Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pölitz, Karl Heinrich Ludwig: Das Gesamtgebiet der teutschen Sprache nach Prosa, Dichtkunst und Beredsamkeit theoretisch und praktisch dargestellt. Dritter Band: Sprache der Dichtkunst. Leipzig, 1825.

Bild:
<< vorherige Seite
ppo_081.001

Die Ode unterscheidet sich also, nach dieser ppo_081.002
Ansicht, dadurch wesentlich von dem Stoffe und ppo_081.003
dem Tone des Liedes, daß ihr ein gemischtes Gefühl ppo_081.004
der Lust und der Unlust zum Grunde liegt; ppo_081.005
das Gefühl der Lust, aufgeregt durch die Unendlichkeit ppo_081.006
des Gegenstandes und durch das Wohlgefallen ppo_081.007
an dem Schwunge der Einbildungskraft und des ppo_081.008
Gefühls, das Jdeal in der dichterischen Darstellung ppo_081.009
zu verwirklichen; das Gefühl der Unlust, ppo_081.010
veranlaßt durch die Unmöglichkeit, das Jdeal in ppo_081.011
der Wirklichkeit
zu erstreben; doch so, daß bei ppo_081.012
dem Uebergewichte des Unendlichen über das Endliche ppo_081.013
im Gefühle, und bei der Wahrnehmung der ppo_081.014
vollendeten Versinnlichung des Jdealischen vermittelst ppo_081.015
der Darstellung, das Gefühl der Lust zuletzt das ppo_081.016
Gefühl der Unlust überwiegt, weil, durch den aufgeregten ppo_081.017
Schwung des Gefühlsvermögens und der ppo_081.018
Einbildungskraft der Gegensatz des Endlichen zu ppo_081.019
dem Unendlichen geschwächt und gleichsam verdunkelt, ppo_081.020
und das Bewußtseyn ausgefüllt wird von dem ppo_081.021
Entzücken über die Verwirklichung des Jdeals in ppo_081.022
der dichterischen Darstellung. Ueber der ästhetischen ppo_081.023
Haltung und Durchführung der Ode vergißt der ppo_081.024
menschliche Geist die Endlichkeit und Beschränktheit ppo_081.025
seines Willens in der Erstrebung eines unendlichen ppo_081.026
Ziels, weil das Gefühlsvermögen und die Einbildungskraft ppo_081.027
von der Unendlichkeit des idealischen Gegenstandes ppo_081.028
ergriffen werden. Dieses Gefühl des ppo_081.029
Unendlichen, und dieser Wiederschein des Jdealischen ppo_081.030
ist es daher, was als Sieg des Gefühls der Lust ppo_081.031
über das Gefühl der Unlust in jeder vollendeten ppo_081.032
Ode, die dieses Namens würdig ist, sich ankündigt. ppo_081.033
Weil aber in dem großen Augenblicke der wahren ppo_081.034
dichterischen Begeisterung der idealische Gegenstand,

