Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895.

Bild:
<< vorherige Seite

Je älter der Bauer wurde, desto mehr zog er sich auf sich
selbst zurück, umgab sich mit einem Mantel von Welthaß und
Menschenverachtung. Und je einsamer er sich so machte, desto
stärker wurde doch in ihm das Bedürfnis, welches tief in der
Brust eines jeden Menschen lebt: sein Leben über den Tod
hinaus fortzusetzen, seine Persönlichkeit nicht untergehen zu
sehen, seinen Werken die Fortdauer zu sichern, daß er nicht
der Vergessenheit anheimfalle, die Erinnerung an ihn nicht
ausgelöscht werde, wie die Fußspur im Sande. Wäre er eine
mystisch angelegte Natur gewesen, so hätte er sein Heil in
der Gläubigkeit gesucht. Aber er war derb und nüchtern,
ein Bauer; alle seine Triebe waren der lebendigen Wirklich¬
keit zugewandt. Darum konnte ihm die Seligkeit, wie
sie das Christentum versprach, wenig Trost gewähren. Ein
Himmel mit rein geistigen Freuden bot ihm keine An¬
ziehung. Er wollte nicht Verklärung, er wollte Fortsetzung
der Wirklichkeit, an der sein Ich mit allen Fasern hing. Er
war ein Sohn der Erde. Was er hier gewesen, was er
auf dieser Welt geschaffen und gewollt, sollte ewigen Bestand
haben.

Es konnte darum keine bitterere Erfahrung für den alten
Mann geben, als mit ansehen zu müssen, wie sein Lebenswerk
mehr und mehr dem Untergange entgegensteuerte. Von allen
Seiten sah er feindliche Mächte vordringen, die ihm das ent¬
reißen wollten, was er aus der Hand seines Vaters als
das köstlichste Erbteil empfangen hatte: sein Gut. Und in
seinem Kummer war ein Stachel verborgen; ein Tropfen gab
dem Kelche den bittersten Beigeschmack: der Selbstvorwurf.
Er wollte es sich nicht eingestehen, aber er mußte es doch
fühlen, das wurmende und brennende Bewußtsein, daß er selbst
die Schuld trug. Solche Erkenntnis kam nur blitzartig über
ihn. Er wußte die selbstanklägerische Stimmung wohl zu
verscheuchen. Andere waren schuld, nicht er! die schlechten
Zeiten, die Verhältnisse. Haß gegen die Welt, das war der
beste Trost, Ingrimm das beste Schutzmittel des Trotzigen
gegen die gefürchtete Reue.

W. v. Polenz, Der Büttnerbauer. 11

Je älter der Bauer wurde, deſto mehr zog er ſich auf ſich
ſelbſt zurück, umgab ſich mit einem Mantel von Welthaß und
Menſchenverachtung. Und je einſamer er ſich ſo machte, deſto
ſtärker wurde doch in ihm das Bedürfnis, welches tief in der
Bruſt eines jeden Menſchen lebt: ſein Leben über den Tod
hinaus fortzuſetzen, ſeine Perſönlichkeit nicht untergehen zu
ſehen, ſeinen Werken die Fortdauer zu ſichern, daß er nicht
der Vergeſſenheit anheimfalle, die Erinnerung an ihn nicht
ausgelöſcht werde, wie die Fußſpur im Sande. Wäre er eine
myſtiſch angelegte Natur geweſen, ſo hätte er ſein Heil in
der Gläubigkeit geſucht. Aber er war derb und nüchtern,
ein Bauer; alle ſeine Triebe waren der lebendigen Wirklich¬
keit zugewandt. Darum konnte ihm die Seligkeit, wie
ſie das Chriſtentum verſprach, wenig Troſt gewähren. Ein
Himmel mit rein geiſtigen Freuden bot ihm keine An¬
ziehung. Er wollte nicht Verklärung, er wollte Fortſetzung
der Wirklichkeit, an der ſein Ich mit allen Faſern hing. Er
war ein Sohn der Erde. Was er hier geweſen, was er
auf dieſer Welt geſchaffen und gewollt, ſollte ewigen Beſtand
haben.

