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Preuß, Hugo: Franz Lieber, ein Bürger zweier Welten. Berlin, 1886.

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eine "absolute Wüste", wie er es nennt, immer wieder giebt er seiner heißen Sehnsucht Ausdruck, aus diesem vermaledeiten Süden fortzukommen, und in Boston oder New York frische Lebensluft zu athmen. Aber wenn er in Unmuth die 22 Jahre, die er dort verbrachte, "ein vergeudetes Leben" nennt, so thut er sich selber Unrecht. In dieser Zeit und dieser traurigen Umgebung hat er seine Hauptwerke geschaffen, Schriften, welche die staatswissenschaftliche Litteratur der alten wie der neuen Welt bereichert haben, und für deren Eigenart gerade er durch Natur und Lebensschicksal besonders befähigt war.

Seine frühen Jugenderinnerungen reichten zurück in die Zeit, da weitblickende Staatsmänner sich bestrebten, das tief gesunkene Preußen neu zu beleben durch das einzige Mittel, welches wahrhaft Wunder wirken konnte, durch die Entfesselung aller schlummernden Kräfte des Volkes, durch die Beseitigung veralteter Schranken und Formen, dadurch, daß sie in die Adern des Staatswesens das Lebensblut modernen Geistes einführten. Und er hatte gesehen, wie diese Epoche der Wiedergeburt, die durch den Namen des Freiherrn vom Stein ruhmvoll bezeichnet wird, wirklich Wunder wirkte; aber schmerzvoll hatte er auch erfahren, wie diesem frischen Leben des Fortschritts gar bald die Versumpfung der Reaktion folgte, wie man grausam tödtete, was man noch eben mühevoll erweckt hatte. An den Grenzen Europa's im Südosten hatte er dann gesehen, wie ein verkommnes Volk durch einen Handstreich sich die Freiheit erringen wollte, für die es ihm doch an jeder Vorbedingung gebrach. Und nun lebte er seit Jahren in einem Lande, welches sich mit berechtigtem Stolze das Land der Freiheit nannte, wo all' die Ideen, von denen nur zu träumen im alten Europa gefährlich war, voll und kräftig in's Leben getreten waren. In diese neue Welt hatten vor 2 Jahrhunderten trotzige Puritaner

eine „absolute Wüste“, wie er es nennt, immer wieder giebt er seiner heißen Sehnsucht Ausdruck, aus diesem vermaledeiten Süden fortzukommen, und in Boston oder New York frische Lebensluft zu athmen. Aber wenn er in Unmuth die 22 Jahre, die er dort verbrachte, „ein vergeudetes Leben“ nennt, so thut er sich selber Unrecht. In dieser Zeit und dieser traurigen Umgebung hat er seine Hauptwerke geschaffen, Schriften, welche die staatswissenschaftliche Litteratur der alten wie der neuen Welt bereichert haben, und für deren Eigenart gerade er durch Natur und Lebensschicksal besonders befähigt war.

Seine frühen Jugenderinnerungen reichten zurück in die Zeit, da weitblickende Staatsmänner sich bestrebten, das tief gesunkene Preußen neu zu beleben durch das einzige Mittel, welches wahrhaft Wunder wirken konnte, durch die Entfesselung aller schlummernden Kräfte des Volkes, durch die Beseitigung veralteter Schranken und Formen, dadurch, daß sie in die Adern des Staatswesens das Lebensblut modernen Geistes einführten. Und er hatte gesehen, wie diese Epoche der Wiedergeburt, die durch den Namen des Freiherrn vom Stein ruhmvoll bezeichnet wird, wirklich Wunder wirkte; aber schmerzvoll hatte er auch erfahren, wie diesem frischen Leben des Fortschritts gar bald die Versumpfung der Reaktion folgte, wie man grausam tödtete, was man noch eben mühevoll erweckt hatte. An den Grenzen Europa’s im Südosten hatte er dann gesehen, wie ein verkommnes Volk durch einen Handstreich sich die Freiheit erringen wollte, für die es ihm doch an jeder Vorbedingung gebrach. Und nun lebte er seit Jahren in einem Lande, welches sich mit berechtigtem Stolze das Land der Freiheit nannte, wo all’ die Ideen, von denen nur zu träumen im alten Europa gefährlich war, voll und kräftig in’s Leben getreten waren. In diese neue Welt hatten vor 2 Jahrhunderten trotzige Puritaner

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[27/0027] eine „absolute Wüste“, wie er es nennt, immer wieder giebt er seiner heißen Sehnsucht Ausdruck, aus diesem vermaledeiten Süden fortzukommen, und in Boston oder New York frische Lebensluft zu athmen. Aber wenn er in Unmuth die 22 Jahre, die er dort verbrachte, „ein vergeudetes Leben“ nennt, so thut er sich selber Unrecht. In dieser Zeit und dieser traurigen Umgebung hat er seine Hauptwerke geschaffen, Schriften, welche die staatswissenschaftliche Litteratur der alten wie der neuen Welt bereichert haben, und für deren Eigenart gerade er durch Natur und Lebensschicksal besonders befähigt war. Seine frühen Jugenderinnerungen reichten zurück in die Zeit, da weitblickende Staatsmänner sich bestrebten, das tief gesunkene Preußen neu zu beleben durch das einzige Mittel, welches wahrhaft Wunder wirken konnte, durch die Entfesselung aller schlummernden Kräfte des Volkes, durch die Beseitigung veralteter Schranken und Formen, dadurch, daß sie in die Adern des Staatswesens das Lebensblut modernen Geistes einführten. Und er hatte gesehen, wie diese Epoche der Wiedergeburt, die durch den Namen des Freiherrn vom Stein ruhmvoll bezeichnet wird, wirklich Wunder wirkte; aber schmerzvoll hatte er auch erfahren, wie diesem frischen Leben des Fortschritts gar bald die Versumpfung der Reaktion folgte, wie man grausam tödtete, was man noch eben mühevoll erweckt hatte. An den Grenzen Europa’s im Südosten hatte er dann gesehen, wie ein verkommnes Volk durch einen Handstreich sich die Freiheit erringen wollte, für die es ihm doch an jeder Vorbedingung gebrach. Und nun lebte er seit Jahren in einem Lande, welches sich mit berechtigtem Stolze das Land der Freiheit nannte, wo all’ die Ideen, von denen nur zu träumen im alten Europa gefährlich war, voll und kräftig in’s Leben getreten waren. In diese neue Welt hatten vor 2 Jahrhunderten trotzige Puritaner

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Zitationshilfe: Preuß, Hugo: Franz Lieber, ein Bürger zweier Welten. Berlin, 1886, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/preuss_franz_1886/27>, abgerufen am 29.03.2024.