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Poersch, Bruno: Woran krankt die deutsche Gewerkschaftsbewegung? Berlin, 1897.

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die deutschen aufzuweisen haben. -- Nach dieser Richtung hin
müssen also die deutschen Gewerkschaftsorganisationen ausgebaut
werden, dann werden sie auch Fortschritte machen. Ohne Pulver
und Blei kann kein Krieg geführt werden und ohne Geld kein
gewerkschaftlicher Kampf, der Aussicht auf Erfolg haben soll.
Die deutschen Arbeiter kämpfen aber meistens ohne Geld. Sehr
richtig sagte der Genosse Dreher auf dem zweiten Kongreß der
Handelshilfsarbeiter: "Eine Kampfesorganisation ohne Kriegs¬
fonds kommt mir vor wie ein Soldat, der unter dem Tamtam
der Schlachtmusik in's Feld zieht, zu Hause aber Gewehr und
Patronen vergessen hat." -- Darum führe man die Arbeitslosen-
Unterstützung ein; sie wird größere Kassenbestände zur Folge
haben, sie wird die Masse zur Zahlung höherer Beiträge er¬
ziehen. --

Treffen die vorher näher erläuterten Umstände zu, wachsen
die Organisationen an Mitgliedern, Stabilität und Geld, so
müssen sich dadurch naturgemäß die Positionen der gewerkschaft¬
lichen Kämpfe bedeutend verbessern. Die Organisationen werden
z. B. Minimallöhne, wie in den meisten Berufen Englands, zur
Durchführung bringen können, die in Deutschland noch fast
überall in's Reich der Märchen gehören. -- Sie werden weitere
Erfolge erzielen. -- Viele Kämpfe, die bisher mit einer Nieder¬
lage endeten, würden dann Siege bedeuten. -- Ferner zu meiner
vierten Behauptung, daß Organisationen mit Arbeitslosen-Unter¬
stützung auch im Stande sind, die erzielten Errungenschaften auf
die Dauer festzuhalten. -- Die gegenwärtigen Organisationen
können dieses in der Regel nicht. Sobald die Geschäftslage sich
verschlechtert, ist der Unternehmer bemüht, den Arbeitern wieder
jene Zugeständnisse zu entreißen, die er ihnen zu Zeiten der
günstigen Konjunktur machen mußte. Dieses gelingt ihm in den
meisten Fällen ohne große Schwierigkeiten, da die Arbeiter so
gut wie gar keinen Widerstand dem entgegensetzen können. --
Nehmen wir einmal an, daß es den Arbeitern irgend einer
Branche bei günstiger Konjunktur gelungen war, einen Lohn von
21 Mk. pro Woche zu erzielen, so wird der Unternehmer, sobald
die günstige Geschäftslage etwas nachläßt, sofort den Versuch
machen, nur 20 oder 19 Mk. zu zahlen. Er rechnet sehr richtig
mit dem Umstand, daß sich in Folge der vergrößerten Arbeits¬
losigkeit genug Leute finden werden, die der Hunger zwingt, zu
diesen Bedingungen zu arbeiten. Daher werden seine Arbeiter
von 1000 in 999 Fällen, ohne auch nur ein Wort zu sagen, sich
mit der Bedingung einverstanden erklären, weil auch sie sehr gut
wissen, daß sie sonst sofort hinausfliegen und dann dem Hunger
preisgegeben sind. Wohl wird mancher eine Faust in der Tasche
machen, doch durch das drohende Gespenst des Hungers ge¬
zwungen, beugt er sich dem Willen und der Ausbeutung des
Unternehmers. -- Darum auch die Erscheinung, daß durchweg
den Organisationen ohne Arbeitslosen-Unterstützung die erzielten
Errungenschaften bald wieder entrissen werden, daß sie sich in
ihren Kämpfen im Kreise herumdrehen, Streiks unternehmen
müssen, um dasjenige wieder zu erobern, was bereits vor zehn
oder mehreren Jahren einmal errungen war -- Ganz anders

