Pölitz, Karl Heinrich Ludwig: Das Gesamtgebiet der teutschen Sprache nach Prosa, Dichtkunst und Beredsamkeit theoretisch und praktisch dargestellt. Dritter Band: Sprache der Dichtkunst. Leipzig, 1825.ppo_239.001 Die Rose fällt, die Duftgestalt geht unter! -- ppo_239.002
Der Staub, der sich durch tausend Formen treibt, ppo_239.003 Verwes't, verwittert, und in bunter ppo_239.004 Verwandlung wiederkehrt -- er bleibt! ppo_239.005 Und ist der Mensch, der, selbstgebietend, ppo_239.006 Ein freies, lichtes Seyn in seinem Busen pflegt, ppo_239.007 Er, der in sich die Welt, in sich die Gottheit trägt, ppo_239.008 Jst er nur Form, nur Staub? ein Blumenkelch, den ppo_239.009 wütend ppo_239.010 Der letzte Sturm herab von seinem Lenze schlägt? ppo_239.011 Doch warum muß der Mensch durch tausend Tode ppo_239.012 gehen? ppo_239.013 Weil tausendfaches Leben ihm gehört. ppo_239.014 Das ganze Weltall ist ein großes Auferstehen, ppo_239.015 Das ewig, ewig wiederkehrt. ppo_239.016 Durch Tode soll der Mensch erst leben lernen; ppo_239.017 Die Erd' entsinkt, das Reich der Seelen thut sich auf; ppo_239.018 Die Sonn erlischt, -- zu tausend Sonnenfernen ppo_239.019 Winkt uns die dunkle Nacht hinauf! ppo_239.020 Verlaß den Laubesitz voll abgefallner Blätter! ppo_239.021 Tritt auf den Jura hin! Vernimm dort die Natur, ppo_239.022 Dies große Lied von Gott, dies Heldenlied für Götter; ppo_239.023 Und fühle deine eigne Götterspur. ppo_239.024 Wohin das Auge blickt, wie sich die Aussicht weitet, ppo_239.025 Wir ahnen einen tiefen Sinn; ppo_239.026 Die ganze Gegenwart, die uns umwogt, sie deutet ppo_239.027 Auf eine große Zukunft hin. ppo_239.028 Vom Schimmerlicht am Sumpf, bis zu dem Kranz von ppo_239.029 Tagen, ppo_239.030 Der blühend durch den Himmel kreis't; ppo_239.031 O welche Flut des Seyns! Die tiefen Wogen schlagen ppo_239.032 Bedeutungsvoll an deinen Geist. ppo_239.033 Es spiegelt in dem Geist, der so erhaben waltet, ppo_239.034 Weissagend mehr als Eine Welt sich ab, ppo_239.001 Die Rose fällt, die Duftgestalt geht unter! — ppo_239.002
Der Staub, der sich durch tausend Formen treibt, ppo_239.003 Verwes't, verwittert, und in bunter ppo_239.004 Verwandlung wiederkehrt — er bleibt! ppo_239.005 Und ist der Mensch, der, selbstgebietend, ppo_239.006 Ein freies, lichtes Seyn in seinem Busen pflegt, ppo_239.007 Er, der in sich die Welt, in sich die Gottheit trägt, ppo_239.008 Jst er nur Form, nur Staub? ein Blumenkelch, den ppo_239.009 wütend ppo_239.010 Der letzte Sturm herab von seinem Lenze schlägt? ppo_239.011 Doch warum muß der Mensch durch tausend Tode ppo_239.012 gehen? ppo_239.013 Weil tausendfaches Leben ihm gehört. ppo_239.014 Das ganze Weltall ist ein großes Auferstehen, ppo_239.015 Das ewig, ewig wiederkehrt. ppo_239.016 Durch Tode soll der Mensch erst leben lernen; ppo_239.017 Die Erd' entsinkt, das Reich der Seelen thut sich auf; ppo_239.018 Die Sonn erlischt, — zu tausend Sonnenfernen ppo_239.019 Winkt uns die dunkle Nacht hinauf! ppo_239.020 Verlaß den Laubesitz voll abgefallner Blätter! ppo_239.021 Tritt auf den Jura hin! Vernimm dort die Natur, ppo_239.022 Dies große Lied von Gott, dies Heldenlied für Götter; ppo_239.023 Und fühle deine eigne Götterspur. ppo_239.024 Wohin das Auge blickt, wie sich die Aussicht weitet, ppo_239.025 Wir ahnen einen tiefen Sinn; ppo_239.026 Die ganze Gegenwart, die uns umwogt, sie