Tochter, die hat geheiratet, und sehen Sie, der is der Mann davongelaufen. So ein Lump! nicht wahr? Na, ich hab's ja vorher gesagt! Aber, wer nicht hören wollte . . . . . Also, von der is das Kind. -- Das arme Ding haben wir derweilen hier bei uns aufgenommen, weil die sich einen Dienst sucht. Das is der ihr Kind, ja!" --
Pauline sah ihre Mutter erschrocken an, ob der Lüge. Das Mädchen war auf einmal ganz bleich geworden. Gut, daß Wanda das Gespräch sofort an sich riß und über durch¬ gebrannte Männer und kleine Kinder mit Kennermiene zu sprechen begann. Pauline schlich sich derweilen aus dem Zimmer. Gleich darauf hörte man sie in der Kammer das schreiende Kind beruhigen.
"Na, und sehen Se!" fuhr die Witwe voll Eifer fort, "was meine Pauline is, die hat Sie das Kind doch nu so lieb gewonnen, als wäre 's ihr eigenes. Wie eine zweite Mutter, mechte man sprechen, is das Mädel zu dem Kinde."
"Darf man das Kleine einmal sehen?" fragte Ida.
Frau Katschner lief ins Nebenzimmer und sprach dort halblaut ein paar Worte mit ihrer Tochter. Bald darauf kamen beide Frauen ins Zimmer zurück. Pauline trug den Jungen auf dem Arme.
Das Kind saß da, einen Finger im Munde, nur mit dem Hemdchen bekleidet, das Ärmchen um den Nacken der Mutter gelegt, und blickte die fremden Gesichter fragend und neugierig an. Es war ein dicker gesunder Junge, mit schönen Farben und kernigem Fleisch. Wer Gustav Büttner kannte, mußte dessen Augen wiedererkennen; im übrigen sah das Kind Pau¬ linen unverkennbar ähnlich.
Die Komtessen verhielten sich sehr verschiedenartig dem Kleinen gegenüber. Wanda war äußerst wortreich, lobte und kritisierte, und gab ihrem Mißfallen Ausdruck, daß der Junge keine geraden Beine habe. Das sei ein sicheres Zeichen für "Englische Krankheit" erklärte sie kategorisch. Frau Katschner hatte zwar noch nie in ihrem Leben von diesem Leiden gehört, der Komtesse zu gefallen aber, that sie, als
Tochter, die hat geheiratet, und ſehen Sie, der is der Mann davongelaufen. So ein Lump! nicht wahr? Na, ich hab's ja vorher geſagt! Aber, wer nicht hören wollte . . . . . Alſo, von der is das Kind. — Das arme Ding haben wir derweilen hier bei uns aufgenommen, weil die ſich einen Dienſt ſucht. Das is der ihr Kind, ja!“ —
Pauline ſah ihre Mutter erſchrocken an, ob der Lüge. Das Mädchen war auf einmal ganz bleich geworden. Gut, daß Wanda das Geſpräch ſofort an ſich riß und über durch¬ gebrannte Männer und kleine Kinder mit Kennermiene zu ſprechen begann. Pauline ſchlich ſich derweilen aus dem Zimmer. Gleich darauf hörte man ſie in der Kammer das ſchreiende Kind beruhigen.
„Na, und ſehen Se!“ fuhr die Witwe voll Eifer fort, „was meine Pauline is, die hat Sie das Kind doch nu ſo lieb gewonnen, als wäre 's ihr eigenes. Wie eine zweite Mutter, mechte man ſprechen, is das Mädel zu dem Kinde.“
„Darf man das Kleine einmal ſehen?“ fragte Ida.
Frau Katſchner lief ins Nebenzimmer und ſprach dort halblaut ein paar Worte mit ihrer Tochter. Bald darauf kamen beide Frauen ins Zimmer zurück. Pauline trug den Jungen auf dem Arme.
Das Kind ſaß da, einen Finger im Munde, nur mit dem Hemdchen bekleidet, das Ärmchen um den Nacken der Mutter gelegt, und blickte die fremden Geſichter fragend und neugierig an. Es war ein dicker geſunder Junge, mit ſchönen Farben und kernigem Fleiſch. Wer Guſtav Büttner kannte, mußte deſſen Augen wiedererkennen; im übrigen ſah das Kind Pau¬ linen unverkennbar ähnlich.
Die Komteſſen verhielten ſich ſehr verſchiedenartig dem Kleinen gegenüber. Wanda war äußerſt wortreich, lobte und kritiſierte, und gab ihrem Mißfallen Ausdruck, daß der Junge keine geraden Beine habe. Das ſei ein ſicheres Zeichen für „Engliſche Krankheit“ erklärte ſie kategoriſch. Frau Katſchner hatte zwar noch nie in ihrem Leben von dieſem Leiden gehört, der Komteſſe zu gefallen aber, that ſie, als
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Tochter, die hat geheiratet, und ſehen Sie, der is der Mann
davongelaufen. So ein Lump! nicht wahr? Na, ich hab's ja
vorher geſagt! Aber, wer nicht hören wollte . . . . . Alſo,
von der is das Kind. — Das arme Ding haben wir derweilen
hier bei uns aufgenommen, weil die ſich einen Dienſt ſucht.
Das is der ihr Kind, ja!“ —
Pauline ſah ihre Mutter erſchrocken an, ob der Lüge. Das
Mädchen war auf einmal ganz bleich geworden. Gut, daß
Wanda das Geſpräch ſofort an ſich riß und über durch¬
gebrannte Männer und kleine Kinder mit Kennermiene zu
ſprechen begann. Pauline ſchlich ſich derweilen aus dem
Zimmer. Gleich darauf hörte man ſie in der Kammer das
ſchreiende Kind beruhigen.
„Na, und ſehen Se!“ fuhr die Witwe voll Eifer fort,
„was meine Pauline is, die hat Sie das Kind doch nu ſo lieb
gewonnen, als wäre 's ihr eigenes. Wie eine zweite Mutter,
mechte man ſprechen, is das Mädel zu dem Kinde.“
„Darf man das Kleine einmal ſehen?“ fragte Ida.
Frau Katſchner lief ins Nebenzimmer und ſprach dort
halblaut ein paar Worte mit ihrer Tochter. Bald darauf
kamen beide Frauen ins Zimmer zurück. Pauline trug den
Jungen auf dem Arme.
Das Kind ſaß da, einen Finger im Munde, nur mit dem
Hemdchen bekleidet, das Ärmchen um den Nacken der Mutter
gelegt, und blickte die fremden Geſichter fragend und neugierig
an. Es war ein dicker geſunder Junge, mit ſchönen Farben
und kernigem Fleiſch. Wer Guſtav Büttner kannte, mußte
deſſen Augen wiedererkennen; im übrigen ſah das Kind Pau¬
linen unverkennbar ähnlich.
Die Komteſſen verhielten ſich ſehr verſchiedenartig dem
Kleinen gegenüber. Wanda war äußerſt wortreich, lobte und
kritiſierte, und gab ihrem Mißfallen Ausdruck, daß der
Junge keine geraden Beine habe. Das ſei ein ſicheres
Zeichen für „Engliſche Krankheit“ erklärte ſie kategoriſch. Frau
Katſchner hatte zwar noch nie in ihrem Leben von dieſem
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Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/92>, abgerufen am 24.11.2024.
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