ppo_081.001

Die Ode unterscheidet sich also, nach dieser ppo_081.002
Ansicht, dadurch wesentlich von dem Stoffe und ppo_081.003
dem Tone des Liedes, daß ihr ein gemischtes Gefühl ppo_081.004
der Lust und der Unlust zum Grunde liegt; ppo_081.005
das Gefühl der Lust, aufgeregt durch die Unendlichkeit ppo_081.006
des Gegenstandes und durch das Wohlgefallen ppo_081.007
an dem Schwunge der Einbildungskraft und des ppo_081.008
Gefühls, das Jdeal in der dichterischen Darstellung ppo_081.009
zu verwirklichen; das Gefühl der Unlust, ppo_081.010
veranlaßt durch die Unmöglichkeit, das Jdeal in ppo_081.011
der Wirklichkeit
zu erstreben; doch so, daß bei ppo_081.012
dem Uebergewichte des Unendlichen über das Endliche ppo_081.013
im Gefühle, und bei der Wahrnehmung der ppo_081.014
vollendeten Versinnlichung des Jdealischen vermittelst ppo_081.015
der Darstellung, das Gefühl der Lust zuletzt das ppo_081.016
Gefühl der Unlust überwiegt, weil, durch den aufgeregten ppo_081.017
Schwung des Gefühlsvermögens und der ppo_081.018
Einbildungskraft der Gegensatz des Endlichen zu ppo_081.019
dem Unendlichen geschwächt und gleichsam verdunkelt, ppo_081.020
und das Bewußtseyn ausgefüllt wird von dem ppo_081.021
Entzücken über die Verwirklichung des Jdeals in ppo_081.022
der dichterischen Darstellung. Ueber der ästhetischen ppo_081.023
Haltung und Durchführung der Ode vergißt der ppo_081.024
menschliche Geist die Endlichkeit und Beschränktheit ppo_081.025
seines Willens in der Erstrebung eines unendlichen ppo_081.026
Ziels, weil das Gefühlsvermögen und die Einbildungskraft ppo_081.027
von der Unendlichkeit des idealischen Gegenstandes ppo_081.028
ergriffen werden. Dieses Gefühl des ppo_081.029
Unendlichen, und dieser Wiederschein des Jdealischen ppo_081.030
ist es daher, was als Sieg des Gefühls der Lust ppo_081.031
über das Gefühl der Unlust in jeder vollendeten ppo_081.032
Ode, die dieses Namens würdig ist, sich ankündigt. ppo_081.033
Weil aber in dem großen Augenblicke der wahren ppo_081.034
dichterischen Begeisterung der idealische Gegenstand,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0093" n="81"/>
          <lb n="ppo_081.001"/>
          <p>  Die Ode unterscheidet sich also, nach dieser <lb n="ppo_081.002"/>Ansicht, dadurch wesentlich von dem Stoffe und <lb n="ppo_081.003"/>dem Tone des Liedes, daß ihr ein <hi rendition="#g">gemischtes</hi> Gefühl <lb n="ppo_081.004"/>der Lust und der Unlust zum Grunde liegt; <lb n="ppo_081.005"/>das Gefühl der Lust, aufgeregt durch die Unendlichkeit <lb n="ppo_081.006"/>des Gegenstandes und durch das Wohlgefallen <lb n="ppo_081.007"/>an dem Schwunge der Einbildungskraft und des <lb n="ppo_081.008"/>Gefühls, das Jdeal in der <hi rendition="#g">dichterischen Darstellung</hi> <lb n="ppo_081.009"/>zu verwirklichen; das Gefühl der Unlust, <lb n="ppo_081.010"/>veranlaßt durch die Unmöglichkeit, das Jdeal <hi rendition="#g">in <lb n="ppo_081.011"/>der Wirklichkeit</hi> zu erstreben; doch so, daß bei <lb n="ppo_081.012"/>dem Uebergewichte des Unendlichen über das Endliche <lb n="ppo_081.013"/>im Gefühle, und bei der Wahrnehmung der <lb n="ppo_081.014"/>vollendeten Versinnlichung des Jdealischen vermittelst <lb n="ppo_081.015"/>der Darstellung, das Gefühl der Lust zuletzt das <lb n="ppo_081.016"/>Gefühl der Unlust überwiegt, weil, durch den aufgeregten <lb n="ppo_081.017"/>Schwung des Gefühlsvermögens und der <lb n="ppo_081.018"/>Einbildungskraft der Gegensatz des Endlichen zu <lb n="ppo_081.019"/>dem Unendlichen geschwächt und gleichsam verdunkelt, <lb n="ppo_081.020"/>und das Bewußtseyn ausgefüllt wird von dem <lb n="ppo_081.021"/>Entzücken über die Verwirklichung des Jdeals in <lb