So krank und matt ich bin, hat mir doch die Ex- kursion nach dem neu erbauten, 4 Meilen entfernten Leuchtthurme, ungemein viel Vergnügen gewährt. Obgleich die Oberfläche der Insel Anglesea sehr flach erscheint, so erhebt sie sich doch, am Ufer der irländi- schen See, in höchst malerischen, abgerissenen Felsen- wänden, bedeutend hoch aus den stets brandenden Fluthen. Auf einem solchen, vom Ufer etwas ent- fernten, einzeln hervorragenden Felsen, steht der Leuchtthurm. Nicht nur senkrecht, sondern unter sich zurückweichend, fallen diese, über alle Beschreibung wilden Gestade, mehrere hundert Fuß tief nach dem Meere hinab, und sehen aus, als seyen sie durch Pulver gesprengt, nicht von der Natur so gebildet. Auf einem dichten Teppich von kurzem gelben Gin- ster und karmoisinrother Haide, gelangt man bis an den Rand des Abhangs, dann steigt man auf einer roh in den Stein gehauenen Treppe, von 4 bis 500 Stufen, bis zu einem in Stricken hängenden Stege hinab, auf dem man sich, an die Seitennetze anhal- tend, über den Abgrund, der beide Felsen trennt, so zu sagen, hinüber schaukelt. Tausende von Seemöven, die hier zu brüten pflegen, umschwebten uns auf allen Seiten, unaufhörlich ihre melancholische Klage durch den Sturm rufend. Die Jungen waren erst kürzlich flügge geworden, und die Alten benutzten wahrscheinlich das ungestüme Wetter zu ihrer Ein- übung. Man konnte nichts Graziöseres sehen als
Den 10ten.
So krank und matt ich bin, hat mir doch die Ex- kurſion nach dem neu erbauten, 4 Meilen entfernten Leuchtthurme, ungemein viel Vergnügen gewährt. Obgleich die Oberfläche der Inſel Angleſea ſehr flach erſcheint, ſo erhebt ſie ſich doch, am Ufer der irländi- ſchen See, in höchſt maleriſchen, abgeriſſenen Felſen- wänden, bedeutend hoch aus den ſtets brandenden Fluthen. Auf einem ſolchen, vom Ufer etwas ent- fernten, einzeln hervorragenden Felſen, ſteht der Leuchtthurm. Nicht nur ſenkrecht, ſondern unter ſich zurückweichend, fallen dieſe, über alle Beſchreibung wilden Geſtade, mehrere hundert Fuß tief nach dem Meere hinab, und ſehen aus, als ſeyen ſie durch Pulver geſprengt, nicht von der Natur ſo gebildet. Auf einem dichten Teppich von kurzem gelben Gin- ſter und karmoiſinrother Haide, gelangt man bis an den Rand des Abhangs, dann ſteigt man auf einer roh in den Stein gehauenen Treppe, von 4 bis 500 Stufen, bis zu einem in Stricken hängenden Stege hinab, auf dem man ſich, an die Seitennetze anhal- tend, über den Abgrund, der beide Felſen trennt, ſo zu ſagen, hinüber ſchaukelt. Tauſende von Seemöven, die hier zu brüten pflegen, umſchwebten uns auf allen Seiten, unaufhörlich ihre melancholiſche Klage durch den Sturm rufend. Die Jungen waren erſt kürzlich flügge geworden, und die Alten benutzten wahrſcheinlich das ungeſtüme Wetter zu ihrer Ein- übung. Man konnte nichts Graziöſeres ſehen als
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0176"n="152"/><divn="2"><opener><dateline><hirendition="#et">Den 10<hirendition="#sup">ten.</hi></hi></dateline></opener><lb/><p>So krank und matt ich bin, hat mir doch die Ex-<lb/>
kurſion nach dem neu erbauten, 4 Meilen entfernten<lb/>
