sich irgendwo zusammentreffen; so bekompli- mentiren sie sich über den Vortritt auf eine höchst lächerliche Art, und doch weiß ein jeder den ihm zukommenden Platz einzunehmen. -- Zwey Dinge scheinen ihnen in unsern Sitten ausschweifend zu seyn: Einmal, daß wir uns bey unsern Zusammenkünften so sehr um den Rang streiten, und dann, daß wir den Hut abnehmen, wenn wir andern unsre Ehrerbie- tung wollen zu erkennen geben. Dieses letzte- re halten sie für einen Mangel der Achtung, die einer dem andern schuldig sey, oder für ei- ne Freyheit, deren man sich nur gegen Niedri- ge oder gegen seine vertrautesten Freunde bedie- nen könne. Wenn sie einen vorzüglich ehren wollen; so lassen sie ihn zur Linken setzen. Denn die Linke ist bey ihnen das, was bey uns die Rechte. Man sagt, daß diese Gewohnheit vom Cyrus sey eingeführt worden. Denn dieser habe allemal denjenigen, welchen er vor- züglich ehren wollte, zur Linken gehen lassen.
Die Geselligkeit ist eine Eigenschaft, welche die Perser vorzüglich characterisirt. Sie besu- chen sich einander sehr fleißig, es mag nun bey traurigen oder freudigen Gelegenheiten, oder bey solennen Festen seyn. Die Vornehmen er- warten zuerst den Besuch der Geringern, denen sie hernach auch ihre Gegenvisite machen. Die Hofleute gehen zu den Ministern, um diesen ihr Compliment zu machen. Man führt sie in
große
ſich irgendwo zuſammentreffen; ſo bekompli- mentiren ſie ſich uͤber den Vortritt auf eine hoͤchſt laͤcherliche Art, und doch weiß ein jeder den ihm zukommenden Platz einzunehmen. — Zwey Dinge ſcheinen ihnen in unſern Sitten ausſchweifend zu ſeyn: Einmal, daß wir uns bey unſern Zuſammenkuͤnften ſo ſehr um den Rang ſtreiten, und dann, daß wir den Hut abnehmen, wenn wir andern unſre Ehrerbie- tung wollen zu erkennen geben. Dieſes letzte- re halten ſie fuͤr einen Mangel der Achtung, die einer dem andern ſchuldig ſey, oder fuͤr ei- ne Freyheit, deren man ſich nur gegen Niedri- ge oder gegen ſeine vertrauteſten Freunde bedie- nen koͤnne. Wenn ſie einen vorzuͤglich ehren wollen; ſo laſſen ſie ihn zur Linken ſetzen. Denn die Linke iſt bey ihnen das, was bey uns die Rechte. Man ſagt, daß dieſe Gewohnheit vom Cyrus ſey eingefuͤhrt worden. Denn dieſer habe allemal denjenigen, welchen er vor- zuͤglich ehren wollte, zur Linken gehen laſſen.
