Poersch, Bruno: Woran krankt die deutsche Gewerkschaftsbewegung? Berlin, 1897.Behauptungen zu beweisen, die englische Gewerkschaftsbewegung Man ist in den Kreisen der deutschen Arbeiter deshalb nicht Gewiß verfolgt die kapitalistische Produktionsweise die Ten¬ Behauptungen zu beweiſen, die engliſche Gewerkſchaftsbewegung Man iſt in den Kreiſen der deutſchen Arbeiter deshalb nicht Gewiß verfolgt die kapitaliſtiſche Produktionsweiſe die Ten¬ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0015" n="7"/> Behauptungen zu beweiſen, die engliſche Gewerkſchaftsbewegung<lb/> angeführt und daher muß ich noch auf eine Annahme zurück¬<lb/> kommen, durch die man die Stärke und Bedeutung der engliſchen<lb/> Gewerkſchaftsorganiſationen zu erklären ſucht. — „Die engliſchen<lb/> Organiſationen ſeien zu einer Zeit entſtanden, wo England die<lb/> kapitaliſtiſche Alleinherrſchaft ausübte“, ſo lautet dieſe Annahme.<lb/> Man will alſo damit ſagen, daß England einen großen Abſatz<lb/> für ſeine induſtriellen Produkte hatte und die Geſchäftslage<lb/> äußerſt günſtig war, welches natürlich auch auf die Lage der<lb/> engliſchen Arbeiterklaſſe und deren Beſtrebungen ſeinen Einfluß<lb/> ausüben mußte. Doch auch dieſe Annahme kann unmöglich<lb/> richtig ſein, denn wir finden, daß einmal die Lage des engliſchen<lb/> Proletariats in jenen Zeiten eine äußerſt ſchlechte war und daß<lb/> anderſeits eben ſolche gewaltige Kriſen wütheten, wie gegenwärtig.<lb/> Wenn ferner von dem Abſatzgebiet der damaligen engliſchen In¬<lb/> duſtrie geſprochen wird, ſo iſt dabei auch nicht zu vergeſſen, daß<lb/> in den erſten Jahrzehnten unſers Jahrhunderts die Abſatzgebiete<lb/> für kapitaliſtiſche Produkte viel kleiner waren, als jetzt.</p><lb/> <p>Man iſt in den Kreiſen der deutſchen Arbeiter deshalb nicht<lb/> beſonders gut auf das engliſche Proletariat zu ſprechen, weil es<lb/> nicht zur Sozialdemokratie ſchwört. Gewiß ſind die deutſchen<lb/> Arbeiter den engliſchen in der Theorie überlegen, ſie haben die<lb/> Tendenz der heutigen Entwickelung und das Endziel der Ar¬<lb/> beiterbewegung richtig erfaßt, aber in der Praxis ſtehen ſie weit<lb/> hinter den engliſchen Arbeitern. Die Praxis iſt von jeher die<lb/> ſchwache Seite der Deutſchen geweſen, während ſie in der<lb/> Theorie immer ſehr revolutionär waren. So auch heute. Durch<lb/> Theorien wird kein Elend aus der Welt geſchafft, durch Theorien<lb/> wird kein Hungriger ſatt, aber das kann durch den Weg der<lb/> Praxis geſchehen. Der Weg der Praxis muß naturgemäß auch<lb/> ohne Theorie in Folge der Entwickelung zum Sozialismus<lb/> führen. — Dann wird ferner gegen die Gewerkſchaftsbewegung<lb/> der Einwand erhoben, daß dieſe ſchon deshalb keine große Zu¬<lb/> kunft haben könne, weil die Weiterentwickelung der kapitaliſtiſchen<lb/> Geſellſchaft (Konzentration des Kapitals, chroniſche Ueberproduktion,<lb/> Kartelle ꝛc.) naturgemäß die Chancen des gewerkſchaftlichen<lb/> Kampfes verſchlechtern müßte. — Dieſer Einwand, der durch die<lb/> Praxis, durch die Thatſachen und in der Theorie durch <hi rendition="#g">Kautsky</hi><lb/> und <hi rendition="#g">Schippel</hi> längſt widerlegt worden iſt, ſpukt noch immer in<lb/> den Köpfen vieler deutſcher Arbeiter umher. Namentlich wenn<lb/> ein Streik zu Ungunſten der Arbeiter verlaufen iſt, wird immer<lb/> wieder und wieder die Behauptung aufgeſtellt, daß die Zeit der<lb/> gewerkſchaftlichen Kämpfe vorbei ſei und nur noch der politiſche<lb/> helfen könne.</p><lb/> <p>Gewiß verfolgt die kapitaliſtiſche Produktionsweiſe die Ten¬<lb/> denz, die Kleinbetriebe zu vernichten und dafür immer größere<lb/> Betriebe entſtehen zu laſſen, doch bedeutet dieſes noch lange<lb/> nicht, daß der gewerkſchaftliche Kampf dadurch zur Unfruchtbarkeit<lb/> verdammt ſei. Einmal haben wir in Deutſchland noch viel mit<lb/> Kleinbetrieben zu rechnen, welche der Agitation ꝛc. große Hinder¬<lb/> niſſe in den Weg legen und anderſeits tauchen mit der Konzen¬<lb/> tration des Kapitals eine Reihe von Momenten auf, die jene<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [7/0015]
Behauptungen zu beweiſen, die engliſche Gewerkſchaftsbewegung
angeführt und daher muß ich noch auf eine Annahme zurück¬
kommen, durch die man die Stärke und Bedeutung der engliſchen
Gewerkſchaftsorganiſationen zu erklären ſucht. — „Die engliſchen
Organiſationen ſeien zu einer Zeit entſtanden, wo England die
kapitaliſtiſche Alleinherrſchaft ausübte“, ſo lautet dieſe Annahme.
