Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830.

Bild:
<< vorherige Seite

auch die Gefahr sich herschreibt, wo der Genuß auch
die Qual, wo das Leben auch der Tod. Das Ganze
ist eben Weltleben, und kann nicht nach Willkühr,
sondern nur nach unwandelbaren Gesetzen gegeben
und geordnet seyn. -- Solche kleinliche Ansichten,
als die gerügten, ziehen die Idee der Allmacht zu
unsrer Gebrechlichkeit herab. Danken sollen wir für
alles Seyn der ewigen Liebe, wäre es auch ohne
Worte, -- und kein Gebet vielleicht, kann mehr als
dieses: in Entzücken verstummende Dankgefühl --
vom Menschen dargebracht, der Gottheit würdig
seyn; -- kindisch aber ist es, alle jene alltäglichen
und äußern einzelnen Begebenheiten wie Glücks-
und Unglücksfälle, Reichthum, Armuth, Sterben u. s. w.,
die den Naturgesetzen unterthan sind, oder von uns
selbst, nach dem Maaßstab unsrer Kräfte herbeige-
führt werden, immer einer ganz besondern, und der
Himmel weiß überdieß, wie unnützen! Erziehung
unsrer lieben Individuen durch die Allmacht zuzu-
schreiben.

Ferner aber spottet er über die Christen -- die
es ganz und gar nicht sind, und darunter, sagt er,
stehen als Nummer Eins, nicht sogenannte Atheisten
(überhaupt eine sinnlose Benennung) nicht einmal
wahre Fanatiker, sondern jene heillose Race der mo-
dernen Frömmler, die entweder nervenüberreizte
Schwächlinge, *) oder Heuchler der gottlosesten Art

*) Herrlich sagt Jean Paul irgendwo von Solchen; "Ich
habe diese verdammte Erhebung der Seelen blos aus

auch die Gefahr ſich herſchreibt, wo der Genuß auch
die Qual, wo das Leben auch der Tod. Das Ganze
iſt eben Weltleben, und kann nicht nach Willkühr,
ſondern nur nach unwandelbaren Geſetzen gegeben
und geordnet ſeyn. — Solche kleinliche Anſichten,
als die gerügten, ziehen die Idee der Allmacht zu
unſrer Gebrechlichkeit herab. Danken ſollen wir für
alles Seyn der ewigen Liebe, wäre es auch ohne
Worte, — und kein Gebet vielleicht, kann mehr als
dieſes: in Entzücken verſtummende Dankgefühl —
vom Menſchen dargebracht, der Gottheit würdig
ſeyn; — kindiſch aber iſt es, alle jene alltäglichen
und äußern einzelnen Begebenheiten wie Glücks-
und Unglücksfälle, Reichthum, Armuth, Sterben u. ſ. w.,
die den Naturgeſetzen unterthan ſind, oder von uns
ſelbſt, nach dem Maaßſtab unſrer Kräfte herbeige-
führt werden, immer einer ganz beſondern, und der
Himmel weiß überdieß, wie unnützen! Erziehung
unſrer lieben Individuen durch die Allmacht zuzu-
ſchreiben.

Ferner aber ſpottet er über die Chriſten — die
es ganz und gar nicht ſind, und darunter, ſagt er,
ſtehen als Nummer Eins, nicht ſogenannte Atheiſten
(überhaupt eine ſinnloſe Benennung) nicht einmal
wahre Fanatiker, ſondern jene heilloſe Race der mo-
dernen Frömmler, die entweder nervenüberreizte
Schwächlinge, *) oder Heuchler der gottloſeſten Art