n="ppo_081.022"/>der dichterischen Darstellung. Ueber der ästhetischen <lb n="ppo_081.023"/>Haltung und Durchführung der Ode vergißt der <lb n="ppo_081.024"/>menschliche Geist die Endlichkeit und Beschränktheit <lb n="ppo_081.025"/>seines Willens in der Erstrebung eines unendlichen <lb n="ppo_081.026"/>Ziels, weil das Gefühlsvermögen und die Einbildungskraft <lb n="ppo_081.027"/>von der Unendlichkeit des idealischen Gegenstandes <lb n="ppo_081.028"/>ergriffen werden. Dieses Gefühl des <lb n="ppo_081.029"/>Unendlichen, und dieser Wiederschein des Jdealischen <lb n="ppo_081.030"/>ist es daher, was als Sieg des Gefühls der Lust <lb n="ppo_081.031"/>über das Gefühl der Unlust in jeder vollendeten <lb n="ppo_081.032"/>Ode, die dieses Namens würdig ist, sich ankündigt. <lb n="ppo_081.033"/>Weil aber in dem großen Augenblicke der wahren <lb n="ppo_081.034"/>dichterischen Begeisterung der idealische Gegenstand,
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[81/0093] ppo_081.001 Die Ode unterscheidet sich also, nach dieser ppo_081.002 Ansicht, dadurch wesentlich von dem Stoffe und ppo_081.003 dem Tone des Liedes, daß ihr ein gemischtes Gefühl ppo_081.004 der Lust und der Unlust zum Grunde liegt; ppo_081.005 das Gefühl der Lust, aufgeregt durch die Unendlichkeit ppo_081.006 des Gegenstandes und durch das Wohlgefallen ppo_081.007 an dem Schwunge der Einbildungskraft und des ppo_081.008 Gefühls, das Jdeal in der dichterischen Darstellung ppo_081.009 zu verwirklichen; das Gefühl der Unlust, ppo_081.010 veranlaßt durch die Unmöglichkeit, das Jdeal in ppo_081.011 der Wirklichkeit zu erstreben; doch so, daß bei ppo_081.012 dem Uebergewichte des Unendlichen über das Endliche ppo_081.013 im Gefühle, und bei der Wahrnehmung der ppo_081.014 vollendeten Versinnlichung des Jdealischen vermittelst ppo_081.015 der Darstellung, das Gefühl der Lust zuletzt das ppo_081.016 Gefühl der Unlust überwiegt, weil, durch den aufgeregten ppo_081.017 Schwung des Gefühlsvermögens und der ppo_081.018 Einbildungskraft der Gegensatz des Endlichen zu ppo_081.019 dem Unendlichen geschwächt und gleichsam verdunkelt, ppo_081.020 und das Bewußtseyn ausgefüllt wird von dem ppo_081.021 Entzücken über die Verwirklichung des Jdeals in ppo_081.022 der dichterischen Darstellung. Ueber der ästhetischen ppo_081.023 Haltung und Durchführung der Ode vergißt der ppo_081.024 menschliche Geist die Endlichkeit und Beschränktheit ppo_081.025 seines Willens in der Erstrebung eines unendlichen ppo_081.026 Ziels, weil das Gefühlsvermögen und die Einbildungskraft ppo_081.027 von der Unendlichkeit des idealischen Gegenstandes ppo_081.028 ergriffen werden. Dieses Gefühl des ppo_081.029 Unendlichen, und dieser Wiederschein des Jdealischen ppo_081.030 ist es daher, was als Sieg des Gefühls der Lust ppo_081.031 über das Gefühl der Unlust in jeder vollendeten ppo_081.032 Ode, die dieses Namens würdig ist, sich ankündigt. ppo_081.033 Weil aber in dem großen Augenblicke der wahren ppo_081.034 dichterischen Begeisterung der idealische Gegenstand,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription. (2015-09-30T09:54:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Sandra Richter: ePoetics-Projekt-Koordination

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/poelitz_poetik_1825
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/poelitz_poetik_1825/93
Zitationshilfe: Pölitz, Karl Heinrich Ludwig: Das Gesamtgebiet der teutschen Sprache nach Prosa, Dichtkunst und Beredsamkeit theoretisch und praktisch dargestellt. Dritter Band: Sprache der Dichtkunst. Leipzig, 1825, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/poelitz_poetik_1825/93>, abgerufen am 27.11.2024.