Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pölitz, Karl Heinrich Ludwig: Das Gesamtgebiet der teutschen Sprache nach Prosa, Dichtkunst und Beredsamkeit theoretisch und praktisch dargestellt. Dritter Band: Sprache der Dichtkunst. Leipzig, 1825.

Bild:
<< vorherige Seite

ppo_217.001
Jndividuums bezogen werden; denn die poetische ppo_217.002
Epistel
ist, nach den vorhandenen classischen Formen ppo_217.003
in derselben, weder ausschließend eine Untergattung ppo_217.004
der didactischen, noch ausschließend eine Untergattung ppo_217.005
der lyrischen oder der epischen Form der ppo_217.006
Dichtkunst. Sobald sie unmittelbare Gefühle in ppo_217.007
Beziehung auf eine bestimmte Jndividualität schildert; ppo_217.008
so gehört sie der lyrischen Form der Dichtkunst ppo_217.009
an. Versinnlicht sie Gefühle, veranlaßt durch Thatsachen ppo_217.010
und Vorgänge des wirklichen Lebens; so ppo_217.011
müßte sie der epischen Form untergeordnet werden. ppo_217.012
Vergegenwärtigt sie aber Gefühle, erregt durch ppo_217.013
Jdeen und Wahrheiten der Vernunft; so würde sie, ppo_217.014
nur in diesem letztern Falle, zur didactischen ppo_217.015
Dichtkunst, mit dem zufälligen Merkmale der unmittelbaren ppo_217.016
Beziehung der dargestellten Jdeen auf ppo_217.017
eine bestimmt gedachte Jndividualität, gehören. -- ppo_217.018
Auf gleiche Weise verhält es sich mit dem Epigramm, ppo_217.019
das gleichmäßig unmittelbare Gefühle und ppo_217.020
Thatsachen des Lebens, wie Jdeen und Aussprüche ppo_217.021
der Vernunft als Stoff behandeln kann, mit dessen ppo_217.022
Vergegenwärtigung im Bewußtseyn rein menschliche ppo_217.023
Gefühle sich vergesellschaften, deren idealische Darstellung ppo_217.024
die dichterische Form des Epigramms vermittelt. ppo_217.025
--

ppo_217.026

So reichhaltig von den frühern teutschen ppo_217.027
Dichtern die Form des Lehrgedichts angebaut ward; ppo_217.028
so gilt doch für den ästhetischen Charakter dieser ppo_217.029
Form dasselbe, was bereits in der Theorie der Ode ppo_217.030
ausgesprochen ward, daß nur erst mit den Fortschritten ppo_217.031
der Philosophie auf teutschem Boden, und namentlich ppo_217.032
mit dem tiefern Erforschen und Verbreiten ppo_217.033
der höchsten metaphysischen Jdeen, und den mit denselben ppo_217.034
in unmittelbarer Verbindung stehenden sittlichen

ppo_217.001
Jndividuums bezogen werden; denn die poetische ppo_217.002
Epistel
ist, nach den vorhandenen classischen Formen ppo_217.003
in derselben, weder ausschließend eine Untergattung ppo_217.004
der didactischen, noch ausschließend eine Untergattung ppo_217.005
der lyrischen oder der epischen Form der ppo_217.006
Dichtkunst. Sobald sie unmittelbare Gefühle in ppo_217.007
Beziehung auf eine bestimmte Jndividualität schildert; ppo_217.008
so gehört sie der lyrischen Form der Dichtkunst ppo_217.009
an. Versinnlicht sie Gefühle, veranlaßt durch Thatsachen ppo_217.010
und Vorgänge des wirklichen Lebens; so ppo_217.011
müßte sie der epischen Form untergeordnet werden. ppo_217.012
Vergegenwärtigt sie aber Gefühle, erregt durch ppo_217.013
Jdeen und Wahrheiten der Vernunft; so würde sie, ppo_217.014
nur in diesem letztern Falle, zur didactischen ppo_217.015
Dichtkunst, mit dem zufälligen Merkmale der unmittelbaren ppo_217.016
Beziehung der dargestellten Jdeen auf ppo_217.017
eine bestimmt gedachte Jndividualität, gehören. — ppo_217.018
Auf gleiche Weise verhält es sich mit dem Epigramm, ppo_217.019
das gleichmäßig unmittelbare Gefühle und ppo_217.020
Thatsachen des Lebens, wie Jdeen und Aussprüche ppo_217.021
der Vernunft als Stoff behandeln kann, mit dessen ppo_217.022
Vergegenwärtigung im Bewußtseyn rein menschliche ppo_217.023
Gefühle sich vergesellschaften, deren idealische Darstellung ppo_217.024
die dichterische Form des Epigramms vermittelt. ppo_217.025

