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[Poppe, Johann Friedrich]: Characteristik der merkwürdigsten Asiatischen Nationen. Bd. 2. Breslau, 1777.

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tungen vorzunehmen. Sie gehen nachher eine
Stunde lang in der Stadt herum, Allmosen
einzufodern. Sie zeigen sich vor allen Thüren,
ohne ein Wort zu sagen, und nehmen an, was
man ihnen anbietet; gehen auch sehr bescheiden
weg, wenn man ihnen nichts giebt, welches
aber doch sehr selten geschieht. Sie gehen nie-
mals ohne Erlaubniß ihres Priors aus dem
Kloster, auch wenn sie damit beschäftigt sind,
Allmosen einzusammlen. Sie bitten ihn, in-
dem sie vor ihm niederfallen und mit ihrer Stir-
ne die Erde berühren, mit den Händen aber,
einen seiner Füße nehmen, den sie sehr demü-
thig auf ihrem Kopf legen. Wenn sie von
dem Allmosensammeln zurückkommen, steht es
ihnen frey, zu frühstücken. Nachher studiren
sie, oder beschäftigen sich, ein jeder nach seinem
Geschmack und Fähigkeit. Zu Mittage essen
sie ein wenig Reis; einen Theil des Nachmit-
tags aber, bringen sie entweder mit Schlafen
zu, oder sie unterrichten die ihrer Aufsicht an-
vertrauten jungen Mönche. Gegen Abend ge-
hen sie wieder in den Tempel, und singen wie
des Morgens. Wenn sie ja des Abends etwas
essen, so ist es nichts als Obst. Kurz, der
Tag eines seinem Beruf gemäß lebenden Tala-
poins wird in Betrachtungen zugebracht, in
der Einsamkeit, mit Lesung geistlicher Bücher,
in der Uebung einer sehr strengen Lebensart,
und in aufrichtiger Bereuung seiner Fehler,
welche ein jeder seinem Superior beichtet.

Die

tungen vorzunehmen. Sie gehen nachher eine
Stunde lang in der Stadt herum, Allmoſen
einzufodern. Sie zeigen ſich vor allen Thuͤren,
ohne ein Wort zu ſagen, und nehmen an, was
man ihnen anbietet; gehen auch ſehr beſcheiden
weg, wenn man ihnen nichts giebt, welches
aber doch ſehr ſelten geſchieht. Sie gehen nie-
mals ohne Erlaubniß ihres Priors aus dem
Kloſter, auch wenn ſie damit beſchaͤftigt ſind,
Allmoſen einzuſammlen. Sie bitten ihn, in-
dem ſie vor ihm niederfallen und mit ihrer Stir-
ne die Erde beruͤhren, mit den Haͤnden aber,
einen ſeiner Fuͤße nehmen, den ſie ſehr demuͤ-
thig auf ihrem Kopf legen. Wenn ſie von
dem Allmoſenſammeln zuruͤckkommen, ſteht es
ihnen frey, zu fruͤhſtuͤcken. Nachher ſtudiren
ſie, oder beſchaͤftigen ſich, ein jeder nach ſeinem
Geſchmack und Faͤhigkeit. Zu Mittage eſſen
ſie ein wenig Reis; einen Theil des Nachmit-
tags aber, bringen ſie entweder mit Schlafen
zu, oder ſie unterrichten die ihrer Aufſicht an-
vertrauten jungen Moͤnche. Gegen Abend ge-
hen ſie wieder in den Tempel, und ſingen wie
des Morgens. Wenn ſie ja des Abends etwas
eſſen, ſo iſt es nichts als Obſt. Kurz, der
Tag eines ſeinem Beruf gemaͤß lebenden Tala-
poins wird in Betrachtungen zugebracht, in
der Einſamkeit, mit Leſung geiſtlicher Buͤcher,
in der Uebung einer ſehr ſtrengen Lebensart,
und in aufrichtiger Bereuung ſeiner Fehler,
welche ein jeder ſeinem Superior beichtet.

Die
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[360/0386] tungen vorzunehmen. Sie gehen nachher eine Stunde lang in der Stadt herum, Allmoſen einzufodern. Sie zeigen ſich vor allen Thuͤren, ohne ein Wort zu ſagen, und nehmen an, was man ihnen anbietet; gehen auch ſehr beſcheiden weg, wenn man ihnen nichts giebt, welches aber doch ſehr ſelten geſchieht. Sie gehen nie- mals ohne Erlaubniß ihres Priors aus dem Kloſter, auch wenn ſie damit beſchaͤftigt ſind, Allmoſen einzuſammlen. Sie bitten ihn, in- dem ſie vor ihm niederfallen und mit ihrer Stir- ne die Erde beruͤhren, mit den Haͤnden aber, einen ſeiner Fuͤße nehmen, den ſie ſehr demuͤ- thig auf ihrem Kopf legen. Wenn ſie von dem Allmoſenſammeln zuruͤckkommen, ſteht es ihnen frey, zu fruͤhſtuͤcken. Nachher ſtudiren ſie, oder beſchaͤftigen ſich, ein jeder nach ſeinem Geſchmack und Faͤhigkeit. Zu Mittage eſſen ſie ein wenig Reis; einen Theil des Nachmit- tags aber, bringen ſie entweder mit Schlafen zu, oder ſie unterrichten die ihrer Aufſicht an- vertrauten jungen Moͤnche. Gegen Abend ge- hen ſie wieder in den Tempel, und ſingen wie des Morgens. Wenn ſie ja des Abends etwas eſſen, ſo iſt es nichts als Obſt. Kurz, der Tag eines ſeinem Beruf gemaͤß lebenden Tala- poins wird in Betrachtungen zugebracht, in der Einſamkeit, mit Leſung geiſtlicher Buͤcher, in der Uebung einer ſehr ſtrengen Lebensart, und in aufrichtiger Bereuung ſeiner Fehler, welche ein jeder ſeinem Superior beichtet. Die

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Zitationshilfe: [Poppe, Johann Friedrich]: Characteristik der merkwürdigsten Asiatischen Nationen. Bd. 2. Breslau, 1777, S. 360. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/poppe_charakteristik02_1777/386>, abgerufen am 22.11.2024.