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Poersch, Bruno: Woran krankt die deutsche Gewerkschaftsbewegung? Berlin, 1897.

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die keine praktische Thätigkeit hinter sich haben, die Lehrlinge,
aber auch zugleich Feldherr sind. -- Alle Erfahrungen -- und
diese spielen im gewerkschaftlichen Kampfe eine gewaltige Rolle
-- welche der Einzelne im Laufe seiner Thätigkeit gesammelt
hat, und sie später nutzbringend verwenden konnte,
gehen der Bewegung verloren, weil diese immer m[ - 1 Zeichen fehlt]t neuen
Kräften -- wie schon gesagt -- zu rechnen hat und daher auch
die vielen Böcke, die bei uns in gewerkschaftlichen Kämpfen ge¬
schossen werden. -- Bedeutend vernünftiger und praktischer da¬
gegen handeln in dieser Beziehung wieder die englischen Organi¬
sationen. Die selbstmörderische Kurzsichtigkeit der deutschen Or¬
ganisationen fehlt ihnen auch in diesem Punkte. Sie gewähren
ihren leitenden Personen pro Sitzungsabend eine Entschädigung
von 50 Pfg. bis 1 Mk. Die Ortssekretäre erhalten ein kleines
Gehalt, welches nach C. Hugo sich bei 300 Mitgliedern bis auf
400 Mark pro Jahr beläuft. -- Hierdurch verlangen sie von
ihren führenden Kräften nicht Opfer, die niemand ohne sich selbst
zu schädigen bringen kann und sichern sich einen erfahrenen und
tüchtigen Beamtenstab. -- Natürlich wird, wenn die Organi¬
sationen mit der Ausbauung des Unterstützungswesens an
Stabilität zunehmen, auch dieses einen günstigen Einfluß auf
das Beamtenwesen ausüben.


V.
Die Sozialpolitik und die Gewerkschaften.

Die Frage, ob die Gewerkschaften Sozialpolitik treiben sollen
oder nicht, ist in den letzten Monaten wiederholt behandelt
worden, so durch Quarck, Parvus und in den allerletzten
Wochen durch einen Aufsatz von G. Maurer in der "Neuen
Zeit". Daher will auch ich meine diesbezügliche Ansicht kurz
darlegen.

Meiner Ansicht nach unterliegt es gar keinem Zweifel, daß
die Gewerkschaften Sozialpolitik treiben müssen. -- Sie haben
solche auch immer getrieben, nur nicht im genügenden Maße,
mehr unbewußt als bewußt und nicht planmäßig. Die Gewerk¬
schaften werden namentlich nach drei Richtungen in dieser Be¬
ziehung arbeiten müssen und zwar: 1) für die Durchführung
der bestehenden Sozialgesetzgebung Sorge zu tragen
;
2) in die Verwaltungskörper der sozialen Gesetz¬
gebung einzudringen
und 3) Verbesserungsvorschläge
bestehender Sozialgesetze zu machen und weitere
,
neue Sozialgesetze zu verlangen. -- Wie ich früher schon
ausgeführt habe, steht durchweg die ganze Arbeiterschutzgesetzgebung
nur auf dem Papier; sie wird in tausenden und abermals
tausenden Fällen täglich von dem Unternehmerthum mit Füßen
getreten. Das führen schon die Berichte der Fabrikinspektoren

die keine praktiſche Thätigkeit hinter ſich haben, die Lehrlinge,
aber auch zugleich Feldherr ſind. — Alle Erfahrungen — und
dieſe ſpielen im gewerkſchaftlichen Kampfe eine gewaltige Rolle
— welche der Einzelne im Laufe ſeiner Thätigkeit geſammelt
hat, und ſie ſpäter nutzbringend verwenden konnte,
gehen der Bewegung verloren, weil dieſe immer m[ – 1 Zeichen fehlt]t neuen
Kräften — wie ſchon geſagt — zu rechnen hat und daher auch
die vielen Böcke, die bei uns in gewerkſchaftlichen Kämpfen ge¬
ſchoſſen werden. — Bedeutend vernünftiger und praktiſcher da¬
gegen handeln in dieſer Beziehung wieder die engliſchen Organi¬
ſationen. Die ſelbſtmörderiſche Kurzſichtigkeit der deutſchen Or¬
ganiſationen fehlt ihnen auch in dieſem Punkte. Sie gewähren
ihren leitenden Perſonen pro Sitzungsabend eine Entſchädigung
von 50 Pfg. bis 1 Mk. Die Ortsſekretäre erhalten ein kleines
Gehalt, welches nach C. Hugo ſich bei 300 Mitgliedern bis auf
400 Mark pro Jahr beläuft. — Hierdurch verlangen ſie von
ihren führenden Kräften nicht Opfer, die niemand ohne ſich ſelbſt
zu ſchädigen bringen kann und ſichern ſich einen erfahrenen und
tüchtigen Beamtenſtab. — Natürlich wird, wenn die Organi¬
ſationen mit der Ausbauung des Unterſtützungsweſens an
Stabilität zunehmen, auch dieſes einen günſtigen Einfluß auf
das Beamtenweſen ausüben.


