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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830.

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Der englische protestantische Gottesdienst ist von dem
unsrigen sehr verschieden, und ein sonderbares Ge-
misch katholischer Ceremonien und reformirter Ein-
fachheit. Bilder an der Wand werden nicht geduldet,
wohl aber an den Fenstern; die Tracht der Priester,
selbst des Erzbischofs, besteht blos aus einem weißen
Chorhemde, dagegen der Sitz des letztern wie ein
Thron gebaut, mit violettem Samt ausgeschlagen,
und durch eine Erzbischofs-Krone geschmückt, der
Kanzel prunkend gegenüber steht. Die Predigt wird
abgelesen, und dauert sehr lang. Am ermüdendsten
ist aber, vor und nachher, die endlose Herlesung
veralteter, zum Theil sich ganz widersprechender Ge-
bete, deren Refrain zuweilen, vom Chor aus, sin-
gend wiederholt wird, und an denen man einen
wahren Cursus der englischen Geschichte machen
kann. Heinrich des Achten Kirchen-Revolution, Eli-
sabeth's Politik, und Cromwell's puritanische Ueber-
treibungen, reichen sich durcheinander die Hand,
während gewisse Lieblingsphrasen alle Augenblicke
wiederholt werden, worunter manche Stelle mehr
kriechende Sklaven, die sich vor einem Tyrannen des
Südens in den Staub werfen, charakterisiren, als
der christlichen Würde gemäß sind. Man hatte
sonderbarerweise das Evangelium, die Austreibung
der bösen Geister in eine Heerde Schweine betreffend,
gewählt, und nachdem dies eine Stunde lang aus-
einander gesetzt war, wurden die vier Priester ordi-
nirt. Der alte Erzbischof, welcher den Ruf strenger
Orthodoxie hat, besaß viel Anstand, und eine schöne

Der engliſche proteſtantiſche Gottesdienſt iſt von dem
unſrigen ſehr verſchieden, und ein ſonderbares Ge-
miſch katholiſcher Ceremonien und reformirter Ein-
fachheit. Bilder an der Wand werden nicht geduldet,
wohl aber an den Fenſtern; die Tracht der Prieſter,
ſelbſt des Erzbiſchofs, beſteht blos aus einem weißen
Chorhemde, dagegen der Sitz des letztern wie ein
Thron gebaut, mit violettem Samt ausgeſchlagen,
und durch eine Erzbiſchofs-Krone geſchmückt, der
Kanzel prunkend gegenüber ſteht. Die Predigt wird
abgeleſen, und dauert ſehr lang. Am ermüdendſten
iſt aber, vor und nachher, die endloſe Herleſung
veralteter, zum Theil ſich ganz widerſprechender Ge-
bete, deren Refrain zuweilen, vom Chor aus, ſin-
gend wiederholt wird, und an denen man einen
wahren Curſus der engliſchen Geſchichte machen
kann. Heinrich des Achten Kirchen-Revolution, Eli-
ſabeth’s Politik, und Cromwell’s puritaniſche Ueber-
treibungen, reichen ſich durcheinander die Hand,
während gewiſſe Lieblingsphraſen alle Augenblicke
wiederholt werden, worunter manche Stelle mehr
kriechende Sklaven, die ſich vor einem Tyrannen des
Südens in den Staub werfen, charakteriſiren, als
der chriſtlichen Würde gemäß ſind. Man hatte
ſonderbarerweiſe das Evangelium, die Austreibung
der böſen Geiſter in eine Heerde Schweine betreffend,
gewählt, und nachdem dies eine Stunde lang aus-
einander geſetzt war, wurden die vier Prieſter ordi-
nirt. Der alte Erzbiſchof, welcher den Ruf ſtrenger
Orthodoxie hat, beſaß viel Anſtand, und eine ſchöne

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[222/0246] Der engliſche proteſtantiſche Gottesdienſt iſt von dem unſrigen ſehr verſchieden, und ein ſonderbares Ge- miſch katholiſcher Ceremonien und reformirter Ein- fachheit. Bilder an der Wand werden nicht geduldet, wohl aber an den Fenſtern; die Tracht der Prieſter, ſelbſt des Erzbiſchofs, beſteht blos aus einem weißen Chorhemde, dagegen der Sitz des letztern wie ein Thron gebaut, mit violettem Samt ausgeſchlagen, und durch eine Erzbiſchofs-Krone geſchmückt, der Kanzel prunkend gegenüber ſteht. Die Predigt wird abgeleſen, und dauert ſehr lang. Am ermüdendſten iſt aber, vor und nachher, die endloſe Herleſung veralteter, zum Theil ſich ganz widerſprechender Ge- bete, deren Refrain zuweilen, vom Chor aus, ſin- gend wiederholt wird, und an denen man einen wahren Curſus der engliſchen Geſchichte machen kann. Heinrich des Achten Kirchen-Revolution, Eli- ſabeth’s Politik, und Cromwell’s puritaniſche Ueber- treibungen, reichen ſich durcheinander die Hand, während gewiſſe Lieblingsphraſen alle Augenblicke wiederholt werden, worunter manche Stelle mehr kriechende Sklaven, die ſich vor einem Tyrannen des Südens in den Staub werfen, charakteriſiren, als der chriſtlichen Würde gemäß ſind. Man hatte ſonderbarerweiſe das Evangelium, die Austreibung der böſen Geiſter in eine Heerde Schweine betreffend, gewählt, und nachdem dies eine Stunde lang aus- einander geſetzt war, wurden die vier Prieſter ordi- nirt. Der alte Erzbiſchof, welcher den Ruf ſtrenger Orthodoxie hat, beſaß viel Anſtand, und eine ſchöne

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/246>, abgerufen am 23.11.2024.