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Platen, August von: Der romantische Oedipus. Stuttgart u. a., 1829.

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Unser Sohn, du bist es, den wir, als er kaum den Tag gesehn,
Ausgesetzt als Fraß den Thieren; doch es sollte nicht geschehn!
Man verschonte dich, dem Schicksal ließ man, uns zu strafen,
Raum;
Doch ich eile fort und schleunig häng' ich mich an einen
Baum.

(Sie erhenkt sich im Hintergrunde.)
Tiresias.
Jammer über Jammer!
Jokaste.
Houwald!
Tiresias.
Horch! Sie rief mit letzter Kraft
Ihrem Houwald, offenbarend jene tiefe Leidenschaft
Für den Sänger, die sie lebend stets in ihrer Brust verbarg.
Oedipus.
Männer Thebens, löscht die Fackeln, bringt herbei mir einen
Sarg!
Tiresias.
Glücklich die hier unten schlummern, rings umher verscharrt
im Sand:
Wenn die Erde dröhnt und zittert, halten sie dem Stoße
Stand;
Doch auf ihrer Oberfläche bebt der Mensch auf seinem Sitz,
Ueber'm Haupt ihm brüllt der Donner, ihm um's Auge zuckt
der Blitz!
Oedipus! Dein Jammerschicksal nicht verschließ' es tief in's
Herz,
Rede, gieb ihm Luft in Worten, und ergieße deinen Schmerz!

(Bei den letzten Worten des Tiresias wird der Sarg gebracht
und in die Mitte der Scene gestellt.)
Unſer Sohn, du biſt es, den wir, als er kaum den Tag geſehn,
Ausgeſetzt als Fraß den Thieren; doch es ſollte nicht geſchehn!
Man verſchonte dich, dem Schickſal ließ man, uns zu ſtrafen,
Raum;
Doch ich eile fort und ſchleunig haͤng' ich mich an einen
Baum.

(Sie erhenkt ſich im Hintergrunde.)
Tireſias.
Jammer uͤber Jammer!
Jokaſte.
Houwald!
Tireſias.
Horch! Sie rief mit letzter Kraft
Ihrem Houwald, offenbarend jene tiefe Leidenſchaft
Fuͤr den Saͤnger, die ſie lebend ſtets in ihrer Bruſt verbarg.
Oedipus.
Maͤnner Thebens, loͤſcht die Fackeln, bringt herbei mir einen
Sarg!
Tireſias.
Gluͤcklich die hier unten ſchlummern, rings umher verſcharrt
im Sand:
Wenn die Erde droͤhnt und zittert, halten ſie dem Stoße
Stand;
Doch auf ihrer Oberflaͤche bebt der Menſch auf ſeinem Sitz,
Ueber'm Haupt ihm bruͤllt der Donner, ihm um's Auge zuckt
der Blitz!
Oedipus! Dein Jammerſchickſal nicht verſchließ' es tief in's
Herz,
Rede, gieb ihm Luft in Worten, und ergieße deinen Schmerz!

(Bei den letzten Worten des Tireſias wird der Sarg gebracht
und in die Mitte der Scene geſtellt.)
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[78/0084] Unſer Sohn, du biſt es, den wir, als er kaum den Tag geſehn, Ausgeſetzt als Fraß den Thieren; doch es ſollte nicht geſchehn! Man verſchonte dich, dem Schickſal ließ man, uns zu ſtrafen, Raum; Doch ich eile fort und ſchleunig haͤng' ich mich an einen Baum. (Sie erhenkt ſich im Hintergrunde.) Tireſias. Jammer uͤber Jammer! Jokaſte. Houwald! Tireſias. Horch! Sie rief mit letzter Kraft Ihrem Houwald, offenbarend jene tiefe Leidenſchaft Fuͤr den Saͤnger, die ſie lebend ſtets in ihrer Bruſt verbarg. Oedipus. Maͤnner Thebens, loͤſcht die Fackeln, bringt herbei mir einen Sarg! Tireſias. Gluͤcklich die hier unten ſchlummern, rings umher verſcharrt im Sand: Wenn die Erde droͤhnt und zittert, halten ſie dem Stoße Stand; Doch auf ihrer Oberflaͤche bebt der Menſch auf ſeinem Sitz, Ueber'm Haupt ihm bruͤllt der Donner, ihm um's Auge zuckt der Blitz! Oedipus! Dein Jammerſchickſal nicht verſchließ' es tief in's Herz, Rede, gieb ihm Luft in Worten, und ergieße deinen Schmerz! (Bei den letzten Worten des Tireſias wird der Sarg gebracht und in die Mitte der Scene geſtellt.)

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Zitationshilfe: Platen, August von: Der romantische Oedipus. Stuttgart u. a., 1829, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/platen_oedipus_1829/84>, abgerufen am 02.05.2024.