*) Herrlich ſagt Jean Paul irgendwo von Solchen; „Ich
habe dieſe verdammte Erhebung der Seelen blos aus
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0124" n="100"/>
auch die Gefahr &#x017F;ich her&#x017F;chreibt, wo der Genuß auch<lb/>
die Qual, wo das Leben auch der Tod. Das Ganze<lb/>
i&#x017F;t eben Weltleben, und kann nicht nach Willkühr,<lb/>
&#x017F;ondern nur nach unwandelbaren Ge&#x017F;etzen gegeben<lb/>
und geordnet &#x017F;eyn. &#x2014; Solche kleinliche An&#x017F;ichten,<lb/>
als die gerügten, ziehen die Idee der Allmacht zu<lb/>
un&#x017F;rer Gebrechlichkeit herab. Danken &#x017F;ollen wir für<lb/>
alles Seyn der ewigen Liebe, wäre es auch ohne<lb/>
Worte, &#x2014; und kein Gebet vielleicht, kann mehr als<lb/>
die&#x017F;es: in Entzücken ver&#x017F;tummende Dankgefühl &#x2014;<lb/>
vom Men&#x017F;chen dargebracht, der Gottheit würdig<lb/>
&#x017F;eyn; &#x2014; kindi&#x017F;ch aber i&#x017F;t es, alle jene alltäglichen<lb/>
und <hi rendition="#g">äußern</hi> einzelnen Begebenheiten wie Glücks-<lb/>
und Unglücksfälle, Reichthum, Armuth, Sterben u. &#x017F;. w.,<lb/>
die den Naturge&#x017F;etzen unterthan &#x017F;ind, oder von uns<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t, nach dem Maaß&#x017F;tab un&#x017F;rer Kräfte herbeige-<lb/>
führt werden, immer einer ganz be&#x017F;ondern, und der<lb/>
Himmel weiß überdieß, wie unnützen! Erziehung<lb/>
un&#x017F;rer lieben Individuen durch die Allmacht zuzu-<lb/>
&#x017F;chreiben.</p><lb/>
          <p>Ferner aber &#x017F;pottet er über <hi rendition="#g">die</hi> Chri&#x017F;ten &#x2014; <hi rendition="#g">die</hi><lb/>
es ganz und gar <hi rendition="#g">nicht</hi> &#x017F;ind, und darunter, &#x017F;agt er,<lb/>
&#x017F;tehen als Nummer Eins, nicht &#x017F;ogenannte Athei&#x017F;ten<lb/>
(überhaupt eine &#x017F;innlo&#x017F;e Benennung) nicht einmal<lb/>
wahre Fanatiker, &#x017F;ondern jene heillo&#x017F;e Race der mo-<lb/>
dernen Frömmler, die entweder nervenüberreizte<lb/>
Schwächlinge, <note xml:id="seg2pn_4_1" next="#seg2pn_4_2" place="foot" n="*)">Herrlich &#x017F;agt Jean Paul irgendwo von Solchen; &#x201E;Ich<lb/>
habe die&#x017F;e verdammte Erhebung der Seelen blos aus</note> oder Heuchler der gottlo&#x017F;e&#x017F;ten Art<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[100/0124] auch die Gefahr ſich herſchreibt, wo der Genuß auch die Qual, wo das Leben auch der Tod. Das Ganze iſt eben Weltleben, und kann nicht nach Willkühr, ſondern nur nach unwandelbaren Geſetzen gegeben und geordnet ſeyn. — Solche kleinliche Anſichten, als die gerügten, ziehen die Idee der Allmacht zu unſrer Gebrechlichkeit herab. Danken ſollen wir für alles Seyn der ewigen Liebe, wäre es auch ohne Worte, — und kein Gebet vielleicht, kann mehr als dieſes: in Entzücken verſtummende Dankgefühl — vom Menſchen dargebracht, der Gottheit würdig ſeyn; — kindiſch aber iſt es, alle jene alltäglichen und äußern einzelnen Begebenheiten wie Glücks- und Unglücksfälle, Reichthum, Armuth, Sterben u. ſ. w., die den Naturgeſetzen unterthan ſind, oder von uns ſelbſt, nach dem Maaßſtab unſrer Kräfte herbeige- führt werden, immer einer ganz beſondern, und der Himmel weiß überdieß, wie unnützen! Erziehung unſrer lieben Individuen durch die Allmacht zuzu- ſchreiben. Ferner aber ſpottet er über die Chriſten — die es ganz und gar nicht ſind, und darunter, ſagt er, ſtehen als Nummer Eins, nicht ſogenannte Atheiſten (überhaupt eine ſinnloſe Benennung) nicht einmal wahre Fanatiker, ſondern jene heilloſe Race der mo- dernen Frömmler, die entweder nervenüberreizte Schwächlinge, *) oder Heuchler der gottloſeſten Art *) Herrlich ſagt Jean Paul irgendwo von Solchen; „Ich habe dieſe verdammte Erhebung der Seelen blos aus

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/124
Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/124>, abgerufen am 03.12.2024.