umgebenden Berge sind sehr hoch und steil, und steigen überall, glatt und ohne Absatz, von der wie planirt erscheinenden Fläche empor. Links sind es nackte Felsen, von imponirender Gestalt, nur hie und da mit rother und gelber Erica bewachsen, die andern drei Seiten aber mit dichten und mannichfaltigen Pflanzungen bedeckt, deren Laub bis in den See hinabhängt. Wo der erwähnte Bergstrom sich, auf glänzend grünem Grasgrunde, in den See ergießt, bildet er einen breiten Wasserfall. Es ist wohl ein schöner Fleck Erde -- einsam und abgeschlossen, der Wald voll Wild, der See voll Fische, und die Natur voll Poesie.
Da die Jagdzeit noch nicht eingetreten ist, war die Herrschaft abwesend, und die Frau des Inspec- tors, eine noch hübsche, wiewohl etwas passirte Frau, mit schönen weißen Händen, und Manieren über ih- ren Stand (wahrscheinlich hatte sie hier eine Ver- sorgung erhalten) besorgte mir auf meine Bitte Frühstück, während mich ihr lebhafter kleiner Sohn vorher im Thal umherführte. Ein schöner Wind- hund, der so leicht wie ein vom Wind entführtes Blatt über den Boden glitt, und dann in unbändi- gen Sätzen sich der gegebnen Freiheit freute, beglei- tete uns. Wir erklimmten (nicht ohne Schmerzen meiner kranken Brust, car je ne vaux plus rien a pied) eine etwa 400 Fuß hohe Felsenplatte, von der man das Thal ganz übersieht. Gegenüber erblickt man ein seltsames Naturspiel, ein ganz regelmäßig in Stein geformtes ungeheures Gesicht, das finster
umgebenden Berge ſind ſehr hoch und ſteil, und ſteigen überall, glatt und ohne Abſatz, von der wie planirt erſcheinenden Fläche empor. Links ſind es nackte Felſen, von imponirender Geſtalt, nur hie und da mit rother und gelber Erica bewachſen, die andern drei Seiten aber mit dichten und mannichfaltigen Pflanzungen bedeckt, deren Laub bis in den See hinabhängt. Wo der erwähnte Bergſtrom ſich, auf glänzend grünem Grasgrunde, in den See ergießt, bildet er einen breiten Waſſerfall. Es iſt wohl ein ſchöner Fleck Erde — einſam und abgeſchloſſen, der Wald voll Wild, der See voll Fiſche, und die Natur voll Poeſie.
Da die Jagdzeit noch nicht eingetreten iſt, war die Herrſchaft abweſend, und die Frau des Inſpec- tors, eine noch hübſche, wiewohl etwas paſſirte Frau, mit ſchönen weißen Händen, und Manieren über ih- ren Stand (wahrſcheinlich hatte ſie hier eine Ver- ſorgung erhalten) beſorgte mir auf meine Bitte Frühſtück, während mich ihr lebhafter kleiner Sohn vorher im Thal umherführte. Ein ſchöner Wind- hund, der ſo leicht wie ein vom Wind entführtes Blatt über den Boden glitt, und dann in unbändi- gen Sätzen ſich der gegebnen Freiheit freute, beglei- tete uns. Wir erklimmten (nicht ohne Schmerzen meiner kranken Bruſt, car je ne vaux plus rien à pied) eine etwa 400 Fuß hohe Felſenplatte, von der man das Thal ganz überſieht. Gegenüber erblickt man ein ſeltſames Naturſpiel, ein ganz regelmäßig in Stein geformtes ungeheures Geſicht, das finſter
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0218"n="194"/>
umgebenden Berge ſind ſehr hoch und ſteil, und<lb/>ſteigen überall, glatt und ohne Abſatz, von der wie<lb/>
planirt erſcheinenden Fläche empor. Links ſind es<lb/>
nackte Felſen, von imponirender Geſtalt, nur hie und<lb/>
