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Preuß, Hugo: Franz Lieber, ein Bürger zweier Welten. Berlin, 1886.

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Die Erklärung dieses Mangels liegt nahe. Der lebendige Strom, der die alte und die neue Welt verbindet, das ist die beständig sich erneuende Auswanderung. Die große Menge der Auswanderer aber wird von materiellen Sorgen über den Ocean getrieben, sie sucht in dem neuen Lande zunächst des Lebens Nothdurft zu erwerben, und dann sich zur Wohlhabenheit durchzuringen; in allgemeinen Dingen, in Staat und Gesellschaft fügt sie sich ohne weiteres, meist willig und gern, den vorhandenen Zuständen und geht in ihnen auf. Zu Abstraktionen, zu Vergleichen der heimischen und der neuen Verhältnisse fehlt dieser Menge Zeit, Lust, geistige Fähigkeit, und vor Allem auch die nöthige Vorbildung. Zu theoretischen Beobachtern sind diese Leute nicht geschaffen, und das ist für ihre Zwecke auch ein Glück.

Freilich, trotz alledem und so wenig auch der Einzelne in dieser Hinsicht that und thun konnte, völlig konnte bei der kolossalen Massenhaftigkeit der europäischen Einwanderung die Rückwirkung europäischer Verhältnisse auch in staatlicher und socialer Beziehung auf die amerikanischen nicht ausbleiben. Ja, es hat auch nicht gänzlich, an Männern gefehlt, welche eine solche Wechselbeziehung bewußt anstrebten und hüben und drüben durch ihr Wirken herbeizuführen suchten. Und hier nimmt denn gerade das deutsche Element eine hervorragende Stellung ein.

Die deutsche Einwanderung nach Amerika ist numerisch erst im 19. Jahrhundert von großer Bedeutung geworden, und die statistischen Nachweise lassen erkennen, daß dieselbe wesentlich beeinflußt worden ist von den jeweiligen politischen Zuständen Deutschlands. So wanderten im Jahre 1816/17 unter der Nachwirkung der großen Kriege über 20 000 Deutsche nach Amerika aus; 1821/22 fiel die Zahl auf 148, um sich nach den revolutionären Bewegungen der 30 er Jahre, auf über 10 000

Die Erklärung dieses Mangels liegt nahe. Der lebendige Strom, der die alte und die neue Welt verbindet, das ist die beständig sich erneuende Auswanderung. Die große Menge der Auswanderer aber wird von materiellen Sorgen über den Ocean getrieben, sie sucht in dem neuen Lande zunächst des Lebens Nothdurft zu erwerben, und dann sich zur Wohlhabenheit durchzuringen; in allgemeinen Dingen, in Staat und Gesellschaft fügt sie sich ohne weiteres, meist willig und gern, den vorhandenen Zuständen und geht in ihnen auf. Zu Abstraktionen, zu Vergleichen der heimischen und der neuen Verhältnisse fehlt dieser Menge Zeit, Lust, geistige Fähigkeit, und vor Allem auch die nöthige Vorbildung. Zu theoretischen Beobachtern sind diese Leute nicht geschaffen, und das ist für ihre Zwecke auch ein Glück.

Freilich, trotz alledem und so wenig auch der Einzelne in dieser Hinsicht that und thun konnte, völlig konnte bei der kolossalen Massenhaftigkeit der europäischen Einwanderung die Rückwirkung europäischer Verhältnisse auch in staatlicher und socialer Beziehung auf die amerikanischen nicht ausbleiben. Ja, es hat auch nicht gänzlich, an Männern gefehlt, welche eine solche Wechselbeziehung bewußt anstrebten und hüben und drüben durch ihr Wirken herbeizuführen suchten. Und hier nimmt denn gerade das deutsche Element eine hervorragende Stellung ein.

Die deutsche Einwanderung nach Amerika ist numerisch erst im 19. Jahrhundert von großer Bedeutung geworden, und die statistischen Nachweise lassen erkennen, daß dieselbe wesentlich beeinflußt worden ist von den jeweiligen politischen Zuständen Deutschlands. So wanderten im Jahre 1816/17 unter der Nachwirkung der großen Kriege über 20 000 Deutsche nach Amerika aus; 1821/22 fiel die Zahl auf 148, um sich nach den revolutionären Bewegungen der 30 er Jahre, auf über 10 000

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Die Erklärung dieses Mangels liegt nahe. Der lebendige Strom, der die alte und die neue Welt verbindet, das ist die beständig sich erneuende Auswanderung. Die große Menge der Auswanderer aber wird von materiellen Sorgen über den Ocean getrieben, sie sucht in dem neuen Lande zunächst des Lebens Nothdurft zu erwerben, und dann sich zur Wohlhabenheit durchzuringen; in allgemeinen Dingen, in Staat und Gesellschaft fügt sie sich ohne weiteres, meist willig und gern, den vorhandenen Zuständen und geht in ihnen auf. Zu Abstraktionen, zu Vergleichen der heimischen und der neuen Verhältnisse fehlt dieser Menge Zeit, Lust, geistige Fähigkeit, und vor Allem auch die nöthige Vorbildung. Zu theoretischen Beobachtern sind diese Leute nicht geschaffen, und das ist für ihre Zwecke auch ein Glück.</p>
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[5/0005] Die Erklärung dieses Mangels liegt nahe. Der lebendige Strom, der die alte und die neue Welt verbindet, das ist die beständig sich erneuende Auswanderung. Die große Menge der Auswanderer aber wird von materiellen Sorgen über den Ocean getrieben, sie sucht in dem neuen Lande zunächst des Lebens Nothdurft zu erwerben, und dann sich zur Wohlhabenheit durchzuringen; in allgemeinen Dingen, in Staat und Gesellschaft fügt sie sich ohne weiteres, meist willig und gern, den vorhandenen Zuständen und geht in ihnen auf. Zu Abstraktionen, zu Vergleichen der heimischen und der neuen Verhältnisse fehlt dieser Menge Zeit, Lust, geistige Fähigkeit, und vor Allem auch die nöthige Vorbildung. Zu theoretischen Beobachtern sind diese Leute nicht geschaffen, und das ist für ihre Zwecke auch ein Glück. Freilich, trotz alledem und so wenig auch der Einzelne in dieser Hinsicht that und thun konnte, völlig konnte bei der kolossalen Massenhaftigkeit der europäischen Einwanderung die Rückwirkung europäischer Verhältnisse auch in staatlicher und socialer Beziehung auf die amerikanischen nicht ausbleiben. Ja, es hat auch nicht gänzlich, an Männern gefehlt, welche eine solche Wechselbeziehung bewußt anstrebten und hüben und drüben durch ihr Wirken herbeizuführen suchten. Und hier nimmt denn gerade das deutsche Element eine hervorragende Stellung ein. Die deutsche Einwanderung nach Amerika ist numerisch erst im 19. Jahrhundert von großer Bedeutung geworden, und die statistischen Nachweise lassen erkennen, daß dieselbe wesentlich beeinflußt worden ist von den jeweiligen politischen Zuständen Deutschlands. So wanderten im Jahre 1816/17 unter der Nachwirkung der großen Kriege über 20 000 Deutsche nach Amerika aus; 1821/22 fiel die Zahl auf 148, um sich nach den revolutionären Bewegungen der 30 er Jahre, auf über 10 000

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Zitationshilfe: Preuß, Hugo: Franz Lieber, ein Bürger zweier Welten. Berlin, 1886, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/preuss_franz_1886/5>, abgerufen am 29.03.2024.