Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Platen, August von: Der romantische Oedipus. Stuttgart u. a., 1829.

Bild:
<< vorherige Seite
Kindeskind.
Das Thema geb' uns deine Gunst,
Wir schmücken dann es reichlich aus mit jedem holden Schmuck
der Kunst.
Jokaste.
So stell' ich euch die Frage denn, ob ein verliebter Dichter
mehr,
Ob mehr ein unverliebter gilt bei'm literärischen Verkehr?
Kind.
Mich dünkt, daß ein verliebter mehr vermag.
Kindeskind.
Ein unverliebter, mich.
Jokaste.
Ein Thema, das man oft glossirt, ich geb' es euch geflissentlich:
Süße Liebe denkt in Tönen,
Denn Gedanken stehn zu ferne,
Nur in Tönen mag sie gerne
Alles, was sie will, verschönen
.
Kind.
Soll das Herz sich ganz ergießen,
Strömen lassen alle Triebe,
Muß es voll sein und genießen;
Aber was, so möcht' ich schließen,
Macht das Herz so voll wie Liebe?
Tausend Harmonien entkeimen
Unserm Busen im Geheimen
Durch die Gegenwart des Schönen:
Liebe spricht von selbst in Reimen,
Süße Liebe denkt in Tönen.

Kindes-
Kindeskind.
Das Thema geb' uns deine Gunſt,
Wir ſchmuͤcken dann es reichlich aus mit jedem holden Schmuck
der Kunſt.
Jokaſte.
So ſtell' ich euch die Frage denn, ob ein verliebter Dichter
mehr,
Ob mehr ein unverliebter gilt bei'm literaͤriſchen Verkehr?
Kind.
Mich duͤnkt, daß ein verliebter mehr vermag.
Kindeskind.
Ein unverliebter, mich.
Jokaſte.
Ein Thema, das man oft gloſſirt, ich geb' es euch gefliſſentlich:
Suͤße Liebe denkt in Toͤnen,
Denn Gedanken ſtehn zu ferne,
Nur in Toͤnen mag ſie gerne
Alles, was ſie will, verſchoͤnen
.
Kind.
Soll das Herz ſich ganz ergießen,
Stroͤmen laſſen alle Triebe,
Muß es voll ſein und genießen;
Aber was, ſo moͤcht' ich ſchließen,
Macht das Herz ſo voll wie Liebe?
Tauſend Harmonien entkeimen
Unſerm Buſen im Geheimen
Durch die Gegenwart des Schoͤnen:
Liebe ſpricht von ſelbſt in Reimen,
Suͤße Liebe denkt in Toͤnen.

Kindes-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0054" n="48"/>
          <sp who="#KINS">
            <speaker> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Kindeskind</hi>.</hi> </speaker><lb/>
            <p>Das Thema geb' uns deine Gun&#x017F;t,<lb/>
Wir &#x017F;chmu&#x0364;cken dann es reichlich aus mit jedem holden Schmuck<lb/>
der Kun&#x017F;t.</p>
          </sp><lb/>
          <sp who="#JOK">
            <speaker> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Joka&#x017F;te</hi>.</hi> </speaker><lb/>
            <p>So &#x017F;tell' ich euch die Frage denn, ob ein verliebter Dichter<lb/>
mehr,<lb/>
Ob mehr ein unverliebter gilt bei'm litera&#x0364;ri&#x017F;chen Verkehr?</p>
          </sp><lb/>
          <sp who="#KIN">
            <speaker> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Kind</hi>.</hi> </speaker><lb/>
            <p>Mich du&#x0364;nkt, daß ein verliebter mehr vermag.</p>
          </sp><lb/>
          <sp who="#KINS">
            <speaker> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Kindeskind</hi>.</hi> </speaker><lb/>
            <p>Ein unverliebter, mich.</p>
          </sp><lb/>
          <sp who="#JOK">
            <speaker> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Joka&#x017F;te</hi>.</hi> </speaker><lb/>
            <p>Ein Thema, das man oft glo&#x017F;&#x017F;irt, ich geb' es euch gefli&#x017F;&#x017F;entlich:</p><lb/>
            <p><hi rendition="#g">Su&#x0364;ße Liebe denkt in To&#x0364;nen,<lb/>
Denn Gedanken &#x017F;tehn zu ferne,<lb/>
Nur in To&#x0364;nen mag &#x017F;ie gerne<lb/>
Alles, was &#x017F;ie will, ver&#x017F;cho&#x0364;nen</hi>.</p>
          </sp><lb/>
          <sp who="#KIN">
            <speaker> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Kind</hi>.</hi> </speaker><lb/>
            <p>Soll das Herz &#x017F;ich ganz ergießen,<lb/>
Stro&#x0364;men la&#x017F;&#x017F;en alle Triebe,<lb/>
Muß es voll &#x017F;ein und genießen;<lb/>
Aber was, &#x017F;o mo&#x0364;cht' ich &#x017F;chließen,<lb/>
Macht das Herz &#x017F;o voll wie Liebe?<lb/>
Tau&#x017F;end Harmonien entkeimen<lb/>
Un&#x017F;erm Bu&#x017F;en im Geheimen<lb/>
Durch die Gegenwart des Scho&#x0364;nen:<lb/>
Liebe &#x017F;pricht von &#x017F;elb&#x017F;t in Reimen,<lb/><hi rendition="#g">Su&#x0364;ße Liebe denkt in To&#x0364;nen</hi>.</p><lb/>
            <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#g">Kindes-</hi> </fw>
          </sp><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[48/0054] Kindeskind. Das Thema geb' uns deine Gunſt, Wir ſchmuͤcken dann es reichlich aus mit jedem holden Schmuck der Kunſt. Jokaſte. So ſtell' ich euch die Frage denn, ob ein verliebter Dichter mehr, Ob mehr ein unverliebter gilt bei'm literaͤriſchen Verkehr? Kind. Mich duͤnkt, daß ein verliebter mehr vermag. Kindeskind. Ein unverliebter, mich. Jokaſte. Ein Thema, das man oft gloſſirt, ich geb' es euch gefliſſentlich: Suͤße Liebe denkt in Toͤnen, Denn Gedanken ſtehn zu ferne, Nur in Toͤnen mag ſie gerne Alles, was ſie will, verſchoͤnen. Kind. Soll das Herz ſich ganz ergießen, Stroͤmen laſſen alle Triebe, Muß es voll ſein und genießen; Aber was, ſo moͤcht' ich ſchließen, Macht das Herz ſo voll wie Liebe? Tauſend Harmonien entkeimen Unſerm Buſen im Geheimen Durch die Gegenwart des Schoͤnen: Liebe ſpricht von ſelbſt in Reimen, Suͤße Liebe denkt in Toͤnen. Kindes-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/platen_oedipus_1829
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/platen_oedipus_1829/54
Zitationshilfe: Platen, August von: Der romantische Oedipus. Stuttgart u. a., 1829, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/platen_oedipus_1829/54>, abgerufen am 21.11.2024.