neuen Ordnung der Dinge, welche durch die Bauernbefreiung und die Gemeinheitsteilung in den bäuerlichen Verhältnissen entstanden war, nicht mehr zu recht. Er hatte die Zeiten der Erbunterthänigkeit unter die Gutsherrschaft und die Fronden durchgemacht. Als junger Mensch hatte er drei Jahre lang im Zwangsgesindedienst auf dem Gutshofe gescharwerkt. Später waren von ihm die fälligen Spanndienste für die Herrschaft abgeleistet worden. Er lebte ganz und gar in den Anschauungen der Hörigkeit. Der Hofedienst ging allem anderen voraus. Der Graf, sein gnädiger Herr, konnte ihm sein Gut weg¬ nehmen, wenn er wollte, und einen anderen an seine Stelle setzen, wie es ihm gerade paßte. Der Herr hatte die oberste Polizei und Strafgewalt und verfügte über Leib und Ver¬ mögen seines Unterthanen.
Das wurde nun mit einemmale alles anders. Der Bauer sollte fortan ein freier Herr sein, auf eigenem Grund und Boden. Dabei fiel mit den Pflichten auch der Schutz weg. den die Gutsherrschaft den Unterthanen gewährt hatte. Viele Leute, besonders die alten, in der Erbunterthänigkeit groß gewordenen, konnten sich in diese Änderung der Dinge nicht finden. Sie hatten gar kein Bedürfnis nach Freiheit empfunden. Seit Menschengedenken hatten ihre Familien Hofedienste ge¬ than, hatten unter Obhut und Leitung des Edelmannes ihr Leben zugebracht; Selbständigkeit und Freiheit waren für sie Worte ohne Sinn. Sie wollten es nicht anders haben, als ihre Väter es gehabt. Der Gutsherr hatte ihre Kräfte benutzt, hatte sie vielleicht über Gebühr angestrengt, aber er hatte auch für sie gedacht, und sie in schlimmen Zeiten geschützt. Das gebot ihm das eigenste Interesse; sie gehörten ihm ja, waren seine Leute, ohn deren kräftige Hände sein Besitz wertlos war. Nun sollten sie auf einmal für sich selber denken und sorgen. Sie standen auf eigene Füße gestellt, verantwortlich für ihre Thaten. Gar manchen fröstelte da in der neugeschenkten Freiheit, und er wünschte sich in das Joch der Hörigkeit zurück.
So ging es auch dem alten Büttner. Schwere Zeiten
neuen Ordnung der Dinge, welche durch die Bauernbefreiung und die Gemeinheitsteilung in den bäuerlichen Verhältniſſen entſtanden war, nicht mehr zu recht. Er hatte die Zeiten der Erbunterthänigkeit unter die Gutsherrſchaft und die Fronden durchgemacht. Als junger Menſch hatte er drei Jahre lang im Zwangsgeſindedienſt auf dem Gutshofe geſcharwerkt. Später waren von ihm die fälligen Spanndienſte für die Herrſchaft abgeleiſtet worden. Er lebte ganz und gar in den Anſchauungen der Hörigkeit. Der Hofedienſt ging allem anderen voraus. Der Graf, ſein gnädiger Herr, konnte ihm ſein Gut weg¬ nehmen, wenn er wollte, und einen anderen an ſeine Stelle ſetzen, wie es ihm gerade paßte. Der Herr hatte die oberſte Polizei und Strafgewalt und verfügte über Leib und Ver¬ mögen ſeines Unterthanen.
Das wurde nun mit einemmale alles anders. Der Bauer ſollte fortan ein freier Herr ſein, auf eigenem Grund und Boden. Dabei fiel mit den Pflichten auch der Schutz weg. den die Gutsherrſchaft den Unterthanen gewährt hatte. Viele Leute, beſonders die alten, in der Erbunterthänigkeit groß gewordenen, konnten ſich in dieſe Änderung der Dinge nicht finden. Sie hatten gar kein Bedürfnis nach Freiheit empfunden. Seit Menſchengedenken hatten ihre Familien Hofedienſte ge¬ than, hatten unter Obhut und Leitung des Edelmannes ihr Leben zugebracht; Selbſtändigkeit und Freiheit waren für ſie Worte ohne Sinn. Sie wollten es nicht anders haben, als ihre Väter es gehabt. Der Gutsherr hatte ihre Kräfte benutzt, hatte ſie vielleicht über Gebühr angeſtrengt, aber er hatte auch für ſie gedacht, und ſie in ſchlimmen Zeiten geſchützt. Das gebot ihm das eigenſte Intereſſe; ſie gehörten ihm ja, waren ſeine Leute, ohn deren kräftige Hände ſein Beſitz wertlos war. Nun ſollten ſie auf einmal für ſich ſelber denken und ſorgen. Sie ſtanden auf eigene Füße geſtellt, verantwortlich für ihre Thaten. Gar manchen fröſtelte da in der neugeſchenkten Freiheit, und er wünſchte ſich in das Joch der Hörigkeit zurück.
So ging es auch dem alten Büttner. Schwere Zeiten
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neuen Ordnung der Dinge, welche durch die Bauernbefreiung
und die Gemeinheitsteilung in den bäuerlichen Verhältniſſen
entſtanden war, nicht mehr zu recht. Er hatte die Zeiten der
Erbunterthänigkeit unter die Gutsherrſchaft und die Fronden
durchgemacht. Als junger Menſch hatte er drei Jahre lang
im Zwangsgeſindedienſt auf dem Gutshofe geſcharwerkt. Später
waren von ihm die fälligen Spanndienſte für die Herrſchaft
abgeleiſtet worden. Er lebte ganz und gar in den Anſchauungen
der Hörigkeit. Der Hofedienſt ging allem anderen voraus.
Der Graf, ſein gnädiger Herr, konnte ihm ſein Gut weg¬
nehmen, wenn er wollte, und einen anderen an ſeine Stelle
ſetzen, wie es ihm gerade paßte. Der Herr hatte die oberſte
Polizei und Strafgewalt und verfügte über Leib und Ver¬
mögen ſeines Unterthanen.
Das wurde nun mit einemmale alles anders. Der Bauer
ſollte fortan ein freier Herr ſein, auf eigenem Grund und
Boden. Dabei fiel mit den Pflichten auch der Schutz weg.
den die Gutsherrſchaft den Unterthanen gewährt hatte. Viele
Leute, beſonders die alten, in der Erbunterthänigkeit groß
gewordenen, konnten ſich in dieſe Änderung der Dinge nicht
finden. Sie hatten gar kein Bedürfnis nach Freiheit empfunden.
Seit Menſchengedenken hatten ihre Familien Hofedienſte ge¬
than, hatten unter Obhut und Leitung des Edelmannes ihr
Leben zugebracht; Selbſtändigkeit und Freiheit waren für ſie
Worte ohne Sinn. Sie wollten es nicht anders haben, als
ihre Väter es gehabt. Der Gutsherr hatte ihre Kräfte benutzt,
hatte ſie vielleicht über Gebühr angeſtrengt, aber er hatte auch
für ſie gedacht, und ſie in ſchlimmen Zeiten geſchützt. Das
gebot ihm das eigenſte Intereſſe; ſie gehörten ihm ja, waren
ſeine Leute, ohn deren kräftige Hände ſein Beſitz wertlos war.
Nun ſollten ſie auf einmal für ſich ſelber denken und ſorgen.
Sie ſtanden auf eigene Füße geſtellt, verantwortlich für ihre
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zurück.
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Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/168>, abgerufen am 28.11.2024.
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