ppo_217.026

So reichhaltig von den frühern teutschen ppo_217.027
Dichtern die Form des Lehrgedichts angebaut ward; ppo_217.028
so gilt doch für den ästhetischen Charakter dieser ppo_217.029
Form dasselbe, was bereits in der Theorie der Ode ppo_217.030
ausgesprochen ward, daß nur erst mit den Fortschritten ppo_217.031
der Philosophie auf teutschem Boden, und namentlich ppo_217.032
mit dem tiefern Erforschen und Verbreiten ppo_217.033
der höchsten metaphysischen Jdeen, und den mit denselben ppo_217.034
in unmittelbarer Verbindung stehenden sittlichen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0229" n="217"/><lb n="ppo_217.001"/>Jndividuums bezogen werden; denn die <hi rendition="#g">poetische <lb n="ppo_217.002"/>Epistel</hi> ist, nach den vorhandenen classischen Formen <lb n="ppo_217.003"/>in derselben, weder ausschließend eine Untergattung <lb n="ppo_217.004"/>der didactischen, noch ausschließend eine Untergattung <lb n="ppo_217.005"/>der lyrischen oder der epischen Form der <lb n="ppo_217.006"/>Dichtkunst. Sobald sie unmittelbare Gefühle in <lb n="ppo_217.007"/>Beziehung auf eine bestimmte Jndividualität schildert; <lb n="ppo_217.008"/>so gehört sie der lyrischen Form der Dichtkunst <lb n="ppo_217.009"/>an. Versinnlicht sie Gefühle, veranlaßt durch Thatsachen <lb n="ppo_217.010"/>und Vorgänge des wirklichen Lebens; so <lb n="ppo_217.011"/>müßte sie der epischen Form untergeordnet werden. <lb n="ppo_217.012"/>Vergegenwärtigt sie aber Gefühle, erregt durch <lb n="ppo_217.013"/>Jdeen und Wahrheiten der Vernunft; so würde sie, <lb n="ppo_217.014"/>nur in diesem letztern Falle, zur <hi rendition="#g">didactischen</hi> <lb n="ppo_217.015"/>Dichtkunst, mit dem zufälligen Merkmale der unmittelbaren <lb n="ppo_217.016"/>Beziehung der dargestellten Jdeen auf <lb n="ppo_217.017"/>eine bestimmt gedachte Jndividualität, gehören. &#x2014; <lb n="ppo_217.018"/>Auf gleiche Weise verhält es sich mit dem <hi rendition="#g">Epigramm,</hi> <lb n="ppo_217.019"/>das gleichmäßig unmittelbare Gefühle und <lb n="ppo_217.020"/>Thatsachen des Lebens, wie Jdeen und Aussprüche <lb n="ppo_217.021"/>der Vernunft als Stoff behandeln kann, mit dessen <lb n="ppo_217.022"/>Vergegenwärtigung im Bewußtseyn rein menschliche <lb n="ppo_217.023"/>Gefühle sich vergesellschaften, deren idealische Darstellung <lb n="ppo_217.024"/>die dichterische Form des Epigramms vermittelt. <lb n="ppo_217.025"/>&#x2014;</p>
          <lb n="ppo_217.026"/>
          <p>  So reichhaltig von den <hi rendition="#g">frühern</hi> teutschen <lb n="ppo_217.027"/>Dichtern die Form des Lehrgedichts angebaut ward; <lb n="ppo_217.028"/>so gilt doch für den <hi rendition="#g">ästhetischen</hi> Charakter dieser <lb n="ppo_217.029"/>Form dasselbe, was bereits in der Theorie der Ode <lb n="ppo_217.030"/>ausgesprochen ward, daß nur erst mit den Fortschritten <lb n="ppo_217.031"/>der Philosophie auf teutschem Boden, und namentlich <lb n="ppo_217.032"/>mit dem tiefern Erforschen und Verbreiten <lb n="ppo_217.033"/>der höchsten metaphysischen Jdeen, und den mit denselben <lb n="ppo_217.034"/>in unmittelbarer Verbindung stehenden sittlichen
