nants, der eben auf einige Tage in die Stadt ge- kommen war. Wir erinnerten uns alter Zeiten, wo ich ihn viel in London gesehen. Er hat ein besonde- res Talent, den seligen Kemble nachzuahmen, dem er auch ähnlich sieht, und ich glaubte wieder Coriolan und Lenga zu hören.
Den 14ten.
Ein andrer Freund, von noch älterem Datum, be- suchte mich diesen Morgen, um mir sein Landhaus zum Aufenthalt anzubieten, Mr. W., dem ich einst in Wien einen Dienst zu erweisen Gelegenheit gehabt. Er hatte mich kaum verlassen, als man mir meldete, Lady B., eine irländische Peereß, und eine der hüb- schesten Frauen dieses Landes, deren Gesellschaft ich in der letzten season in der Metropolis sehr cultivirt hatte, halte in ihrem Wagen unten am Hause und wünsche mich zu sprechen. Da ich noch im größten Negligee war, sagte ich dem Kellner, einem wahren Jocrisse, dessen irish blunders mich täglich amüsiren, ich sey nicht angezogen, wie er sähe, würde aber gleich erscheinen. Diesen Zustand meiner Toilette richtete er zwar aus, setzte aber de son chef hinzu, Mylady möge doch lieber heraufkommen. Denke Dir also meine Verwunderung, als er, zurückkehrend, mir mel- dete, Lady B. habe sehr gelacht und ließe mir sagen: warten wollen sie recht gern, aber Herren-Morgenbe- suche auf ihrer Stube zu machen, sey in Irland nicht gebräuchlich. In dieser Antwort zeigte sich ganz der
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nants, der eben auf einige Tage in die Stadt ge- kommen war. Wir erinnerten uns alter Zeiten, wo ich ihn viel in London geſehen. Er hat ein beſonde- res Talent, den ſeligen Kemble nachzuahmen, dem er auch ähnlich ſieht, und ich glaubte wieder Coriolan und Lenga zu hören.
Den 14ten.
Ein andrer Freund, von noch älterem Datum, be- ſuchte mich dieſen Morgen, um mir ſein Landhaus zum Aufenthalt anzubieten, Mr. W., dem ich einſt in Wien einen Dienſt zu erweiſen Gelegenheit gehabt. Er hatte mich kaum verlaſſen, als man mir meldete, Lady B., eine irländiſche Peereß, und eine der hüb- ſcheſten Frauen dieſes Landes, deren Geſellſchaft ich in der letzten season in der Metropolis ſehr cultivirt hatte, halte in ihrem Wagen unten am Hauſe und wünſche mich zu ſprechen. Da ich noch im größten Negligée war, ſagte ich dem Kellner, einem wahren Jocrisse, deſſen irish blunders mich täglich amüſiren, ich ſey nicht angezogen, wie er ſähe, würde aber gleich erſcheinen. Dieſen Zuſtand meiner Toilette richtete er zwar aus, ſetzte aber de son chef hinzu, Mylady möge doch lieber heraufkommen. Denke Dir alſo meine Verwunderung, als er, zurückkehrend, mir mel- dete, Lady B. habe ſehr gelacht und ließe mir ſagen: warten wollen ſie recht gern, aber Herren-Morgenbe- ſuche auf ihrer Stube zu machen, ſey in Irland nicht gebräuchlich. In dieſer Antwort zeigte ſich ganz der
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nants, der eben auf einige Tage in die Stadt ge-
kommen war. Wir erinnerten uns alter Zeiten, wo
ich ihn viel in London geſehen. Er hat ein beſonde-
res Talent, den ſeligen Kemble nachzuahmen, dem er
auch ähnlich ſieht, und ich glaubte wieder Coriolan
und Lenga zu hören.
Den 14ten.
Ein andrer Freund, von noch älterem Datum, be-
ſuchte mich dieſen Morgen, um mir ſein Landhaus
zum Aufenthalt anzubieten, Mr. W., dem ich einſt in
Wien einen Dienſt zu erweiſen Gelegenheit gehabt.
Er hatte mich kaum verlaſſen, als man mir meldete,
Lady B., eine irländiſche Peereß, und eine der hüb-
ſcheſten Frauen dieſes Landes, deren Geſellſchaft ich
in der letzten season in der Metropolis ſehr cultivirt
hatte, halte in ihrem Wagen unten am Hauſe und
wünſche mich zu ſprechen. Da ich noch im größten
Negligée war, ſagte ich dem Kellner, einem wahren
Jocrisse, deſſen irish blunders mich täglich amüſiren,
ich ſey nicht angezogen, wie er ſähe, würde aber gleich
erſcheinen. Dieſen Zuſtand meiner Toilette richtete
er zwar aus, ſetzte aber de son chef hinzu, Mylady
möge doch lieber heraufkommen. Denke Dir alſo
meine Verwunderung, als er, zurückkehrend, mir mel-
dete, Lady B. habe ſehr gelacht und ließe mir ſagen:
warten wollen ſie recht gern, aber Herren-Morgenbe-
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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/187>, abgerufen am 25.11.2024.
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