Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830.

Bild:
<< vorherige Seite

Als wir die Kirche verließen, um den Felsen am
Shannon zu besehen, auf dem der Traktat von Lim-
merick mit den Engländern, nach der Schlacht von
Boyne, unterzeichnet, aber von diesen nicht zum Be-
sten gehalten wurde -- hatte sich ein ungeheures Ge-
folge von Volk um uns versammelt, das wie eine
Lawine noch immer mehr anwuchs, uns aber mit
eben so viel Bescheidenheit als Enthusiasmus folgte.
Plötzlich rief man: "Es lebe Napoleon und Mar-
schall ......!"

Mein Gott, frug ich, für wen hält man mich denn
eigentlich hier? als ganz anspruchsloser Fremder be-
greife ich gar nicht, weshalb man mir so viel Ehre
anzuthun scheint. War Ihr Herr Vater, erwiederte
O'Connel, nicht der Fürst von ...? Nichts weniger,
versicherte ich, mein Vater war zwar ein etwas älte-
rer Edelmann, aber lange nicht so berühmt. Dann
müssen Sie verzeihen, fuhr Herr O'Connel ungläubig
fort, aufrichtig gesagt, hält man Sie für einen na-
türlichen Sohn Napoleons, da dessen Vorliebe für
Ihre Frau Mutter bekannt ist. Sie scherzen, sagte
ich lachend, ich bin wenigstens zehn Jahr zu alt, um
der Sohn des großen Kaisers und der schönen Für-
stin zu seyn. Er schüttelte aber mit dem Kopf, und
unter wiederholtem Vivatrufen erreichte ich endlich
meine Wohnung, die ich von nun an verschloß, und
heute nicht mehr verließ. Das Volk nahm aber ge-
duldig Posto vor meinen Fenstern und zerstreute sich
erst mit einbrechender Dunkelheit.


Als wir die Kirche verließen, um den Felſen am
Shannon zu beſehen, auf dem der Traktat von Lim-
merick mit den Engländern, nach der Schlacht von
Boyne, unterzeichnet, aber von dieſen nicht zum Be-
ſten gehalten wurde — hatte ſich ein ungeheures Ge-
folge von Volk um uns verſammelt, das wie eine
Lawine noch immer mehr anwuchs, uns aber mit
eben ſo viel Beſcheidenheit als Enthuſiasmus folgte.
Plötzlich rief man: „Es lebe Napoleon und Mar-
ſchall ......!“