Die Geſelligkeit iſt eine Eigenſchaft, welche die Perſer vorzuͤglich characteriſirt. Sie beſu- chen ſich einander ſehr fleißig, es mag nun bey traurigen oder freudigen Gelegenheiten, oder bey ſolennen Feſten ſeyn. Die Vornehmen er- warten zuerſt den Beſuch der Geringern, denen ſie hernach auch ihre Gegenviſite machen. Die Hofleute gehen zu den Miniſtern, um dieſen ihr Compliment zu machen. Man fuͤhrt ſie in
große
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0040"n="20"/>ſich irgendwo zuſammentreffen; ſo bekompli-<lb/>
mentiren ſie ſich uͤber den Vortritt auf eine<lb/>
hoͤchſt laͤcherliche Art, und doch weiß ein jeder<lb/>
den ihm zukommenden Platz einzunehmen. —<lb/>
Zwey Dinge ſcheinen ihnen in unſern Sitten<lb/>
ausſchweifend zu ſeyn: <hirendition="#fr">Einmal,</hi> daß wir uns<lb/>
bey unſern Zuſammenkuͤnften ſo ſehr um den<lb/>
Rang ſtreiten, und <hirendition="#fr">dann,</hi> daß wir den Hut<lb/>
abnehmen, wenn wir andern unſre Ehrerbie-<lb/>
tung wollen zu erkennen geben. Dieſes letzte-<lb/>
re halten ſie fuͤr einen Mangel der Achtung,<lb/>
die einer dem andern ſchuldig ſey, oder fuͤr ei-<lb/>
ne Freyheit, deren man ſich nur gegen Niedri-<lb/>
ge oder gegen ſeine vertrauteſten Freunde bedie-<lb/>
nen koͤnne. Wenn ſie einen vorzuͤglich ehren<lb/>
wollen; ſo laſſen ſie ihn zur Linken ſetzen.<lb/>
Denn die Linke iſt bey ihnen das, was bey uns<lb/>
die Rechte. Man ſagt, daß dieſe Gewohnheit<lb/>
vom <hirendition="#fr">Cyrus</hi>ſey eingefuͤhrt worden. Denn<lb/>
dieſer habe allemal denjenigen, welchen er vor-<lb/>
zuͤglich ehren wollte, zur Linken gehen laſſen.</p><lb/><p>Die Geſelligkeit iſt eine Eigenſchaft, welche<lb/>
die Perſer vorzuͤglich characteriſirt. Sie beſu-<lb/>
chen ſich einander ſehr fleißig, es mag nun bey<lb/>
traurigen oder freudigen Gelegenheiten, oder<lb/>
bey ſolennen Feſten ſeyn. Die Vornehmen er-<lb/>
warten zuerſt den Beſuch der Geringern, denen<lb/>ſie hernach auch ihre Gegenviſite machen. Die<lb/>
Hofleute gehen zu den Miniſtern, um dieſen ihr<lb/>
Compliment zu machen. Man fuͤhrt ſie in<lb/><fwplace="bottom"type="catch">große</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[20/0040]
ſich irgendwo zuſammentreffen; ſo bekompli-
mentiren ſie ſich uͤber den Vortritt auf eine
hoͤchſt laͤcherliche Art, und doch weiß ein jeder
den ihm zukommenden Platz einzunehmen. —
Zwey Dinge ſcheinen ihnen in unſern Sitten
ausſchweifend zu ſeyn: Einmal, daß wir uns
bey unſern Zuſammenkuͤnften ſo ſehr um den
Rang ſtreiten, und dann, daß wir den Hut
abnehmen, wenn wir andern unſre Ehrerbie-
tung wollen zu erkennen geben. Dieſes letzte-
re halten ſie fuͤr einen Mangel der Achtung,
die einer dem andern ſchuldig ſey, oder fuͤr ei-
ne Freyheit, deren man ſich nur gegen Niedri-
ge oder gegen ſeine vertrauteſten Freunde bedie-
nen koͤnne. Wenn ſie einen vorzuͤglich ehren
wollen; ſo laſſen ſie ihn zur Linken ſetzen.
Denn die Linke iſt bey ihnen das, was bey uns
die Rechte. Man ſagt, daß dieſe Gewohnheit
vom Cyrus ſey eingefuͤhrt worden. Denn
dieſer habe allemal denjenigen, welchen er vor-
zuͤglich ehren wollte, zur Linken gehen laſſen.
Die Geſelligkeit iſt eine Eigenſchaft, welche
die Perſer vorzuͤglich characteriſirt. Sie beſu-
chen ſich einander ſehr fleißig, es mag nun bey
traurigen oder freudigen Gelegenheiten, oder
bey ſolennen Feſten ſeyn. Die Vornehmen er-
warten zuerſt den Beſuch der Geringern, denen
ſie hernach auch ihre Gegenviſite machen. Die
Hofleute gehen zu den Miniſtern, um dieſen ihr
Compliment zu machen. Man fuͤhrt ſie in
große
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Poppe, Johann Friedrich]: Characteristik der merkwürdigsten Asiatischen Nationen. Bd. 1. Breslau, 1776, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/poppe_charakteristik01_1776/40>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.