deutet ppo_239.027 Auf eine große Zukunft hin. ppo_239.028 Vom Schimmerlicht am Sumpf, bis zu dem Kranz von ppo_239.029 Tagen, ppo_239.030 Der blühend durch den Himmel kreis't; ppo_239.031 O welche Flut des Seyns! Die tiefen Wogen schlagen ppo_239.032 Bedeutungsvoll an deinen Geist. ppo_239.033 Es spiegelt in dem Geist, der so erhaben waltet, ppo_239.034 Weissagend mehr als Eine Welt sich ab, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0251" n="239"/> <lb n="ppo_239.001"/> <lg> <l> Die Rose fällt, die Duftgestalt geht unter! —</l> <lb n="ppo_239.002"/> <l>Der Staub, der sich durch tausend Formen treibt,</l> <lb n="ppo_239.003"/> <l>Verwes't, verwittert, und in bunter</l> <lb n="ppo_239.004"/> <l>Verwandlung wiederkehrt — er bleibt!</l> <lb n="ppo_239.005"/> <l>Und ist der Mensch, der, selbstgebietend,</l> <lb n="ppo_239.006"/> <l>Ein freies, lichtes Seyn in seinem Busen pflegt,</l> <lb n="ppo_239.007"/> <l>Er, der in sich die Welt, in sich die Gottheit trägt,</l> <lb n="ppo_239.008"/> <l>Jst er nur Form, nur Staub? ein Blumenkelch, den</l> <lb n="ppo_239.009"/> <l> <hi rendition="#right">wütend</hi> </l> <lb n="ppo_239.010"/> <l>Der letzte Sturm herab von seinem Lenze schlägt?</l> <lb n="ppo_239.011"/> <l> Doch warum muß der Mensch durch tausend Tode</l> <lb n="ppo_239.012"/> <l> <hi rendition="#right">gehen?</hi> </l> <lb n="ppo_239.013"/> <l>Weil tausendfaches Leben ihm gehört.</l> <lb n="ppo_239.014"/> <l>Das ganze Weltall ist ein großes Auferstehen,</l> <lb n="ppo_239.015"/> <l>Das ewig, ewig wiederkehrt.</l> <lb n="ppo_239.016"/> <l>Durch Tode soll der Mensch erst leben lernen;</l> <lb n="ppo_239.017"/> <l>Die Erd' entsinkt, das Reich der Seelen thut sich auf;</l> <lb n="ppo_239.018"/> <l>Die Sonn erlischt, — zu tausend Sonnenfernen</l> <lb n="ppo_239.019"/> <l>Winkt uns die dunkle Nacht hinauf!</l> <lb n="ppo_239.020"/> <l> Verlaß den Laubesitz voll abgefallner Blätter!</l> <lb n="ppo_239.021"/> <l>Tritt auf den Jura hin! Vernimm dort die Natur,</l> <lb n="ppo_239.022"/> <l>Dies große Lied von Gott, dies Heldenlied für Götter;</l> <lb n="ppo_239.023"/> <l>Und fühle deine eigne Götterspur.</l> <lb n="ppo_239.024"/> <l>Wohin das Auge blickt, wie sich die Aussicht weitet,</l> <lb n="ppo_239.025"/> <l>Wir ahnen einen tiefen Sinn;</l> <lb n="ppo_239.026"/> <l>Die ganze Gegenwart, die uns umwogt, sie deutet</l> <lb n="ppo_239.027"/> <l>Auf eine große Zukunft hin.</l> <lb n="ppo_239.028"/> <l>Vom Schimmerlicht am Sumpf, bis zu dem Kranz von</l> <lb n="ppo_239.029"/> <l> <hi rendition="#right">Tagen,</hi> </l> <lb n="ppo_239.030"/> <l>Der blühend durch den Himmel kreis't;</l> <lb n="ppo_239.031"/> <l>O welche Flut des Seyns! Die tiefen Wogen schlagen</l> <lb n="ppo_239.032"/> <l>Bedeutungsvoll an deinen Geist.</l> <lb n="ppo_239.033"/> <l>Es spiegelt in dem Geist, der so erhaben waltet,</l> <lb n="ppo_239.034"/> <l>Weissagend mehr als Eine Welt sich ab,</l> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [239/0251]
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Zitationshilfe: | Pölitz, Karl Heinrich Ludwig: Das Gesamtgebiet der teutschen Sprache nach Prosa, Dichtkunst und Beredsamkeit theoretisch und praktisch dargestellt. Dritter Band: Sprache der Dichtkunst. Leipzig, 1825, S. 239. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/poelitz_poetik_1825/251>, abgerufen am 16.07.2024. |