Leuchtthurme, ungemein viel Vergnügen gewährt.<lb/>
Obgleich die Oberfläche der Inſel Angleſea ſehr flach<lb/>
erſcheint, ſo erhebt ſie ſich doch, am Ufer der <choice><sic>irlȧndi</sic><corr>irländi</corr></choice>-<lb/>ſchen See, in höchſt maleriſchen, abgeriſſenen Felſen-<lb/>
wänden, bedeutend hoch aus den ſtets brandenden<lb/>
Fluthen. Auf einem ſolchen, vom Ufer etwas ent-<lb/>
fernten, einzeln hervorragenden Felſen, ſteht der<lb/>
Leuchtthurm. Nicht nur ſenkrecht, ſondern unter ſich<lb/>
zurückweichend, fallen dieſe, über alle Beſchreibung<lb/>
wilden Geſtade, mehrere hundert Fuß tief nach dem<lb/>
Meere hinab, und ſehen aus, als ſeyen ſie durch<lb/>
Pulver geſprengt, nicht von der Natur ſo gebildet.<lb/>
Auf einem dichten Teppich von kurzem gelben Gin-<lb/>ſter und karmoiſinrother Haide, gelangt man bis an<lb/>
den Rand des Abhangs, dann ſteigt man auf einer<lb/>
roh in den Stein gehauenen Treppe, von 4 bis 500<lb/>
Stufen, bis zu einem in Stricken hängenden Stege<lb/>
hinab, auf dem man ſich, an die Seitennetze anhal-<lb/>
tend, über den Abgrund, der beide Felſen trennt, ſo<lb/>
zu ſagen, hinüber ſchaukelt. Tauſende von Seemöven,<lb/>
die hier zu brüten pflegen, umſchwebten uns auf<lb/>
allen Seiten, unaufhörlich ihre melancholiſche Klage<lb/>
durch den Sturm rufend. Die Jungen waren erſt<lb/>
kürzlich flügge geworden, und die Alten benutzten<lb/>
wahrſcheinlich das ungeſtüme Wetter zu ihrer Ein-<lb/>
übung. Man konnte nichts Graziöſeres ſehen als<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[152/0176]
Den 10ten.
So krank und matt ich bin, hat mir doch die Ex-
kurſion nach dem neu erbauten, 4 Meilen entfernten
Leuchtthurme, ungemein viel Vergnügen gewährt.
Obgleich die Oberfläche der Inſel Angleſea ſehr flach
erſcheint, ſo erhebt ſie ſich doch, am Ufer der irländi-
ſchen See, in höchſt maleriſchen, abgeriſſenen Felſen-
wänden, bedeutend hoch aus den ſtets brandenden
Fluthen. Auf einem ſolchen, vom Ufer etwas ent-
fernten, einzeln hervorragenden Felſen, ſteht der
Leuchtthurm. Nicht nur ſenkrecht, ſondern unter ſich
zurückweichend, fallen dieſe, über alle Beſchreibung
wilden Geſtade, mehrere hundert Fuß tief nach dem
Meere hinab, und ſehen aus, als ſeyen ſie durch
Pulver geſprengt, nicht von der Natur ſo gebildet.
Auf einem dichten Teppich von kurzem gelben Gin-
ſter und karmoiſinrother Haide, gelangt man bis an
den Rand des Abhangs, dann ſteigt man auf einer
roh in den Stein gehauenen Treppe, von 4 bis 500
Stufen, bis zu einem in Stricken hängenden Stege
hinab, auf dem man ſich, an die Seitennetze anhal-
tend, über den Abgrund, der beide Felſen trennt, ſo
zu ſagen, hinüber ſchaukelt. Tauſende von Seemöven,
die hier zu brüten pflegen, umſchwebten uns auf
allen Seiten, unaufhörlich ihre melancholiſche Klage
durch den Sturm rufend. Die Jungen waren erſt
kürzlich flügge geworden, und die Alten benutzten
wahrſcheinlich das ungeſtüme Wetter zu ihrer Ein-
übung. Man konnte nichts Graziöſeres ſehen als
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/176>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.