die deutſchen aufzuweiſen haben. — Nach dieſer Richtung hin
müſſen alſo die deutſchen Gewerkſchaftsorganiſationen ausgebaut
werden, dann werden ſie auch Fortſchritte machen. Ohne Pulver
und Blei kann kein Krieg geführt werden und ohne Geld kein
gewerkſchaftlicher Kampf, der Ausſicht auf Erfolg haben ſoll.
Die deutſchen Arbeiter kämpfen aber meiſtens ohne Geld. Sehr
richtig ſagte der Genoſſe Dreher auf dem zweiten Kongreß der
Handelshilfsarbeiter: „Eine Kampfesorganiſation ohne Kriegs¬
fonds kommt mir vor wie ein Soldat, der unter dem Tamtam
der Schlachtmuſik in's Feld zieht, zu Hauſe aber Gewehr und
Patronen vergeſſen hat.“ — Darum führe man die Arbeitsloſen-
Unterſtützung ein; ſie wird größere Kaſſenbeſtände zur Folge
haben, ſie wird die Maſſe zur Zahlung höherer Beiträge er¬
ziehen. —

Treffen die vorher näher erläuterten Umſtände zu, wachſen
die Organiſationen an Mitgliedern, Stabilität und Geld, ſo
müſſen ſich dadurch naturgemäß die Poſitionen der gewerkſchaft¬
lichen Kämpfe bedeutend verbeſſern. Die Organiſationen werden
z. B. Minimallöhne, wie in den meiſten Berufen Englands, zur
Durchführung bringen können, die in Deutſchland noch faſt
überall in's Reich der Märchen gehören. — Sie werden weitere
Erfolge erzielen. — Viele Kämpfe, die bisher mit einer Nieder¬
lage endeten, würden dann Siege bedeuten. — Ferner zu meiner
vierten Behauptung, daß Organiſationen mit Arbeitsloſen-Unter¬
ſtützung auch im Stande ſind, die erzielten Errungenſchaften auf
die Dauer feſtzuhalten. — Die gegenwärtigen Organiſationen
können dieſes in der Regel nicht. Sobald die Geſchäftslage ſich
verſchlechtert, iſt der Unternehmer bemüht, den Arbeitern wieder
jene Zugeſtändniſſe zu entreißen, die er ihnen zu Zeiten der
günſtigen Konjunktur machen mußte. Dieſes gelingt ihm in den
meiſten Fällen ohne große Schwierigkeiten, da die Arbeiter ſo
gut wie gar keinen Widerſtand dem entgegenſetzen können. —
Nehmen wir einmal an, daß es den Arbeitern irgend einer
Branche bei günſtiger Konjunktur gelungen war, einen Lohn von
21 Mk. pro Woche zu erzielen, ſo wird der Unternehmer, ſobald
die günſtige Geſchäftslage etwas nachläßt, ſofort den Verſuch
machen, nur 20 oder 19 Mk. zu zahlen. Er rechnet ſehr richtig
mit dem Umſtand, daß ſich in Folge der vergrößerten Arbeits¬
loſigkeit genug Leute finden werden, die der Hunger zwingt, zu
dieſen Bedingungen zu arbeiten. Daher werden ſeine Arbeiter
von 1000 in 999 Fällen, ohne auch nur ein Wort zu ſagen, ſich
mit der Bedingung einverſtanden erklären, weil auch ſie ſehr gut
wiſſen, daß ſie ſonſt ſofort hinausfliegen und dann dem Hunger
preisgegeben ſind. Wohl wird mancher eine Fauſt in der Taſche
machen, doch durch das drohende Geſpenſt des Hungers ge¬
zwungen, beugt er ſich dem Willen und der Ausbeutung des
Unternehmers. — Darum auch die Erſcheinung, daß durchweg
den Organiſationen ohne Arbeitsloſen-Unterſtützung die erzielten
Errungenſchaften bald wieder entriſſen werden, daß ſie ſich in
ihren Kämpfen im Kreiſe herumdrehen, Streiks unternehmen
müſſen, um dasjenige wieder zu erobern, was bereits vor zehn
oder mehreren Jahren einmal errungen war — Ganz anders

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Zitationshilfe: Poersch, Bruno: Woran krankt die deutsche Gewerkschaftsbewegung? Berlin, 1897, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/poersch_gewerkschaftsbewegung_1897/28>, abgerufen am 22.11.2024.