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Preuß, Hugo: Franz Lieber, ein Bürger zweier Welten. Berlin, 1886.

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zu erreichen sei. Jetzt erfüllte sich sein Seherwort. Am 22. Juli, 3 Tage nach der Kriegserklärung heißt es in einem Briefe an einen amerikanischen Freund: "Ich schreibe so in den Tag hinein; denn meine ganze Seele ist erfüllt von einem Gedanken, von einer Empfindung: - Deutschland! Ich fürchte am meisten dafür, daß die französische Flotte in Hamburg oder Bremen landen könnte, während wir das Hauptheer am Rhein zu bekämpfen haben." Wir! In dieser großen Zeit überspringt seine Empfindung die 43 Jahre, die ihn von der Heimath trennen; er ist wieder ganz und ausschließlich Deutscher. Schon im August 1870 fordert er die Kaiserkrone für König Wilhelm, und mit begeisterter Freude begrüßt er das neue Reich. In ihm erwacht der alte Kämpfer von Ligny und Waterloo. "Ich bin kein Kind," schreibt er 1871, "aber woher kommt es, daß die Leute mich mit einmal "verehrungswürdig" nennen? Ich glaube, weil es in letzter Zeit bekannt geworden ist, daß ich ein Waterloo-Mann bin, und Waterloo bedeutet bei Euch jungen Kerlen so etwas wie Marathon oder dergl. in der Chronologie." Zur Zeit des Einzuges der Truppen in Berlin gedenkt er in einem Briefe an Holtzendorff daran, wie sein eigentlicher Platz an jenem Tage am Brandenburger Thore sei, unter den Veteranen von 1813, 14, 15.

Nun trieb es ihn mit mächtiger Sehnsucht, sein verjüngtes Vaterland widerzusehen, das er seit fast 25 Jahren nicht betreten. Ende September 1872 entwarf der 72jährige Mann den Plan einer "burgundischen Pilgerfahrt", wie er es nennt, die er im folgenden Jahre nach den Stätten der großen Geschehnisse und nach der alten Heimath unternehmen wollte. So jugendkräftig fühlte sich der Greis. Aber die Stunden seines Lebens waren gezählt; zehn Tage nach jenem hoffnungsfrohen Briefe war er nicht mehr. Ein schönes Leben endete

zu erreichen sei. Jetzt erfüllte sich sein Seherwort. Am 22. Juli, 3 Tage nach der Kriegserklärung heißt es in einem Briefe an einen amerikanischen Freund: „Ich schreibe so in den Tag hinein; denn meine ganze Seele ist erfüllt von einem Gedanken, von einer Empfindung: – Deutschland! Ich fürchte am meisten dafür, daß die französische Flotte in Hamburg oder Bremen landen könnte, während wir das Hauptheer am Rhein zu bekämpfen haben.“ Wir! In dieser großen Zeit überspringt seine Empfindung die 43 Jahre, die ihn von der Heimath trennen; er ist wieder ganz und ausschließlich Deutscher. Schon im August 1870 fordert er die Kaiserkrone für König Wilhelm, und mit begeisterter Freude begrüßt er das neue Reich. In ihm erwacht der alte Kämpfer von Ligny und Waterloo. „Ich bin kein Kind,“ schreibt er 1871, „aber woher kommt es, daß die Leute mich mit einmal „verehrungswürdig“ nennen? Ich glaube, weil es in letzter Zeit bekannt geworden ist, daß ich ein Waterloo-Mann bin, und Waterloo bedeutet bei Euch jungen Kerlen so etwas wie Marathon oder dergl. in der Chronologie.“ Zur Zeit des Einzuges der Truppen in Berlin gedenkt er in einem Briefe an Holtzendorff daran, wie sein eigentlicher Platz an jenem Tage am Brandenburger Thore sei, unter den Veteranen von 1813, 14, 15.

Nun trieb es ihn mit mächtiger Sehnsucht, sein verjüngtes Vaterland widerzusehen, das er seit fast 25 Jahren nicht betreten. Ende September 1872 entwarf der 72jährige Mann den Plan einer „burgundischen Pilgerfahrt“, wie er es nennt, die er im folgenden Jahre nach den Stätten der großen Geschehnisse und nach der alten Heimath unternehmen wollte. So jugendkräftig fühlte sich der Greis. Aber die Stunden seines Lebens waren gezählt; zehn Tage nach jenem hoffnungsfrohen Briefe war er nicht mehr. Ein schönes Leben endete

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[40/0040] zu erreichen sei. Jetzt erfüllte sich sein Seherwort. Am 22. Juli, 3 Tage nach der Kriegserklärung heißt es in einem Briefe an einen amerikanischen Freund: „Ich schreibe so in den Tag hinein; denn meine ganze Seele ist erfüllt von einem Gedanken, von einer Empfindung: – Deutschland! Ich fürchte am meisten dafür, daß die französische Flotte in Hamburg oder Bremen landen könnte, während wir das Hauptheer am Rhein zu bekämpfen haben.“ Wir! In dieser großen Zeit überspringt seine Empfindung die 43 Jahre, die ihn von der Heimath trennen; er ist wieder ganz und ausschließlich Deutscher. Schon im August 1870 fordert er die Kaiserkrone für König Wilhelm, und mit begeisterter Freude begrüßt er das neue Reich. In ihm erwacht der alte Kämpfer von Ligny und Waterloo. „Ich bin kein Kind,“ schreibt er 1871, „aber woher kommt es, daß die Leute mich mit einmal „verehrungswürdig“ nennen? Ich glaube, weil es in letzter Zeit bekannt geworden ist, daß ich ein Waterloo-Mann bin, und Waterloo bedeutet bei Euch jungen Kerlen so etwas wie Marathon oder dergl. in der Chronologie.“ Zur Zeit des Einzuges der Truppen in Berlin gedenkt er in einem Briefe an Holtzendorff daran, wie sein eigentlicher Platz an jenem Tage am Brandenburger Thore sei, unter den Veteranen von 1813, 14, 15. Nun trieb es ihn mit mächtiger Sehnsucht, sein verjüngtes Vaterland widerzusehen, das er seit fast 25 Jahren nicht betreten. Ende September 1872 entwarf der 72jährige Mann den Plan einer „burgundischen Pilgerfahrt“, wie er es nennt, die er im folgenden Jahre nach den Stätten der großen Geschehnisse und nach der alten Heimath unternehmen wollte. So jugendkräftig fühlte sich der Greis. Aber die Stunden seines Lebens waren gezählt; zehn Tage nach jenem hoffnungsfrohen Briefe war er nicht mehr. Ein schönes Leben endete

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Zitationshilfe: Preuß, Hugo: Franz Lieber, ein Bürger zweier Welten. Berlin, 1886, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/preuss_franz_1886/40>, abgerufen am 28.03.2024.