Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Preuß, Hugo: Franz Lieber, ein Bürger zweier Welten. Berlin, 1886.

Bild:
<< vorherige Seite

angehörte, gegen das Heer, in dessen Reihen seine beiden jüngeren Brüder kämpften. "Wenn Sie jemals nach Richmond kommen," schrieb der tiefgebeugte Vater einige Jahre später, "gehen Sie auf den Kirchhof, dort werden Sie meine Hoffnung ausgedrückt finden auf dem Grabsteine meines Sohnes Oskar. Er fiel auf der Seite des Südens und seine beiden Brüder gingen nach Richmond, um den Leichenstein auf sein Grab zu setzen; sie haben gefochten und geblutet auf der nationalen Seite. Sie sehen, der Bürgerkrieg hat rauh an meine Thür geklopft."

Ruhig und unbeirrt schreitet das Leben der Staaten und Völker hinweg über alles Leid und allen Jammer des Einzelnen. Aus den blutgetränkten Schlachtfeldern des großen Bruderkrieges erhob sich das frische gekräftigte Leben der neu verjüngten Union. Wie Lieber vorausgesagt, so geschah es. Er hatte nie die Hoffnung aufgegeben, daß dies große Staatswesen nicht in dem Sturme untergehen, nicht an den Wunden des Krieges verbluten werde. "Es wird eine Narbe zurückbleiben", sagte er, "aber gut geheilte Narben sind kein Unglück, und manchmal kleiden sie ein männliches Gesicht gut. Das Antlitz jeder Nation hat seine Narben".

Es ward ihm noch vergönnt, die Wahrheit dieses Glaubens an dem Geschick seines Deutschen Vaterlandes bestätigt zu sehen. Er erlebte, daß auch Deutschland durch einen Bruderkrieg zerrissen ward, und erlebte, daß diese Wunde prächtig heilte und ihre Narbe ein Ehrenmal im Antlitz Germanias wurde. Er hatte an seinem Theile dazu beigetragen, die Schrecken des amerikanischen Krieges zu mildern, indem er den alten Spruch, daß unter Waffenlärm die Gesetze schweigen, entkräftete. Im Auftrage Lincoln's verfaßte er eine Instruction für die Feldtruppen, die erste Kodifikation des modernen Kriegsvölkerrechts. Und einige Jahre, nachdem dieser Krieg beendet, ward er berufen,

angehörte, gegen das Heer, in dessen Reihen seine beiden jüngeren Brüder kämpften. „Wenn Sie jemals nach Richmond kommen,“ schrieb der tiefgebeugte Vater einige Jahre später, „gehen Sie auf den Kirchhof, dort werden Sie meine Hoffnung ausgedrückt finden auf dem Grabsteine meines Sohnes Oskar. Er fiel auf der Seite des Südens und seine beiden Brüder gingen nach Richmond, um den Leichenstein auf sein Grab zu setzen; sie haben gefochten und geblutet auf der nationalen Seite. Sie sehen, der Bürgerkrieg hat rauh an meine Thür geklopft.“

Ruhig und unbeirrt schreitet das Leben der Staaten und Völker hinweg über alles Leid und allen Jammer des Einzelnen. Aus den blutgetränkten Schlachtfeldern des großen Bruderkrieges erhob sich das frische gekräftigte Leben der neu verjüngten Union. Wie Lieber vorausgesagt, so geschah es. Er hatte nie die Hoffnung aufgegeben, daß dies große Staatswesen nicht in dem Sturme untergehen, nicht an den Wunden des Krieges verbluten werde. „Es wird eine Narbe zurückbleiben“, sagte er, „aber gut geheilte Narben sind kein Unglück, und manchmal kleiden sie ein männliches Gesicht gut. Das Antlitz jeder Nation hat seine Narben“.