V.
Die Sozialpolitik und die Gewerkſchaften.

Die Frage, ob die Gewerkſchaften Sozialpolitik treiben ſollen
oder nicht, iſt in den letzten Monaten wiederholt behandelt
worden, ſo durch Quarck, Parvus und in den allerletzten
Wochen durch einen Aufſatz von G. Maurer in der „Neuen
Zeit“. Daher will auch ich meine diesbezügliche Anſicht kurz
darlegen.

Meiner Anſicht nach unterliegt es gar keinem Zweifel, daß
die Gewerkſchaften Sozialpolitik treiben müſſen. — Sie haben
ſolche auch immer getrieben, nur nicht im genügenden Maße,
mehr unbewußt als bewußt und nicht planmäßig. Die Gewerk¬
ſchaften werden namentlich nach drei Richtungen in dieſer Be¬
ziehung arbeiten müſſen und zwar: 1) für die Durchführung
der beſtehenden Sozialgeſetzgebung Sorge zu tragen
;
2) in die Verwaltungskörper der ſozialen Geſetz¬
gebung einzudringen
und 3) Verbeſſerungsvorſchläge
beſtehender Sozialgeſetze zu machen und weitere
,
neue Sozialgeſetze zu verlangen. — Wie ich früher ſchon
ausgeführt habe, ſteht durchweg die ganze Arbeiterſchutzgeſetzgebung
nur auf dem Papier; ſie wird in tauſenden und abermals
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getreten. Das führen ſchon die Berichte der Fabrikinſpektoren

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[28/0036] die keine praktiſche Thätigkeit hinter ſich haben, die Lehrlinge, aber auch zugleich Feldherr ſind. — Alle Erfahrungen — und dieſe ſpielen im gewerkſchaftlichen Kampfe eine gewaltige Rolle — welche der Einzelne im Laufe ſeiner Thätigkeit geſammelt hat, und ſie ſpäter nutzbringend verwenden konnte, gehen der Bewegung verloren, weil dieſe immer m_t neuen Kräften — wie ſchon geſagt — zu rechnen hat und daher auch die vielen Böcke, die bei uns in gewerkſchaftlichen Kämpfen ge¬ ſchoſſen werden. — Bedeutend vernünftiger und praktiſcher da¬ gegen handeln in dieſer Beziehung wieder die engliſchen Organi¬ ſationen. Die ſelbſtmörderiſche Kurzſichtigkeit der deutſchen Or¬ ganiſationen fehlt ihnen auch in dieſem Punkte. Sie gewähren ihren leitenden Perſonen pro Sitzungsabend eine Entſchädigung von 50 Pfg. bis 1 Mk. Die Ortsſekretäre erhalten ein kleines Gehalt, welches nach C. Hugo ſich bei 300 Mitgliedern bis auf 400 Mark pro Jahr beläuft. — Hierdurch verlangen ſie von ihren führenden Kräften nicht Opfer, die niemand ohne ſich ſelbſt zu ſchädigen bringen kann und ſichern ſich einen erfahrenen und tüchtigen Beamtenſtab. — Natürlich wird, wenn die Organi¬ ſationen mit der Ausbauung des Unterſtützungsweſens an Stabilität zunehmen, auch dieſes einen günſtigen Einfluß auf das Beamtenweſen ausüben. V. Die Sozialpolitik und die Gewerkſchaften. Die Frage, ob die Gewerkſchaften Sozialpolitik treiben ſollen oder nicht, iſt in den letzten Monaten wiederholt behandelt worden, ſo durch Quarck, Parvus und in den allerletzten Wochen durch einen Aufſatz von G. Maurer in der „Neuen Zeit“. Daher will auch ich meine diesbezügliche Anſicht kurz darlegen. Meiner Anſicht nach unterliegt es gar keinem Zweifel, daß die Gewerkſchaften Sozialpolitik treiben müſſen. — Sie haben ſolche auch immer getrieben, nur nicht im genügenden Maße, mehr unbewußt als bewußt und nicht planmäßig. Die Gewerk¬ ſchaften werden namentlich nach drei Richtungen in dieſer Be¬ ziehung arbeiten müſſen und zwar: 1) für die Durchführung der beſtehenden Sozialgeſetzgebung Sorge zu tragen; 2) in die Verwaltungskörper der ſozialen Geſetz¬ gebung einzudringen und 3) Verbeſſerungsvorſchläge beſtehender Sozialgeſetze zu machen und weitere, neue Sozialgeſetze zu verlangen. — Wie ich früher ſchon ausgeführt habe, ſteht durchweg die ganze Arbeiterſchutzgeſetzgebung nur auf dem Papier; ſie wird in tauſenden und abermals tauſenden Fällen täglich von dem Unternehmerthum mit Füßen getreten. Das führen ſchon die Berichte der Fabrikinſpektoren

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Zitationshilfe: Poersch, Bruno: Woran krankt die deutsche Gewerkschaftsbewegung? Berlin, 1897, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/poersch_gewerkschaftsbewegung_1897/36>, abgerufen am 23.11.2024.