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[217/0229] ppo_217.001 Jndividuums bezogen werden; denn die poetische ppo_217.002 Epistel ist, nach den vorhandenen classischen Formen ppo_217.003 in derselben, weder ausschließend eine Untergattung ppo_217.004 der didactischen, noch ausschließend eine Untergattung ppo_217.005 der lyrischen oder der epischen Form der ppo_217.006 Dichtkunst. Sobald sie unmittelbare Gefühle in ppo_217.007 Beziehung auf eine bestimmte Jndividualität schildert; ppo_217.008 so gehört sie der lyrischen Form der Dichtkunst ppo_217.009 an. Versinnlicht sie Gefühle, veranlaßt durch Thatsachen ppo_217.010 und Vorgänge des wirklichen Lebens; so ppo_217.011 müßte sie der epischen Form untergeordnet werden. ppo_217.012 Vergegenwärtigt sie aber Gefühle, erregt durch ppo_217.013 Jdeen und Wahrheiten der Vernunft; so würde sie, ppo_217.014 nur in diesem letztern Falle, zur didactischen ppo_217.015 Dichtkunst, mit dem zufälligen Merkmale der unmittelbaren ppo_217.016 Beziehung der dargestellten Jdeen auf ppo_217.017 eine bestimmt gedachte Jndividualität, gehören. — ppo_217.018 Auf gleiche Weise verhält es sich mit dem Epigramm, ppo_217.019 das gleichmäßig unmittelbare Gefühle und ppo_217.020 Thatsachen des Lebens, wie Jdeen und Aussprüche ppo_217.021 der Vernunft als Stoff behandeln kann, mit dessen ppo_217.022 Vergegenwärtigung im Bewußtseyn rein menschliche ppo_217.023 Gefühle sich vergesellschaften, deren idealische Darstellung ppo_217.024 die dichterische Form des Epigramms vermittelt. ppo_217.025 — ppo_217.026 So reichhaltig von den frühern teutschen ppo_217.027 Dichtern die Form des Lehrgedichts angebaut ward; ppo_217.028 so gilt doch für den ästhetischen Charakter dieser ppo_217.029 Form dasselbe, was bereits in der Theorie der Ode ppo_217.030 ausgesprochen ward, daß nur erst mit den Fortschritten ppo_217.031 der Philosophie auf teutschem Boden, und namentlich ppo_217.032 mit dem tiefern Erforschen und Verbreiten ppo_217.033 der höchsten metaphysischen Jdeen, und den mit denselben ppo_217.034 in unmittelbarer Verbindung stehenden sittlichen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription. (2015-09-30T09:54:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Sandra Richter: ePoetics-Projekt-Koordination

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/poelitz_poetik_1825
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/poelitz_poetik_1825/229
Zitationshilfe: Pölitz, Karl Heinrich Ludwig: Das Gesamtgebiet der teutschen Sprache nach Prosa, Dichtkunst und Beredsamkeit theoretisch und praktisch dargestellt. Dritter Band: Sprache der Dichtkunst. Leipzig, 1825, S. 217. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/poelitz_poetik_1825/229>, abgerufen am 25.11.2024.