Es konnte darum keine bitterere Erfahrung für den alten
Mann geben, als mit anſehen zu müſſen, wie ſein Lebenswerk
mehr und mehr dem Untergange entgegenſteuerte. Von allen
Seiten ſah er feindliche Mächte vordringen, die ihm das ent¬
reißen wollten, was er aus der Hand ſeines Vaters als
das köſtlichſte Erbteil empfangen hatte: ſein Gut. Und in
ſeinem Kummer war ein Stachel verborgen; ein Tropfen gab
dem Kelche den bitterſten Beigeſchmack: der Selbſtvorwurf.
Er wollte es ſich nicht eingeſtehen, aber er mußte es doch
fühlen, das wurmende und brennende Bewußtſein, daß er ſelbſt
die Schuld trug. Solche Erkenntnis kam nur blitzartig über
ihn. Er wußte die ſelbſtanklägeriſche Stimmung wohl zu
verſcheuchen. Andere waren ſchuld, nicht er! die ſchlechten
Zeiten, die Verhältniſſe. Haß gegen die Welt, das war der
beſte Troſt, Ingrimm das beſte Schutzmittel des Trotzigen
gegen die gefürchtete Reue.

W. v. Polenz, Der Büttnerbauer. 11
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0175" n="161"/>
          <p>Je älter der Bauer wurde, de&#x017F;to mehr zog er &#x017F;ich auf &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t zurück, umgab &#x017F;ich mit einem Mantel von Welthaß und<lb/>
Men&#x017F;chenverachtung. Und je ein&#x017F;amer er &#x017F;ich &#x017F;o machte, de&#x017F;to<lb/>
&#x017F;tärker wurde doch in ihm das Bedürfnis, welches tief in der<lb/>
Bru&#x017F;t eines jeden Men&#x017F;chen lebt: &#x017F;ein Leben über den Tod<lb/>
hinaus fortzu&#x017F;etzen, &#x017F;eine Per&#x017F;önlichkeit nicht untergehen zu<lb/>
&#x017F;ehen, &#x017F;einen Werken die Fortdauer zu &#x017F;ichern, daß er nicht<lb/>
der Verge&#x017F;&#x017F;enheit anheimfalle, die Erinnerung an ihn nicht<lb/>
ausgelö&#x017F;cht werde, wie die Fuß&#x017F;pur im Sande. Wäre er eine<lb/>
my&#x017F;ti&#x017F;ch angelegte Natur gewe&#x017F;en, &#x017F;o hätte er &#x017F;ein Heil in<lb/>
der Gläubigkeit ge&#x017F;ucht. Aber er war derb und nüchtern,<lb/>
ein Bauer; alle &#x017F;eine Triebe waren der lebendigen Wirklich¬<lb/>
keit zugewandt. Darum konnte ihm die Seligkeit, wie<lb/>
&#x017F;ie das Chri&#x017F;tentum ver&#x017F;prach, wenig Tro&#x017F;t gewähren. Ein<lb/>
Himmel mit rein gei&#x017F;tigen Freuden bot ihm keine An¬<lb/>
ziehung. Er wollte nicht Verklärung, er wollte Fort&#x017F;etzung<lb/>
der Wirklichkeit, an der &#x017F;ein Ich mit allen Fa&#x017F;ern hing. Er<lb/>
war ein Sohn der Erde. Was er hier gewe&#x017F;en, was er<lb/>
auf die&#x017F;er Welt ge&#x017F;chaffen und gewollt, &#x017F;ollte ewigen Be&#x017F;tand<lb/>
haben.</p><lb/>
          <p>Es konnte darum keine bitterere Erfahrung für den alten<lb/>
Mann geben, als mit an&#x017F;ehen zu mü&#x017F;&#x017F;en, wie &#x017F;ein Lebenswerk<lb/>
mehr und mehr dem Untergange entgegen&#x017F;teuerte. Von allen<lb/>
Seiten &#x017F;ah er feindliche Mächte vordringen, die ihm das ent¬<lb/>
reißen wollten, was er aus der Hand &#x017F;eines Vaters als<lb/>
das kö&#x017F;tlich&#x017F;te Erbteil empfangen hatte: &#x017F;ein Gut. Und in<lb/>
&#x017F;einem Kummer war ein Stachel verborgen; ein Tropfen gab<lb/>
dem Kelche den bitter&#x017F;ten Beige&#x017F;chmack: der Selb&#x017F;tvorwurf.<lb/>