da mit rother und gelber <hirendition="#aq">Erica</hi> bewachſen, die andern<lb/>
drei Seiten aber mit dichten und mannichfaltigen<lb/>
Pflanzungen bedeckt, deren Laub bis in den See<lb/>
hinabhängt. Wo der erwähnte Bergſtrom ſich, auf<lb/>
glänzend grünem Grasgrunde, in den See ergießt,<lb/>
bildet er einen breiten Waſſerfall. Es iſt wohl ein<lb/>ſchöner Fleck Erde — einſam und abgeſchloſſen, der<lb/>
Wald voll Wild, der See voll Fiſche, und die Natur<lb/>
voll Poeſie.</p><lb/><p>Da die Jagdzeit noch nicht eingetreten iſt, war<lb/>
die Herrſchaft abweſend, und die Frau des Inſpec-<lb/>
tors, eine noch hübſche, wiewohl etwas paſſirte Frau,<lb/>
mit ſchönen weißen Händen, und Manieren über ih-<lb/>
ren Stand (wahrſcheinlich hatte ſie hier eine <hirendition="#g">Ver-<lb/>ſorgung</hi> erhalten) beſorgte mir auf meine Bitte<lb/>
Frühſtück, während mich ihr lebhafter kleiner Sohn<lb/>
vorher im Thal umherführte. Ein ſchöner Wind-<lb/>
hund, der ſo leicht wie ein vom Wind entführtes<lb/>
Blatt über den Boden glitt, und dann in unbändi-<lb/>
gen Sätzen ſich der gegebnen Freiheit freute, beglei-<lb/>
tete uns. Wir erklimmten (nicht ohne Schmerzen<lb/>
meiner kranken Bruſt, <hirendition="#aq">car je ne vaux plus rien à<lb/>
pied</hi>) eine etwa 400 Fuß hohe Felſenplatte, von der<lb/>
man das Thal ganz überſieht. Gegenüber erblickt<lb/>
man ein ſeltſames Naturſpiel, ein ganz regelmäßig<lb/>
in Stein geformtes ungeheures Geſicht, das finſter<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[194/0218]
umgebenden Berge ſind ſehr hoch und ſteil, und
ſteigen überall, glatt und ohne Abſatz, von der wie
planirt erſcheinenden Fläche empor. Links ſind es
nackte Felſen, von imponirender Geſtalt, nur hie und
da mit rother und gelber Erica bewachſen, die andern
drei Seiten aber mit dichten und mannichfaltigen
Pflanzungen bedeckt, deren Laub bis in den See
hinabhängt. Wo der erwähnte Bergſtrom ſich, auf
glänzend grünem Grasgrunde, in den See ergießt,
bildet er einen breiten Waſſerfall. Es iſt wohl ein
ſchöner Fleck Erde — einſam und abgeſchloſſen, der
Wald voll Wild, der See voll Fiſche, und die Natur
voll Poeſie.
Da die Jagdzeit noch nicht eingetreten iſt, war
die Herrſchaft abweſend, und die Frau des Inſpec-
tors, eine noch hübſche, wiewohl etwas paſſirte Frau,
mit ſchönen weißen Händen, und Manieren über ih-
ren Stand (wahrſcheinlich hatte ſie hier eine Ver-
ſorgung erhalten) beſorgte mir auf meine Bitte
Frühſtück, während mich ihr lebhafter kleiner Sohn
vorher im Thal umherführte. Ein ſchöner Wind-
hund, der ſo leicht wie ein vom Wind entführtes
Blatt über den Boden glitt, und dann in unbändi-
gen Sätzen ſich der gegebnen Freiheit freute, beglei-
tete uns. Wir erklimmten (nicht ohne Schmerzen
meiner kranken Bruſt, car je ne vaux plus rien à
pied) eine etwa 400 Fuß hohe Felſenplatte, von der
man das Thal ganz überſieht. Gegenüber erblickt
man ein ſeltſames Naturſpiel, ein ganz regelmäßig
in Stein geformtes ungeheures Geſicht, das finſter
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830, S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/218>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.