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[Poppe, Johann Friedrich]: Characteristik der merkwürdigsten Asiatischen Nationen. Bd. 2. Breslau, 1777.

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Die Sintoisten befleißigen sich hauptsäch-
lich der äußerlichen Reinlichkeit. Die Rein-
lichkeit besteht darinn, daß sie sich mit keinem
Blute beflecken, kein Fleisch essen, und todte
Körper sorgfältig vermeiden. Wer dagegen
sündigt darf keinen Tempel besuchen, und sich
nicht vor den Göttern zeigen. Wenn ein Mia
erbaut wird, und einer von den Arbeitern ver-
wundet sich so, daß Blut darnach geht, so sieht
man dieß allgemein für ein großes Unglück an,
und der Arbeiter darf von der Zeit an, nie wie-
der an heiligen Gebäuden gebraucht werden. --
Wenn man zu Isje, einem berühmten Orte,
wo Ten-sio-dai-sie, der Vater der japanischen
Nation, besonders verehrt wird, in einen der
dortigen Tempel einen Tropfen Blut schüttete;
so würde dieser Tempel niedergerissen, und ein
andrer an seine Stelle gebaut werden müssen.
-- Den Frauenzimmern ist es schlechterdings
nicht erlaubt, in einen Tempel zu gehen, wenn
sie ihre gewöhnliche Reinigung haben. Aber
die größeste Unreinigkeit von allen zieht man
sich durch den Tod des Vaters und der näch-
sten Anverwandten zu *).

Die
*) Einige Casuisten rechnen zu diesen Unreinigkei-
keiten noch diejenigen hinzu, welche man sich
auf folgende Weise auf den Hals zieht: einmal
durch die Augen, wenn sie etwas unreines sehen,
und zweitens durch die Ohren, die etwas unan-
ständiges hören. Endlich bilden sich auch einige
Andäch-
B 2

Die Sintoiſten befleißigen ſich hauptſaͤch-
lich der aͤußerlichen Reinlichkeit. Die Rein-
lichkeit beſteht darinn, daß ſie ſich mit keinem
Blute beflecken, kein Fleiſch eſſen, und todte
Koͤrper ſorgfaͤltig vermeiden. Wer dagegen
ſuͤndigt darf keinen Tempel beſuchen, und ſich
nicht vor den Goͤttern zeigen. Wenn ein Mia
erbaut wird, und einer von den Arbeitern ver-
wundet ſich ſo, daß Blut darnach geht, ſo ſieht
man dieß allgemein fuͤr ein großes Ungluͤck an,
und der Arbeiter darf von der Zeit an, nie wie-
der an heiligen Gebaͤuden gebraucht werden. —
Wenn man zu Isje, einem beruͤhmten Orte,
wo Ten-ſio-dai-ſie, der Vater der japaniſchen
Nation, beſonders verehrt wird, in einen der
dortigen Tempel einen Tropfen Blut ſchuͤttete;
ſo wuͤrde dieſer Tempel niedergeriſſen, und ein
andrer an ſeine Stelle gebaut werden muͤſſen.
— Den Frauenzimmern iſt es ſchlechterdings
nicht erlaubt, in einen Tempel zu gehen, wenn
ſie ihre gewoͤhnliche Reinigung haben. Aber
die groͤßeſte Unreinigkeit von allen zieht man
ſich durch den Tod des Vaters und der naͤch-
ſten Anverwandten zu *).

Die
*) Einige Caſuiſten rechnen zu dieſen Unreinigkei-
keiten noch diejenigen hinzu, welche man ſich
auf folgende Weiſe auf den Hals zieht: einmal
durch die Augen, wenn ſie etwas unreines ſehen,
und zweitens durch die Ohren, die etwas unan-
ſtaͤndiges hoͤren. Endlich bilden ſich auch einige
Andaͤch-
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[19/0045] Die Sintoiſten befleißigen ſich hauptſaͤch- lich der aͤußerlichen Reinlichkeit. Die Rein- lichkeit beſteht darinn, daß ſie ſich mit keinem Blute beflecken, kein Fleiſch eſſen, und todte Koͤrper ſorgfaͤltig vermeiden. Wer dagegen ſuͤndigt darf keinen Tempel beſuchen, und ſich nicht vor den Goͤttern zeigen. Wenn ein Mia erbaut wird, und einer von den Arbeitern ver- wundet ſich ſo, daß Blut darnach geht, ſo ſieht man dieß allgemein fuͤr ein großes Ungluͤck an, und der Arbeiter darf von der Zeit an, nie wie- der an heiligen Gebaͤuden gebraucht werden. — Wenn man zu Isje, einem beruͤhmten Orte, wo Ten-ſio-dai-ſie, der Vater der japaniſchen Nation, beſonders verehrt wird, in einen der dortigen Tempel einen Tropfen Blut ſchuͤttete; ſo wuͤrde dieſer Tempel niedergeriſſen, und ein andrer an ſeine Stelle gebaut werden muͤſſen. — Den Frauenzimmern iſt es ſchlechterdings nicht erlaubt, in einen Tempel zu gehen, wenn ſie ihre gewoͤhnliche Reinigung haben. Aber die groͤßeſte Unreinigkeit von allen zieht man ſich durch den Tod des Vaters und der naͤch- ſten Anverwandten zu *). Die *) Einige Caſuiſten rechnen zu dieſen Unreinigkei- keiten noch diejenigen hinzu, welche man ſich auf folgende Weiſe auf den Hals zieht: einmal durch die Augen, wenn ſie etwas unreines ſehen, und zweitens durch die Ohren, die etwas unan- ſtaͤndiges hoͤren. Endlich bilden ſich auch einige Andaͤch- B 2

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Zitationshilfe: [Poppe, Johann Friedrich]: Characteristik der merkwürdigsten Asiatischen Nationen. Bd. 2. Breslau, 1777, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/poppe_charakteristik02_1777/45>, abgerufen am 21.11.2024.