Er wollte es &#x017F;ich nicht einge&#x017F;tehen, aber er mußte es doch<lb/>
fühlen, das wurmende und brennende Bewußt&#x017F;ein, daß er &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
die Schuld trug. Solche Erkenntnis kam nur blitzartig über<lb/>
ihn. Er wußte die &#x017F;elb&#x017F;tanklägeri&#x017F;che Stimmung wohl zu<lb/>
ver&#x017F;cheuchen. Andere waren &#x017F;chuld, nicht er! die &#x017F;chlechten<lb/>
Zeiten, die Verhältni&#x017F;&#x017F;e. Haß gegen die Welt, das war der<lb/>
be&#x017F;te Tro&#x017F;t, Ingrimm das be&#x017F;te Schutzmittel des Trotzigen<lb/>
gegen die gefürchtete Reue.</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">W</hi>. <hi rendition="#g">v</hi>. <hi rendition="#g">Polenz</hi>, Der Büttnerbauer. 11<lb/></fw>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[161/0175] Je älter der Bauer wurde, deſto mehr zog er ſich auf ſich ſelbſt zurück, umgab ſich mit einem Mantel von Welthaß und Menſchenverachtung. Und je einſamer er ſich ſo machte, deſto ſtärker wurde doch in ihm das Bedürfnis, welches tief in der Bruſt eines jeden Menſchen lebt: ſein Leben über den Tod hinaus fortzuſetzen, ſeine Perſönlichkeit nicht untergehen zu ſehen, ſeinen Werken die Fortdauer zu ſichern, daß er nicht der Vergeſſenheit anheimfalle, die Erinnerung an ihn nicht ausgelöſcht werde, wie die Fußſpur im Sande. Wäre er eine myſtiſch angelegte Natur geweſen, ſo hätte er ſein Heil in der Gläubigkeit geſucht. Aber er war derb und nüchtern, ein Bauer; alle ſeine Triebe waren der lebendigen Wirklich¬ keit zugewandt. Darum konnte ihm die Seligkeit, wie ſie das Chriſtentum verſprach, wenig Troſt gewähren. Ein Himmel mit rein geiſtigen Freuden bot ihm keine An¬ ziehung. Er wollte nicht Verklärung, er wollte Fortſetzung der Wirklichkeit, an der ſein Ich mit allen Faſern hing. Er war ein Sohn der Erde. Was er hier geweſen, was er auf dieſer Welt geſchaffen und gewollt, ſollte ewigen Beſtand haben. Es konnte darum keine bitterere Erfahrung für den alten Mann geben, als mit anſehen zu müſſen, wie ſein Lebenswerk mehr und mehr dem Untergange entgegenſteuerte. Von allen Seiten ſah er feindliche Mächte vordringen, die ihm das ent¬ reißen wollten, was er aus der Hand ſeines Vaters als das köſtlichſte Erbteil empfangen hatte: ſein Gut. Und in ſeinem Kummer war ein Stachel verborgen; ein Tropfen gab dem Kelche den bitterſten Beigeſchmack: der Selbſtvorwurf. Er wollte es ſich nicht eingeſtehen, aber er mußte es doch fühlen, das wurmende und brennende Bewußtſein, daß er ſelbſt die Schuld trug. Solche Erkenntnis kam nur blitzartig über ihn. Er wußte die ſelbſtanklägeriſche Stimmung wohl zu verſcheuchen. Andere waren ſchuld, nicht er! die ſchlechten Zeiten, die Verhältniſſe. Haß gegen die Welt, das war der beſte Troſt, Ingrimm das beſte Schutzmittel des Trotzigen gegen die gefürchtete Reue. W. v. Polenz, Der Büttnerbauer. 11

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/175
Zitationshilfe: Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895, S. 161. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/175>, abgerufen am 29.11.2024.