glatt wie Marmor, ohne Fugen und Unebenheit, andere bilden spitze Pyramiden, oder lange fortlau- fende Mauern. In dem Thalgrunde glänzten ein- zelne Lichter, und ein leiser Wind bewegte die Kro- nen hoher Eichen, Eschen und Birken, mit schönem Holly untermischt, dessen hochrothe Beeren selbst im Mondlicht sichtbar wurden. Die prächtige Bay aber schimmerte, von den zitternden Mondesstrahlen durch- webt, schon in der Nähe, und ich glaubte mich wirklich im Paradiese, als ich kurz darauf ihre Ufer erreichte, und mich an der Thür des freundlichsten Gasthauses glücklich angelangt fand. So heiter die- ses aber auch aussah -- in ihm war dennoch Trauer! Wirth und Wirthin, sehr anständige Leute, kamen mir, in tiefes Schwarz gekleidet, entgegen. Die Schwester der Frau, so erzählten sie mir, auf meine Frage, das schönste Mädchen in Kerry, nur 18 Jahr alt, und bisher das Bild der Gesundheit, war erst gestern an einem Gehirnfieber, oder vielmehr an der Unwissenheit des Dorfarztes, verschieden -- in der achttägigen Krankheit aber, wie die arme Frau weinend hinzusetzte, zu 40 Jahren gealtert, so daß Niemand den Leichnam des blühenden Mäd- chens mehr erkennen wolle, diese holden Züge, welche noch vor so kurzer Zeit der Stolz ihrer Eltern und die Bewunderung aller jungen Männer der Umge- gend waren.
Sie ruht neben meiner Schlafstube, gute Julie, nur durch eine Bretterwand von mir geschieden.
glatt wie Marmor, ohne Fugen und Unebenheit, andere bilden ſpitze Pyramiden, oder lange fortlau- fende Mauern. In dem Thalgrunde glänzten ein- zelne Lichter, und ein leiſer Wind bewegte die Kro- nen hoher Eichen, Eſchen und Birken, mit ſchönem Holly untermiſcht, deſſen hochrothe Beeren ſelbſt im Mondlicht ſichtbar wurden. Die prächtige Bay aber ſchimmerte, von den zitternden Mondesſtrahlen durch- webt, ſchon in der Nähe, und ich glaubte mich wirklich im Paradieſe, als ich kurz darauf ihre Ufer erreichte, und mich an der Thür des freundlichſten Gaſthauſes glücklich angelangt fand. So heiter die- ſes aber auch ausſah — in ihm war dennoch Trauer! Wirth und Wirthin, ſehr anſtändige Leute, kamen mir, in tiefes Schwarz gekleidet, entgegen. Die Schweſter der Frau, ſo erzählten ſie mir, auf meine Frage, das ſchönſte Mädchen in Kerry, nur 18 Jahr alt, und bisher das Bild der Geſundheit, war erſt geſtern an einem Gehirnfieber, oder vielmehr an der Unwiſſenheit des Dorfarztes, verſchieden — in der achttägigen Krankheit aber, wie die arme Frau weinend hinzuſetzte, zu 40 Jahren gealtert, ſo daß Niemand den Leichnam des blühenden Mäd- chens mehr erkennen wolle, dieſe holden Züge, welche noch vor ſo kurzer Zeit der Stolz ihrer Eltern und die Bewunderung aller jungen Männer der Umge- gend waren.
Sie ruht neben meiner Schlafſtube, gute Julie, nur durch eine Bretterwand von mir geſchieden.
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zelne Lichter, und ein leiſer Wind bewegte die Kro-
nen hoher Eichen, Eſchen und Birken, mit ſchönem
Holly untermiſcht, deſſen hochrothe Beeren ſelbſt im
Mondlicht ſichtbar wurden. Die prächtige Bay aber
ſchimmerte, von den zitternden Mondesſtrahlen durch-
webt, ſchon in der Nähe, und ich glaubte mich
wirklich im Paradieſe, als ich kurz darauf ihre Ufer
erreichte, und mich an der Thür des freundlichſten
Gaſthauſes glücklich angelangt fand. So heiter die-
ſes aber auch ausſah — in ihm war dennoch Trauer!
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mir, in tiefes Schwarz gekleidet, entgegen. Die
Schweſter der Frau, ſo erzählten ſie mir, auf meine
Frage, das ſchönſte Mädchen in Kerry, nur 18
Jahr alt, und bisher das Bild der Geſundheit, war
erſt geſtern an einem Gehirnfieber, oder vielmehr
an der Unwiſſenheit des Dorfarztes, verſchieden —
in der achttägigen Krankheit aber, wie die arme
Frau weinend hinzuſetzte, zu 40 Jahren gealtert,
ſo daß Niemand den Leichnam des blühenden Mäd-
chens mehr erkennen wolle, dieſe holden Züge, welche
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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830, S. 313. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/337>, abgerufen am 05.12.2024.
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