Mein Gott, frug ich, für wen hält man mich denn
eigentlich hier? als ganz anſpruchsloſer Fremder be-
greife ich gar nicht, weshalb man mir ſo viel Ehre
anzuthun ſcheint. War Ihr Herr Vater, erwiederte
O’Connel, nicht der Fürſt von …? Nichts weniger,
verſicherte ich, mein Vater war zwar ein etwas älte-
rer Edelmann, aber lange nicht ſo berühmt. Dann
müſſen Sie verzeihen, fuhr Herr O’Connel ungläubig
fort, aufrichtig geſagt, hält man Sie für einen na-
türlichen Sohn Napoleons, da deſſen Vorliebe für
Ihre Frau Mutter bekannt iſt. Sie ſcherzen, ſagte
ich lachend, ich bin wenigſtens zehn Jahr zu alt, um
der Sohn des großen Kaiſers und der ſchönen Für-
ſtin zu ſeyn. Er ſchüttelte aber mit dem Kopf, und
unter wiederholtem Vivatrufen erreichte ich endlich
meine Wohnung, die ich von nun an verſchloß, und
heute nicht mehr verließ. Das Volk nahm aber ge-
duldig Poſto vor meinen Fenſtern und zerſtreute ſich
erſt mit einbrechender Dunkelheit.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0311" n="287"/>
          <p>Als wir die Kirche verließen, um den Fel&#x017F;en am<lb/>
Shannon zu be&#x017F;ehen, auf dem der Traktat von Lim-<lb/>
merick mit den Engländern, nach der Schlacht von<lb/>
Boyne, unterzeichnet, aber von die&#x017F;en nicht zum Be-<lb/>
&#x017F;ten gehalten wurde &#x2014; hatte &#x017F;ich ein ungeheures Ge-<lb/>
folge von Volk um uns ver&#x017F;ammelt, das wie eine<lb/>
Lawine noch immer mehr anwuchs, uns aber mit<lb/>
eben &#x017F;o viel Be&#x017F;cheidenheit als Enthu&#x017F;iasmus folgte.<lb/>
Plötzlich rief man: &#x201E;Es lebe Napoleon und Mar-<lb/>
&#x017F;chall ......!&#x201C;</p><lb/>
          <p>Mein Gott, frug ich, für wen hält man mich denn<lb/>
eigentlich hier? als ganz an&#x017F;pruchslo&#x017F;er Fremder be-<lb/>
greife ich gar nicht, weshalb man mir &#x017F;o viel Ehre<lb/>
anzuthun &#x017F;cheint. War Ihr Herr Vater, erwiederte<lb/>
O&#x2019;Connel, nicht der Für&#x017F;t von &#x2026;? Nichts weniger,<lb/>
ver&#x017F;icherte ich, mein Vater war zwar ein etwas älte-<lb/>
rer Edelmann, aber lange nicht &#x017F;o berühmt. Dann<lb/>&#x017F;&#x017F;en Sie verzeihen, fuhr Herr O&#x2019;Connel ungläubig<lb/>
fort, aufrichtig ge&#x017F;agt, hält man Sie für einen na-<lb/>
türlichen Sohn Napoleons, da de&#x017F;&#x017F;en Vorliebe für<lb/>
Ihre Frau Mutter bekannt i&#x017F;t. Sie &#x017F;cherzen, &#x017F;agte<lb/>
ich lachend, ich bin wenig&#x017F;tens zehn Jahr zu alt, um<lb/>
der Sohn des großen Kai&#x017F;ers und der &#x017F;chönen Für-<lb/>
&#x017F;tin zu &#x017F;eyn. Er &#x017F;chüttelte aber mit dem Kopf, und<lb/>
unter wiederholtem Vivatrufen erreichte ich endlich<lb/>
meine Wohnung, die ich von nun an ver&#x017F;chloß, und<lb/>
heute nicht mehr verließ. Das Volk nahm aber ge-<lb/>
duldig Po&#x017F;to vor meinen Fen&#x017F;tern und zer&#x017F;treute &#x017F;ich<lb/>
er&#x017F;t mit einbrechender Dunkelheit.</p>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[287/0311] Als wir die Kirche verließen, um den Felſen am Shannon zu beſehen, auf dem der Traktat von Lim- merick mit den Engländern, nach der Schlacht von Boyne, unterzeichnet, aber von dieſen nicht zum Be- ſten gehalten wurde — hatte ſich ein ungeheures Ge- folge von Volk um uns verſammelt, das wie eine Lawine noch immer mehr anwuchs, uns aber mit eben ſo viel Beſcheidenheit als Enthuſiasmus folgte. Plötzlich rief man: „Es lebe Napoleon und Mar- ſchall ......!“ Mein Gott, frug ich, für wen hält man mich denn eigentlich hier? als ganz anſpruchsloſer Fremder be- greife ich gar nicht, weshalb man mir ſo viel Ehre anzuthun ſcheint. War Ihr Herr Vater, erwiederte O’Connel, nicht der Fürſt von …? Nichts weniger, verſicherte ich, mein Vater war zwar ein etwas älte- rer Edelmann, aber lange nicht ſo berühmt. Dann müſſen Sie verzeihen, fuhr Herr O’Connel ungläubig fort, aufrichtig geſagt, hält man Sie für einen na- türlichen Sohn Napoleons, da deſſen Vorliebe für Ihre Frau Mutter bekannt iſt. Sie ſcherzen, ſagte ich lachend, ich bin wenigſtens zehn Jahr zu alt, um der Sohn des großen Kaiſers und der ſchönen Für- ſtin zu ſeyn. Er ſchüttelte aber mit dem Kopf, und unter wiederholtem Vivatrufen erreichte ich endlich meine Wohnung, die ich von nun an verſchloß, und heute nicht mehr verließ. Das Volk nahm aber ge- duldig Poſto vor meinen Fenſtern und zerſtreute ſich erſt mit einbrechender Dunkelheit.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/311
Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830, S. 287. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/311>, abgerufen am 03.12.2024.