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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830.

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ten, so daß mir der kalte Wind sehr beschwerlich
wurde. Ich bot also dem Kutscher ein Trinkgeld,
für Ueberlassung seines Mantels. Dieser erschien aber
bei näherer Besichtigung so furchtbar schmutzig und
eckelhaft, daß ich mich nicht entschließen konnte, mich
desselben zu bedienen. Sogleich zog der junge Mann
seinen stattlichen, weiten Reiseüberrock aus, und
zwang mich beinah ihn umzunehmen, indem er mit
dem größten Eifer versicherte, daß er sich nie verkälte,
und die Nacht im Wasser schlafen könne, wenn es
seyn müsse -- den Ueberrock selbst aber nur angezo-
gen, weil er nicht gewußt wo er ihn lassen solle. Wir
wurden, durch diese freundliche Hülfe von seiner
Seite, schnell bekannter, als es sonst wohl der Fall
gewesen wäre, und die Zeit verging uns, unter man-
cherlei Geplauder, weit geschwinder, als ich hoffen
durfte -- denn die Distanz war sechs deutsche Mei-
len, der Weg sehr holpricht, die Equipage die schlech-
teste, der Sitz unbequem, die Gegend einförmig und
kahl. Kein Hügel, kein Baum, nur ein Netz von
Mauern über das Ganze gezogen. Jedes Feld ist
auf diese Art eingefaßt, die Mauern nur von Feld-
steinen, ohne Kalk, aufgesetzt, aber doch so, daß sie
sich, ohne gewaltsames Einstoßen, gut halten können.
Viele Ruinen alter Schlösser, wurden zwar auch in
dieser Gegend sichtbar, konnten aber in so flacher,
öder Flur, ohne auch nur einen unterbrechenden
Strauch, keinen romantischen Effect hervorbringen.
Ueberall aber fanden wir das zerlumpte, Kartoffeln-
essende Volk gleich lustig und vergnügt. Es bettelt

ten, ſo daß mir der kalte Wind ſehr beſchwerlich
wurde. Ich bot alſo dem Kutſcher ein Trinkgeld,
für Ueberlaſſung ſeines Mantels. Dieſer erſchien aber
bei näherer Beſichtigung ſo furchtbar ſchmutzig und
eckelhaft, daß ich mich nicht entſchließen konnte, mich
deſſelben zu bedienen. Sogleich zog der junge Mann
ſeinen ſtattlichen, weiten Reiſeüberrock aus, und
zwang mich beinah ihn umzunehmen, indem er mit
dem größten Eifer verſicherte, daß er ſich nie verkälte,
und die Nacht im Waſſer ſchlafen könne, wenn es
ſeyn müſſe — den Ueberrock ſelbſt aber nur angezo-
gen, weil er nicht gewußt wo er ihn laſſen ſolle. Wir
wurden, durch dieſe freundliche Hülfe von ſeiner
Seite, ſchnell bekannter, als es ſonſt wohl der Fall
geweſen wäre, und die Zeit verging uns, unter man-
cherlei Geplauder, weit geſchwinder, als ich hoffen
durfte — denn die Diſtanz war ſechs deutſche Mei-
len, der Weg ſehr holpricht, die Equipage die ſchlech-
teſte, der Sitz unbequem, die Gegend einförmig und
kahl. Kein Hügel, kein Baum, nur ein Netz von
Mauern über das Ganze gezogen. Jedes Feld iſt
auf dieſe Art eingefaßt, die Mauern nur von Feld-
ſteinen, ohne Kalk, aufgeſetzt, aber doch ſo, daß ſie
ſich, ohne gewaltſames Einſtoßen, gut halten können.
Viele Ruinen alter Schlöſſer, wurden zwar auch in
dieſer Gegend ſichtbar, konnten aber in ſo flacher,
öder Flur, ohne auch nur einen unterbrechenden
Strauch, keinen romantiſchen Effect hervorbringen.
Ueberall aber fanden wir das zerlumpte, Kartoffeln-
eſſende Volk gleich luſtig und vergnügt. Es bettelt

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[265/0289] ten, ſo daß mir der kalte Wind ſehr beſchwerlich wurde. Ich bot alſo dem Kutſcher ein Trinkgeld, für Ueberlaſſung ſeines Mantels. Dieſer erſchien aber bei näherer Beſichtigung ſo furchtbar ſchmutzig und eckelhaft, daß ich mich nicht entſchließen konnte, mich deſſelben zu bedienen. Sogleich zog der junge Mann ſeinen ſtattlichen, weiten Reiſeüberrock aus, und zwang mich beinah ihn umzunehmen, indem er mit dem größten Eifer verſicherte, daß er ſich nie verkälte, und die Nacht im Waſſer ſchlafen könne, wenn es ſeyn müſſe — den Ueberrock ſelbſt aber nur angezo- gen, weil er nicht gewußt wo er ihn laſſen ſolle. Wir wurden, durch dieſe freundliche Hülfe von ſeiner Seite, ſchnell bekannter, als es ſonſt wohl der Fall geweſen wäre, und die Zeit verging uns, unter man- cherlei Geplauder, weit geſchwinder, als ich hoffen durfte — denn die Diſtanz war ſechs deutſche Mei- len, der Weg ſehr holpricht, die Equipage die ſchlech- teſte, der Sitz unbequem, die Gegend einförmig und kahl. Kein Hügel, kein Baum, nur ein Netz von Mauern über das Ganze gezogen. Jedes Feld iſt auf dieſe Art eingefaßt, die Mauern nur von Feld- ſteinen, ohne Kalk, aufgeſetzt, aber doch ſo, daß ſie ſich, ohne gewaltſames Einſtoßen, gut halten können. Viele Ruinen alter Schlöſſer, wurden zwar auch in dieſer Gegend ſichtbar, konnten aber in ſo flacher, öder Flur, ohne auch nur einen unterbrechenden Strauch, keinen romantiſchen Effect hervorbringen. Ueberall aber fanden wir das zerlumpte, Kartoffeln- eſſende Volk gleich luſtig und vergnügt. Es bettelt

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830, S. 265. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/289>, abgerufen am 25.11.2024.