Man will alſo damit ſagen, daß England einen großen Abſatz
für ſeine induſtriellen Produkte hatte und die Geſchäftslage
äußerſt günſtig war, welches natürlich auch auf die Lage der
engliſchen Arbeiterklaſſe und deren Beſtrebungen ſeinen Einfluß
ausüben mußte. Doch auch dieſe Annahme kann unmöglich
richtig ſein, denn wir finden, daß einmal die Lage des engliſchen
Proletariats in jenen Zeiten eine äußerſt ſchlechte war und daß
anderſeits eben ſolche gewaltige Kriſen wütheten, wie gegenwärtig.
Wenn ferner von dem Abſatzgebiet der damaligen engliſchen In¬
duſtrie geſprochen wird, ſo iſt dabei auch nicht zu vergeſſen, daß
in den erſten Jahrzehnten unſers Jahrhunderts die Abſatzgebiete
für kapitaliſtiſche Produkte viel kleiner waren, als jetzt.
Man iſt in den Kreiſen der deutſchen Arbeiter deshalb nicht
beſonders gut auf das engliſche Proletariat zu ſprechen, weil es
nicht zur Sozialdemokratie ſchwört. Gewiß ſind die deutſchen
Arbeiter den engliſchen in der Theorie überlegen, ſie haben die
Tendenz der heutigen Entwickelung und das Endziel der Ar¬
beiterbewegung richtig erfaßt, aber in der Praxis ſtehen ſie weit
hinter den engliſchen Arbeitern. Die Praxis iſt von jeher die
ſchwache Seite der Deutſchen geweſen, während ſie in der
Theorie immer ſehr revolutionär waren. So auch heute. Durch
Theorien wird kein Elend aus der Welt geſchafft, durch Theorien
wird kein Hungriger ſatt, aber das kann durch den Weg der
Praxis geſchehen. Der Weg der Praxis muß naturgemäß auch
ohne Theorie in Folge der Entwickelung zum Sozialismus
führen. — Dann wird ferner gegen die Gewerkſchaftsbewegung
der Einwand erhoben, daß dieſe ſchon deshalb keine große Zu¬
kunft haben könne, weil die Weiterentwickelung der kapitaliſtiſchen
Geſellſchaft (Konzentration des Kapitals, chroniſche Ueberproduktion,
Kartelle ꝛc.) naturgemäß die Chancen des gewerkſchaftlichen
Kampfes verſchlechtern müßte. — Dieſer Einwand, der durch die
Praxis, durch die Thatſachen und in der Theorie durch Kautsky
und Schippel längſt widerlegt worden iſt, ſpukt noch immer in
den Köpfen vieler deutſcher Arbeiter umher. Namentlich wenn
ein Streik zu Ungunſten der Arbeiter verlaufen iſt, wird immer
wieder und wieder die Behauptung aufgeſtellt, daß die Zeit der
gewerkſchaftlichen Kämpfe vorbei ſei und nur noch der politiſche
helfen könne.
Gewiß verfolgt die kapitaliſtiſche Produktionsweiſe die Ten¬
denz, die Kleinbetriebe zu vernichten und dafür immer größere
Betriebe entſtehen zu laſſen, doch bedeutet dieſes noch lange
nicht, daß der gewerkſchaftliche Kampf dadurch zur Unfruchtbarkeit
verdammt ſei. Einmal haben wir in Deutſchland noch viel mit
Kleinbetrieben zu rechnen, welche der Agitation ꝛc. große Hinder¬
niſſe in den Weg legen und anderſeits tauchen mit der Konzen¬
tration des Kapitals eine Reihe von Momenten auf, die jene
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |