Platen, August von: Der romantische Oedipus. Stuttgart u. a., 1829. Nimmermann. Es ist ein Engel, den man auch weglassen kann, Wie mir es vorschwebt darzuthun im Vorbericht. Publicum. Doch dünkt es mich entsetzlich, ohne Geld und Paß, Verfolgt von Gassenjungen, durch die Welt zu ziehn, Als weggelassener Engel eines Trauerspiels! Nimmermann. Ich folge treu den respektiven Zeitungen Damaliger Zeit, mich haltend an's Historische, Beginnend, eurem Dichterling Horaz zu Trotz, Mit Leda's Ei die Pusterthaler Ilias. Publicum. Doch werden dann behaupten unsre Kritiker, Daß dir Erfindungsgabe ganz und gar gebricht, Wenn lediglich den unverdauten Stoff du reichst; Denn öfters hört' ich sagen über ein Trauerspiel, Es wäre mit Begebenheiten vollgepropft, Doch ganz erfindungslos. Chor. Dann aber weißt du nicht, Was als Erfindung rühmen uns Romantiker: Histörchen, Abentheuer, plattes Volksgewäsch, Statt folgerechten Gegenstands Entwickelung. Nimmermann. Was seh' ich? Oder besser noch, was riech' ich da? Es wehet aus Tyrol mir ein verloderter Papiergeruch! O wehe mir! Die Depeschen sind Zu Staub verbrannt, an denen Hofers Leben hing! Publicum. Was riecht er denn? Jetzt scheint er ganz verzückt zu sein. Nimmermann. Es iſt ein Engel, den man auch weglaſſen kann, Wie mir es vorſchwebt darzuthun im Vorbericht. Publicum. Doch duͤnkt es mich entſetzlich, ohne Geld und Paß, Verfolgt von Gaſſenjungen, durch die Welt zu ziehn, Als weggelaſſener Engel eines Trauerſpiels! Nimmermann. Ich folge treu den reſpektiven Zeitungen Damaliger Zeit, mich haltend an's Hiſtoriſche, Beginnend, eurem Dichterling Horaz zu Trotz, Mit Leda's Ei die Puſterthaler Ilias. Publicum. Doch werden dann behaupten unſre Kritiker, Daß dir Erfindungsgabe ganz und gar gebricht, Wenn lediglich den unverdauten Stoff du reichſt; Denn oͤfters hoͤrt' ich ſagen uͤber ein Trauerſpiel, Es waͤre mit Begebenheiten vollgepropft, Doch ganz erfindungslos. Chor. Dann aber weißt du nicht, Was als Erfindung ruͤhmen uns Romantiker: Hiſtoͤrchen, Abentheuer, plattes Volksgewaͤſch, Statt folgerechten Gegenſtands Entwickelung. Nimmermann. Was ſeh' ich? Oder beſſer noch, was riech' ich da? Es wehet aus Tyrol mir ein verloderter Papiergeruch! O wehe mir! Die Depeſchen ſind Zu Staub verbrannt, an denen Hofers Leben hing! Publicum. Was riecht er denn? Jetzt ſcheint er ganz verzuͤckt zu ſein. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0099" n="93"/> <sp who="#NIM"> <speaker> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Nimmermann</hi>.</hi> </speaker><lb/> <p>Es iſt ein Engel, den man auch weglaſſen kann,<lb/> Wie mir es vorſchwebt darzuthun im Vorbericht.</p> </sp><lb/> <sp who="#PUB"> <speaker> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Publicum</hi>.</hi> </speaker><lb/> <p>Doch duͤnkt es mich entſetzlich, ohne Geld und Paß,<lb/> Verfolgt von Gaſſenjungen, durch die Welt zu ziehn,<lb/> Als weggelaſſener Engel eines Trauerſpiels!</p> </sp><lb/> <sp who="#NIM"> <speaker> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Nimmermann</hi>.</hi> </speaker><lb/> <p>Ich folge treu den reſpektiven Zeitungen<lb/> Damaliger Zeit, mich haltend an's Hiſtoriſche,<lb/> Beginnend, eurem Dichterling Horaz zu Trotz,<lb/> Mit Leda's Ei die Puſterthaler Ilias.</p> </sp><lb/> <sp who="#PUB"> <speaker> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Publicum</hi>.</hi> </speaker><lb/> <p>Doch werden dann behaupten unſre Kritiker,<lb/> Daß <choice><sic>die</sic><corr>dir</corr></choice> Erfindungsgabe ganz und gar gebricht,<lb/> Wenn lediglich den unverdauten Stoff du reichſt;<lb/> Denn oͤfters hoͤrt' ich ſagen uͤber ein Trauerſpiel,<lb/> Es waͤre mit Begebenheiten vollgepropft,<lb/> Doch ganz erfindungslos.</p> </sp><lb/> <sp who="#CHO"> <speaker> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Chor</hi>.</hi> </speaker><lb/> <p>Dann aber weißt du nicht,<lb/> Was als Erfindung ruͤhmen uns Romantiker:<lb/> Hiſtoͤrchen, Abentheuer, plattes Volksgewaͤſch,<lb/> Statt folgerechten Gegenſtands Entwickelung.</p> </sp><lb/> <sp who="#NIM"> <speaker> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Nimmermann</hi>.</hi> </speaker><lb/> <p>Was ſeh' ich? Oder beſſer noch, was riech' ich da?<lb/> Es wehet aus Tyrol mir ein verloderter<lb/> Papiergeruch! O wehe mir! Die Depeſchen ſind<lb/> Zu Staub verbrannt, an denen Hofers Leben hing!</p> </sp><lb/> <sp who="#PUB"> <speaker> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Publicum</hi>.</hi> </speaker><lb/> <p>Was riecht er denn? Jetzt ſcheint er ganz verzuͤckt zu ſein.</p> </sp><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [93/0099]
Nimmermann.
Es iſt ein Engel, den man auch weglaſſen kann,
Wie mir es vorſchwebt darzuthun im Vorbericht.
Publicum.
Doch duͤnkt es mich entſetzlich, ohne Geld und Paß,
Verfolgt von Gaſſenjungen, durch die Welt zu ziehn,
Als weggelaſſener Engel eines Trauerſpiels!
Nimmermann.
Ich folge treu den reſpektiven Zeitungen
Damaliger Zeit, mich haltend an's Hiſtoriſche,
Beginnend, eurem Dichterling Horaz zu Trotz,
Mit Leda's Ei die Puſterthaler Ilias.
Publicum.
Doch werden dann behaupten unſre Kritiker,
Daß dir Erfindungsgabe ganz und gar gebricht,
Wenn lediglich den unverdauten Stoff du reichſt;
Denn oͤfters hoͤrt' ich ſagen uͤber ein Trauerſpiel,
Es waͤre mit Begebenheiten vollgepropft,
Doch ganz erfindungslos.
Chor.
Dann aber weißt du nicht,
Was als Erfindung ruͤhmen uns Romantiker:
Hiſtoͤrchen, Abentheuer, plattes Volksgewaͤſch,
Statt folgerechten Gegenſtands Entwickelung.
Nimmermann.
Was ſeh' ich? Oder beſſer noch, was riech' ich da?
Es wehet aus Tyrol mir ein verloderter
Papiergeruch! O wehe mir! Die Depeſchen ſind
Zu Staub verbrannt, an denen Hofers Leben hing!
Publicum.
Was riecht er denn? Jetzt ſcheint er ganz verzuͤckt zu ſein.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |