrund, ein bewal-
detes, ſonniges Wieſenland anſchloß, ſo erreichte die
Täuſchung wirklich einen ſeltenen Grad! Nur nach
und nach, wie ich den Berg herabfuhr, verſchwand
das zauberartige Bild in der Luſt. Die ſchönſte
Wirklichkeit erwartete mich dagegen heute früh in
Wales. Der Traum der Wolken ſchien mir im vor-
aus die Herrlichkeit des Thales von Llangollen ver-
künden haben zu wollen, eine Gegend die nach mei-
nem Geſchmack alle Schönheiten der Rheinländer
weit übertrifft, und dabei eine ganz beſondere Origi-
nalität in den ungewöhnlich geformten Spitzen und
jähen Abhängen der Berge ausſpricht. Ein reißen-
der Fluß, die Dee, windet ſich in tauſend fantaſti-
ſchen Krümmungen, die dichtes Laubholz überſchat-
tet, durch den Wieſengrund, woraus ſchroff auf bei-
den Seiten hohe Berge empor ſteigen, die bald mit

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[15/0039] zes Gebürge, und am Fuß deſſelben einen unermeß- lichen See zu erblicken. Es dauerte lange, ehe ich mich überzeugen konnte, daß ich nur eine optiſche Täuſchung, durch Nebel und verſchiedene Wolken- ſchichten gebildet, vor mir hatte. Der obere Himmel war nämlich lichtgrau und ohne Schattirung, gegen ihn aber lag eine ganz ſchwarze Wolken-Maſſe in Form des wildeſten Gebirges, deren obere Linie, kühn gezeichnet, vielfach auf und nieder ſtieg, wah- rend die untere durch eine Nebelſchicht völlig horizon- tal abgeſchnitten war. Dieſer Nebel nun ſchien ein auf beiden Seiten unabſehbares ſilberweißes Waſſer- becken zu bilden, und da an ihm, unmittelbar zu meinen Füßen, ſich der grüne Vorgrund, ein bewal- detes, ſonniges Wieſenland anſchloß, ſo erreichte die Täuſchung wirklich einen ſeltenen Grad! Nur nach und nach, wie ich den Berg herabfuhr, verſchwand das zauberartige Bild in der Luſt. Die ſchönſte Wirklichkeit erwartete mich dagegen heute früh in Wales. Der Traum der Wolken ſchien mir im vor- aus die Herrlichkeit des Thales von Llangollen ver- künden haben zu wollen, eine Gegend die nach mei- nem Geſchmack alle Schönheiten der Rheinländer weit übertrifft, und dabei eine ganz beſondere Origi- nalität in den ungewöhnlich geformten Spitzen und jähen Abhängen der Berge ausſpricht. Ein reißen- der Fluß, die Dee, windet ſich in tauſend fantaſti- ſchen Krümmungen, die dichtes Laubholz überſchat- tet, durch den Wieſengrund, woraus ſchroff auf bei- den Seiten hohe Berge empor ſteigen, die bald mit

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/39>, abgerufen am 29.03.2024.