Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895.Mädchen hatte nicht viel Besseres vor auf der Welt, als sich Ottilie war groß und mager, mit unverhältnismäßig langem Ottilie machte sich hinter dem Schenktisch zu schaffen. Harrassowitz that ihr auch wirklich den Gefallen. "Fräu¬ Linkisch, mit ihrem scheuen Lächeln, kam Ottilie hinter Sam ließ seine Blicke in unverfrorener Weise auf ihrer "Aber ich bitte sehr, mein Herr!" rief sie, von ihm "Das ist mir eigentlich erstaunlich!" meinte er. "Ein Zu Ottiliens großem Leidwesen trat hier der Vater ein, 6*
Mädchen hatte nicht viel Beſſeres vor auf der Welt, als ſich Ottilie war groß und mager, mit unverhältnismäßig langem Ottilie machte ſich hinter dem Schenktiſch zu ſchaffen. Harraſſowitz that ihr auch wirklich den Gefallen. „Fräu¬ Linkiſch, mit ihrem ſcheuen Lächeln, kam Ottilie hinter Sam ließ ſeine Blicke in unverfrorener Weiſe auf ihrer „Aber ich bitte ſehr, mein Herr!“ rief ſie, von ihm „Das iſt mir eigentlich erſtaunlich!“ meinte er. „Ein Zu Ottiliens großem Leidweſen trat hier der Vater ein, 6*
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0097" n="83"/> Mädchen hatte nicht viel Beſſeres vor auf der Welt, als ſich<lb/> um anderer Angelegenheiten zu kümmern. Sie war meiſt unbe¬<lb/> ſchäftigt, und hatte Zeit, allerhand Gedanken nachzuhängen,<lb/> von denen die meiſten thöricht waren.</p><lb/> <p>Ottilie war groß und mager, mit unverhältnismäßig langem<lb/> Oberkörper, flacher Bruſt und herausſtehenden Hüftknochen.<lb/> Weibliche Fülle und Rundung war ihr verſagt. Aber aus ihrer<lb/> Art, verlegen zu lächeln, den Kopf beiſeite zu legen, und dabei<lb/> vielſagend dreinzublicken, ſprach Gefallſucht, die ihrem reizloſen<lb/> Körper zum Trotze, die Blicke auf ſich zu lenken trachtete.<lb/> Sie hatte wenig vom Büttnerſchen Blute in ſich. Mit ihrer<lb/> unreinen Hautfarbe, der birnenförmigen Kopfform und dem<lb/> fliehenden Kinn war ſie eine echte Kaſchel.</p><lb/> <p>Ottilie machte ſich hinter dem Schenktiſch zu ſchaffen.<lb/> Vielleicht würde der Fremde ſie doch noch einmal anreden.</p><lb/> <p>Harraſſowitz that ihr auch wirklich den Gefallen. „Fräu¬<lb/> lein, wollen Sie ſich nicht ein bißchen zu mir ſetzen; ich bin<lb/> hier ſo alleine.“</p><lb/> <p>Linkiſch, mit ihrem ſcheuen Lächeln, kam Ottilie hinter<lb/> dem Schenktiſche vor. „Ich bin ſo frei!“ Damit ſetzte ſie ſich<lb/> an den Tiſch.</p><lb/> <p>Sam ließ ſeine Blicke in unverfrorener Weiſe auf ihrer<lb/> Geſtalt herumkreuzen, während ſie mit ſcheinbar niederge¬<lb/> ſchlagenen Augen, ihn dabei von der Seite anſchielend, daſaß.<lb/> „Darf ich mir wohl die Frage erlauben,“ ſagte er, ihr ver¬<lb/> traulich zulächelnd: „Ihre Hand iſt noch nicht vergeben?“</p><lb/> <p>„Aber ich bitte ſehr, mein Herr!“ rief ſie, von ihm<lb/> wegrückend, mit einer Miene, der man deutlich abſehen<lb/> konnte, daß ihr die Frage im Grunde gar nicht unange¬<lb/> nehm war.</p><lb/> <p>„Das iſt mir eigentlich erſtaunlich!“ meinte er. „Ein<lb/> ſolches Fräulein: ledig! Die Tochter von Herrn Ernſt Kaſchel!<lb/> Da wüßte ich manchen jungen Herrn . . .“</p><lb/> <p>Zu Ottiliens großem Leidweſen trat hier der Vater ein,<lb/> und die Unterhaltung wurde an der intereſſanteſten Stelle<lb/> unterbrochen.</p><lb/> <fw place="bottom" type="sig">6*<lb/></fw> </div> </div> </body> </text> </TEI> [83/0097]
Mädchen hatte nicht viel Beſſeres vor auf der Welt, als ſich
um anderer Angelegenheiten zu kümmern. Sie war meiſt unbe¬
ſchäftigt, und hatte Zeit, allerhand Gedanken nachzuhängen,
von denen die meiſten thöricht waren.
Ottilie war groß und mager, mit unverhältnismäßig langem
Oberkörper, flacher Bruſt und herausſtehenden Hüftknochen.
Weibliche Fülle und Rundung war ihr verſagt. Aber aus ihrer
Art, verlegen zu lächeln, den Kopf beiſeite zu legen, und dabei
vielſagend dreinzublicken, ſprach Gefallſucht, die ihrem reizloſen
Körper zum Trotze, die Blicke auf ſich zu lenken trachtete.
Sie hatte wenig vom Büttnerſchen Blute in ſich. Mit ihrer
unreinen Hautfarbe, der birnenförmigen Kopfform und dem
fliehenden Kinn war ſie eine echte Kaſchel.
Ottilie machte ſich hinter dem Schenktiſch zu ſchaffen.
Vielleicht würde der Fremde ſie doch noch einmal anreden.
Harraſſowitz that ihr auch wirklich den Gefallen. „Fräu¬
lein, wollen Sie ſich nicht ein bißchen zu mir ſetzen; ich bin
hier ſo alleine.“
Linkiſch, mit ihrem ſcheuen Lächeln, kam Ottilie hinter
dem Schenktiſche vor. „Ich bin ſo frei!“ Damit ſetzte ſie ſich
an den Tiſch.
Sam ließ ſeine Blicke in unverfrorener Weiſe auf ihrer
Geſtalt herumkreuzen, während ſie mit ſcheinbar niederge¬
ſchlagenen Augen, ihn dabei von der Seite anſchielend, daſaß.
„Darf ich mir wohl die Frage erlauben,“ ſagte er, ihr ver¬
traulich zulächelnd: „Ihre Hand iſt noch nicht vergeben?“
„Aber ich bitte ſehr, mein Herr!“ rief ſie, von ihm
wegrückend, mit einer Miene, der man deutlich abſehen
konnte, daß ihr die Frage im Grunde gar nicht unange¬
nehm war.
„Das iſt mir eigentlich erſtaunlich!“ meinte er. „Ein
ſolches Fräulein: ledig! Die Tochter von Herrn Ernſt Kaſchel!
Da wüßte ich manchen jungen Herrn . . .“
Zu Ottiliens großem Leidweſen trat hier der Vater ein,
und die Unterhaltung wurde an der intereſſanteſten Stelle
unterbrochen.
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