lich, wie er sich durch die große Stadt zum Ziele fand. Ein¬ zweimal wurde gefragt -- nicht der Polizist, "denn der wird Dir bloß grob, wenn Du keinen guten Rock anhast!" -- er¬ läuterte Häschkekarl.
Bei Müller auf der Feldstraße mußten sie vier Treppen steigen. Der Mann war in der Fabrik, die Frau zeigte die Schlafstellen.
In einer Dachkammer, deren Decke schräg abfiel, standen fünf Betten, so eng nebeneinander, daß die hinteren Schlaf¬ burschen über die Betten der vorderen steigen mußten. Zwei Betten waren besetzt, "an junge Leute, die auch Arbeit suchen", wie die Frau mit einem Blicke auf die Berliner der beiden sagte; sie hatte die Fremden mit Kennerblick sofort richtig eingeschätzt.
Man mußte, um zu der Dachkammer zu gelangen, durch das Familienzimmer der Vermieter gehen. Zwei nicht gerade saubere Kinder krochen auf der Diele umher, ein anderes lag im Schlafkorb. Die Frau sah leidend aus und abge¬ härmt.
Häschke fragte nach dem Preis des Bettes. "Zwei Mark die Woche!" lautete die zaghafte Antwort. Häschke meinte, das sei viel, handelte aber nicht. Den gutmütigen Gesellen dauerte die Frau. Man wurde handelseinig.
Die Wanderburschen legten die ,Berliner' ab und such¬ ten, sich fein zu machen; man war ja in der Stadt! Die Wirtin gab dazu ihr eigenes Waschbecken her; auch ein Stück Seife und ein Handtuch fand sich herzu. Man war schnell in gutes Einvernehmen mit der Frau gekommen. Häschke hatte das Wohlgefallen der Mutter durch kleine Späßchen mit den Kindern zu erobern verstanden.
Die beiden verspürten Hunger. Häschke entsann sich einer Kneipe, in der er früher, als er hier als Schlosserlehr¬ ling gearbeitet, oft verkehrt hatte. Dort würde man auch allerhand erfahren, was in der Welt vorgehe.
Man befand sich im Fabrik- und Arbeiterviertel der Stadt. Auch jene Kneipe entsprach der Umgebung: nüchtern
lich, wie er ſich durch die große Stadt zum Ziele fand. Ein¬ zweimal wurde gefragt — nicht der Poliziſt, „denn der wird Dir bloß grob, wenn Du keinen guten Rock anhaſt!“ — er¬ läuterte Häſchkekarl.
Bei Müller auf der Feldſtraße mußten ſie vier Treppen ſteigen. Der Mann war in der Fabrik, die Frau zeigte die Schlafſtellen.
In einer Dachkammer, deren Decke ſchräg abfiel, ſtanden fünf Betten, ſo eng nebeneinander, daß die hinteren Schlaf¬ burſchen über die Betten der vorderen ſteigen mußten. Zwei Betten waren beſetzt, „an junge Leute, die auch Arbeit ſuchen“, wie die Frau mit einem Blicke auf die Berliner der beiden ſagte; ſie hatte die Fremden mit Kennerblick ſofort richtig eingeſchätzt.
Man mußte, um zu der Dachkammer zu gelangen, durch das Familienzimmer der Vermieter gehen. Zwei nicht gerade ſaubere Kinder krochen auf der Diele umher, ein anderes lag im Schlafkorb. Die Frau ſah leidend aus und abge¬ härmt.
Häſchke fragte nach dem Preis des Bettes. „Zwei Mark die Woche!“ lautete die zaghafte Antwort. Häſchke meinte, das ſei viel, handelte aber nicht. Den gutmütigen Geſellen dauerte die Frau. Man wurde handelseinig.
Die Wanderburſchen legten die ‚Berliner‛ ab und ſuch¬ ten, ſich fein zu machen; man war ja in der Stadt! Die Wirtin gab dazu ihr eigenes Waſchbecken her; auch ein Stück Seife und ein Handtuch fand ſich herzu. Man war ſchnell in gutes Einvernehmen mit der Frau gekommen. Häſchke hatte das Wohlgefallen der Mutter durch kleine Späßchen mit den Kindern zu erobern verſtanden.
Die beiden verſpürten Hunger. Häſchke entſann ſich einer Kneipe, in der er früher, als er hier als Schloſſerlehr¬ ling gearbeitet, oft verkehrt hatte. Dort würde man auch allerhand erfahren, was in der Welt vorgehe.
Man befand ſich im Fabrik- und Arbeiterviertel der Stadt. Auch jene Kneipe entſprach der Umgebung: nüchtern
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lich, wie er ſich durch die große Stadt zum Ziele fand. Ein¬
zweimal wurde gefragt — nicht der Poliziſt, „denn der wird
Dir bloß grob, wenn Du keinen guten Rock anhaſt!“ — er¬
läuterte Häſchkekarl.
Bei Müller auf der Feldſtraße mußten ſie vier Treppen
ſteigen. Der Mann war in der Fabrik, die Frau zeigte die
Schlafſtellen.
In einer Dachkammer, deren Decke ſchräg abfiel, ſtanden
fünf Betten, ſo eng nebeneinander, daß die hinteren Schlaf¬
burſchen über die Betten der vorderen ſteigen mußten. Zwei
Betten waren beſetzt, „an junge Leute, die auch Arbeit ſuchen“,
wie die Frau mit einem Blicke auf die Berliner der beiden
ſagte; ſie hatte die Fremden mit Kennerblick ſofort richtig
eingeſchätzt.
Man mußte, um zu der Dachkammer zu gelangen, durch
das Familienzimmer der Vermieter gehen. Zwei nicht gerade
ſaubere Kinder krochen auf der Diele umher, ein anderes
lag im Schlafkorb. Die Frau ſah leidend aus und abge¬
härmt.
Häſchke fragte nach dem Preis des Bettes. „Zwei Mark
die Woche!“ lautete die zaghafte Antwort. Häſchke meinte, das
ſei viel, handelte aber nicht. Den gutmütigen Geſellen dauerte
die Frau. Man wurde handelseinig.
Die Wanderburſchen legten die ‚Berliner‛ ab und ſuch¬
ten, ſich fein zu machen; man war ja in der Stadt! Die
Wirtin gab dazu ihr eigenes Waſchbecken her; auch ein Stück
Seife und ein Handtuch fand ſich herzu. Man war ſchnell
in gutes Einvernehmen mit der Frau gekommen. Häſchke hatte
das Wohlgefallen der Mutter durch kleine Späßchen mit den
Kindern zu erobern verſtanden.
Die beiden verſpürten Hunger. Häſchke entſann ſich
einer Kneipe, in der er früher, als er hier als Schloſſerlehr¬
ling gearbeitet, oft verkehrt hatte. Dort würde man auch
allerhand erfahren, was in der Welt vorgehe.
Man befand ſich im Fabrik- und Arbeiterviertel der
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Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895, S. 365. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/379>, abgerufen am 24.11.2024.
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