Es ward ihm noch vergönnt, die Wahrheit dieses Glaubens an dem Geschick seines Deutschen Vaterlandes bestätigt zu sehen. Er erlebte, daß auch Deutschland durch einen Bruderkrieg zerrissen ward, und erlebte, daß diese Wunde prächtig heilte und ihre Narbe ein Ehrenmal im Antlitz Germanias wurde. Er hatte an seinem Theile dazu beigetragen, die Schrecken des amerikanischen Krieges zu mildern, indem er den alten Spruch, daß unter Waffenlärm die Gesetze schweigen, entkräftete. Im Auftrage Lincoln’s verfaßte er eine Instruction für die Feldtruppen, die erste Kodifikation des modernen Kriegsvölkerrechts. Und einige Jahre, nachdem dieser Krieg beendet, ward er berufen,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0038" n="38"/>
angehörte, gegen das Heer, in dessen Reihen seine beiden jüngeren Brüder kämpften. &#x201E;Wenn Sie jemals nach Richmond kommen,&#x201C; schrieb der tiefgebeugte Vater einige Jahre später, &#x201E;gehen Sie auf den Kirchhof, dort werden Sie meine Hoffnung ausgedrückt finden auf dem Grabsteine meines Sohnes Oskar. Er fiel auf der Seite des Südens und seine beiden Brüder gingen nach Richmond, um den Leichenstein auf sein Grab zu setzen; sie haben gefochten und geblutet auf der nationalen Seite. Sie sehen, der Bürgerkrieg hat rauh an meine Thür geklopft.&#x201C;</p>
        <p>Ruhig und unbeirrt schreitet das Leben der Staaten und Völker hinweg über alles Leid und allen Jammer des Einzelnen. Aus den blutgetränkten Schlachtfeldern des großen Bruderkrieges erhob sich das frische gekräftigte Leben der neu verjüngten Union. Wie <hi rendition="#g">Lieber</hi> vorausgesagt, so geschah es. Er hatte nie die Hoffnung aufgegeben, daß dies große Staatswesen nicht in dem Sturme untergehen, nicht an den Wunden des Krieges verbluten werde. &#x201E;Es wird eine Narbe zurückbleiben&#x201C;, sagte er, &#x201E;aber gut geheilte Narben sind kein Unglück, und manchmal kleiden sie ein männliches Gesicht gut. Das Antlitz jeder Nation hat seine Narben&#x201C;.</p>
        <p>Es ward ihm noch vergönnt, die Wahrheit dieses Glaubens an dem Geschick seines Deutschen Vaterlandes bestätigt zu sehen. Er erlebte, daß auch Deutschland durch einen Bruderkrieg zerrissen ward, und erlebte, daß diese Wunde prächtig heilte und ihre Narbe ein Ehrenmal im Antlitz Germanias wurde. Er hatte an seinem Theile dazu beigetragen, die Schrecken des amerikanischen Krieges zu mildern, indem er den alten Spruch, daß unter Waffenlärm die Gesetze schweigen, entkräftete. Im Auftrage <hi rendition="#g">Lincoln&#x2019;s</hi> verfaßte er eine Instruction für die Feldtruppen, die erste Kodifikation des modernen Kriegsvölkerrechts. Und einige Jahre, nachdem dieser Krieg beendet, ward er berufen,
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[38/0038] angehörte, gegen das Heer, in dessen Reihen seine beiden jüngeren Brüder kämpften. „Wenn Sie jemals nach Richmond kommen,“ schrieb der tiefgebeugte Vater einige Jahre später, „gehen Sie auf den Kirchhof, dort werden Sie meine Hoffnung ausgedrückt finden auf dem Grabsteine meines Sohnes Oskar. Er fiel auf der Seite des Südens und seine beiden Brüder gingen nach Richmond, um den Leichenstein auf sein Grab zu setzen; sie haben gefochten und geblutet auf der nationalen Seite. Sie sehen, der Bürgerkrieg hat rauh an meine Thür geklopft.“ Ruhig und unbeirrt schreitet das Leben der Staaten und Völker hinweg über alles Leid und allen Jammer des Einzelnen. Aus den blutgetränkten Schlachtfeldern des großen Bruderkrieges erhob sich das frische gekräftigte Leben der neu verjüngten Union. Wie Lieber vorausgesagt, so geschah es. Er hatte nie die Hoffnung aufgegeben, daß dies große Staatswesen nicht in dem Sturme untergehen, nicht an den Wunden des Krieges verbluten werde. „Es wird eine Narbe zurückbleiben“, sagte er, „aber gut geheilte Narben sind kein Unglück, und manchmal kleiden sie ein männliches Gesicht gut. Das Antlitz jeder Nation hat seine Narben“. Es ward ihm noch vergönnt, die Wahrheit dieses Glaubens an dem Geschick seines Deutschen Vaterlandes bestätigt zu sehen. Er erlebte, daß auch Deutschland durch einen Bruderkrieg zerrissen ward, und erlebte, daß diese Wunde prächtig heilte und ihre Narbe ein Ehrenmal im Antlitz Germanias wurde. Er hatte an seinem Theile dazu beigetragen, die Schrecken des amerikanischen Krieges zu mildern, indem er den alten Spruch, daß unter Waffenlärm die Gesetze schweigen, entkräftete. Im Auftrage Lincoln’s verfaßte er eine Instruction für die Feldtruppen, die erste Kodifikation des modernen Kriegsvölkerrechts. Und einige Jahre, nachdem dieser Krieg beendet, ward er berufen,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-11-23T13:54:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-11-23T13:54:31Z)
Frederike Neuber: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-11-23T13:54:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/preuss_franz_1886
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/preuss_franz_1886/38
Zitationshilfe: Preuß, Hugo: Franz Lieber, ein Bürger zweier Welten. Berlin, 1886, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/preuss_franz_1886/38>, abgerufen am 23.11.2024.