Im Gasthof zu Wörmsbach bot sich dem Eintretenden ein ganz anderes Bild dar, als neulich in Halbenau. Der Auf¬ seheragent saß auf einem erhöhten Podium, neben ihm ein junger Mann, welcher schrieb. Seinen Vortrag schien Zittwitz bereits gehalten zu haben. Hin und wieder richtete er noch ein Wort der Erläuterung an die Menge, oder beantwortete Fragen einzelner, die an ihn herantraten. Er schien von Männern aus der Versammlung unterstützt zu werden, die von Tisch zu Tisch, und von Gruppe zu Gruppe mit Zetteln gingen, und den Leuten zusetzten, sie sollten unterschreiben. Besonders rührig darin zeigte sich ein gewisser Wenzelsgust, der für ge¬ wöhnlich als arbeitsscheues Individuum bekannt war. Dieser Mensch lief hier mit wichtiger Miene geschäftig umher, und redete den Leuten zu, sie dürften sich eine solche Gelegenheit zur Ar¬ beit um keinen Preis entgehen lassen.
Hin und wieder trat ein Bursche, oder ein Mädchen an das Podium und sprach mit dem Agenten. Waren sie handelseinig geworden, dann ließ sich der Schreiber die Per¬ sonalien angeben, füllte ein Formular aus, und der Neu¬ geworbene setzte seinen Namen unter den Kontrakt. Von Zeit zu Zeit verlas der Agent dann mit lauter Stimme die Namen und knüpfte daran Worte der Ermunterung an die, welche noch zauderten.
Doch spielte sich nicht alles so ruhig und geschäftsmäßig ab. Starke Gefühle, Leidenschaften und Triebe arbeiteten versteckt unter anscheinender Ruhe und Stumpfheit, in dieser Menge.
In Gustavs Nähe stand eine alte Frau und ein junges Mädchen. Wie aus ihren Worten zu merken, war die Greisin die Großmutter des kaum sechzehnjährigen bildhübschen Dinges. Die Alte hatte Thränen in den Augen und redete voll Eifer auf die Enkelin ein. Die blieb stumm, und blickte mit einem gewissen verinnerlichten Trotz in ihren kindlichen Zügen nach dem Podium hinüber, wo eben neue Sachsengänger sich meldeten.
"Ne, Guste!" sagte die alte Frau mit zitternder Stimme,
Im Gaſthof zu Wörmsbach bot ſich dem Eintretenden ein ganz anderes Bild dar, als neulich in Halbenau. Der Auf¬ ſeheragent ſaß auf einem erhöhten Podium, neben ihm ein junger Mann, welcher ſchrieb. Seinen Vortrag ſchien Zittwitz bereits gehalten zu haben. Hin und wieder richtete er noch ein Wort der Erläuterung an die Menge, oder beantwortete Fragen einzelner, die an ihn herantraten. Er ſchien von Männern aus der Verſammlung unterſtützt zu werden, die von Tiſch zu Tiſch, und von Gruppe zu Gruppe mit Zetteln gingen, und den Leuten zuſetzten, ſie ſollten unterſchreiben. Beſonders rührig darin zeigte ſich ein gewiſſer Wenzelsguſt, der für ge¬ wöhnlich als arbeitsſcheues Individuum bekannt war. Dieſer Menſch lief hier mit wichtiger Miene geſchäftig umher, und redete den Leuten zu, ſie dürften ſich eine ſolche Gelegenheit zur Ar¬ beit um keinen Preis entgehen laſſen.
Hin und wieder trat ein Burſche, oder ein Mädchen an das Podium und ſprach mit dem Agenten. Waren ſie handelseinig geworden, dann ließ ſich der Schreiber die Per¬ ſonalien angeben, füllte ein Formular aus, und der Neu¬ geworbene ſetzte ſeinen Namen unter den Kontrakt. Von Zeit zu Zeit verlas der Agent dann mit lauter Stimme die Namen und knüpfte daran Worte der Ermunterung an die, welche noch zauderten.
Doch ſpielte ſich nicht alles ſo ruhig und geſchäftsmäßig ab. Starke Gefühle, Leidenſchaften und Triebe arbeiteten verſteckt unter anſcheinender Ruhe und Stumpfheit, in dieſer Menge.
In Guſtavs Nähe ſtand eine alte Frau und ein junges Mädchen. Wie aus ihren Worten zu merken, war die Greiſin die Großmutter des kaum ſechzehnjährigen bildhübſchen Dinges. Die Alte hatte Thränen in den Augen und redete voll Eifer auf die Enkelin ein. Die blieb ſtumm, und blickte mit einem gewiſſen verinnerlichten Trotz in ihren kindlichen Zügen nach dem Podium hinüber, wo eben neue Sachſengänger ſich meldeten.
„Ne, Guſte!“ ſagte die alte Frau mit zitternder Stimme,
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Im Gaſthof zu Wörmsbach bot ſich dem Eintretenden ein
ganz anderes Bild dar, als neulich in Halbenau. Der Auf¬
ſeheragent ſaß auf einem erhöhten Podium, neben ihm ein
junger Mann, welcher ſchrieb. Seinen Vortrag ſchien Zittwitz
bereits gehalten zu haben. Hin und wieder richtete er noch
ein Wort der Erläuterung an die Menge, oder beantwortete
Fragen einzelner, die an ihn herantraten. Er ſchien von
Männern aus der Verſammlung unterſtützt zu werden, die von
Tiſch zu Tiſch, und von Gruppe zu Gruppe mit Zetteln gingen,
und den Leuten zuſetzten, ſie ſollten unterſchreiben. Beſonders
rührig darin zeigte ſich ein gewiſſer Wenzelsguſt, der für ge¬
wöhnlich als arbeitsſcheues Individuum bekannt war. Dieſer
Menſch lief hier mit wichtiger Miene geſchäftig umher, und redete
den Leuten zu, ſie dürften ſich eine ſolche Gelegenheit zur Ar¬
beit um keinen Preis entgehen laſſen.
Hin und wieder trat ein Burſche, oder ein Mädchen
an das Podium und ſprach mit dem Agenten. Waren ſie
handelseinig geworden, dann ließ ſich der Schreiber die Per¬
ſonalien angeben, füllte ein Formular aus, und der Neu¬
geworbene ſetzte ſeinen Namen unter den Kontrakt. Von Zeit
zu Zeit verlas der Agent dann mit lauter Stimme die Namen
und knüpfte daran Worte der Ermunterung an die, welche noch
zauderten.
Doch ſpielte ſich nicht alles ſo ruhig und geſchäftsmäßig
ab. Starke Gefühle, Leidenſchaften und Triebe arbeiteten
verſteckt unter anſcheinender Ruhe und Stumpfheit, in dieſer
Menge.
In Guſtavs Nähe ſtand eine alte Frau und ein junges
Mädchen. Wie aus ihren Worten zu merken, war die Greiſin
die Großmutter des kaum ſechzehnjährigen bildhübſchen Dinges.
Die Alte hatte Thränen in den Augen und redete voll Eifer
auf die Enkelin ein. Die blieb ſtumm, und blickte mit einem
gewiſſen verinnerlichten Trotz in ihren kindlichen Zügen nach
dem Podium hinüber, wo eben neue Sachſengänger ſich
meldeten.
„Ne, Guſte!“ ſagte die alte Frau mit zitternder Stimme,
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Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895, S. 236. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/250>, abgerufen am 24.11.2024.
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