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Platen, August von: Der romantische Oedipus. Stuttgart u. a., 1829.

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Lajus.
Ach, und wüßtest du, was in der Unterwelt ich dann geschaut,
Als ich todt hinabgestiegen! Schon in Charons Nachen stand
Fast ein ganzes Volk, vernichtet, ohne Herd und Vaterland,
Das gebracht die letzten Opfer, seinem Könige zulieb,
Der's zum Dank dann strich mit Ruthen, ja mit Skorpionen
hieb!
Mehr gekrönte Gimpel sah ich, als es Grillen giebt im Gras,
Einen Vatermörder endlich, welcher fromm im Kempis las;
Aber nur mit Einem Auge, denn das andre schielte dreist
Nach verbuhlten Frau'n, es blieb ihm keins für seines Vaters
Geist,
Der mit offnen Augen hinter seinem Sessel schnarchend schlief;
Aber ich erwachte schaudernd, während ich um Hülfe rief.
Jokaste.
Laß die Nachtgespenster, freue dich des Tags!
Lajus.
Ich eile fort,
Hole mir von Delphi's Dreifuß irgend ein Orakelwort.

(Ab.)
Jokaste.
Kann ich doch indeß mit meinen beiden Sängern mich erfreu'n,
Ein'ge Lesefrüchte sammeln, einige Gedichte streu'n!
Ach, da las ich just im Houwald eine Stelle, welche nie
Wieder aus dem Kopfe geht mir, oder aus der Phantasie;
Denn in einem Trauerspiele tritt (die Feinde heißt das Stück)
Eine Fürstin auf um Mitternacht und wünscht den Tag
zurück,
Und sie sagt, dieß auszudrücken, wie's nur ein Genie vermag:
Daß ich wäre deine Mutter, um zu wecken dich, o Tag!
Welch ein kühnes Bild, wie würdig eines Wesens auf dem
Thron!
Lajus.
Ach, und wuͤßteſt du, was in der Unterwelt ich dann geſchaut,
Als ich todt hinabgeſtiegen! Schon in Charons Nachen ſtand
Faſt ein ganzes Volk, vernichtet, ohne Herd und Vaterland,
Das gebracht die letzten Opfer, ſeinem Koͤnige zulieb,
Der's zum Dank dann ſtrich mit Ruthen, ja mit Skorpionen
hieb!
Mehr gekroͤnte Gimpel ſah ich, als es Grillen giebt im Gras,
Einen Vatermoͤrder endlich, welcher fromm im Kempis las;
Aber nur mit Einem Auge, denn das andre ſchielte dreiſt
Nach verbuhlten Frau'n, es blieb ihm keins fuͤr ſeines Vaters
Geiſt,
Der mit offnen Augen hinter ſeinem Seſſel ſchnarchend ſchlief;
Aber ich erwachte ſchaudernd, waͤhrend ich um Huͤlfe rief.
Jokaſte.
Laß die Nachtgeſpenſter, freue dich des Tags!
Lajus.
Ich eile fort,
Hole mir von Delphi's Dreifuß irgend ein Orakelwort.

(Ab.)
Jokaſte.
Kann ich doch indeß mit meinen beiden Saͤngern mich erfreu'n,
Ein'ge Leſefruͤchte ſammeln, einige Gedichte ſtreu'n!
Ach, da las ich juſt im Houwald eine Stelle, welche nie
Wieder aus dem Kopfe geht mir, oder aus der Phantaſie;
Denn in einem Trauerſpiele tritt (die Feinde heißt das Stuͤck)
Eine Fuͤrſtin auf um Mitternacht und wuͤnſcht den Tag
zuruͤck,
Und ſie ſagt, dieß auszudruͤcken, wie's nur ein Genie vermag:
Daß ich waͤre deine Mutter, um zu wecken dich, o Tag!
Welch ein kuͤhnes Bild, wie wuͤrdig eines Weſens auf dem
Thron!
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[40/0046] Lajus. Ach, und wuͤßteſt du, was in der Unterwelt ich dann geſchaut, Als ich todt hinabgeſtiegen! Schon in Charons Nachen ſtand Faſt ein ganzes Volk, vernichtet, ohne Herd und Vaterland, Das gebracht die letzten Opfer, ſeinem Koͤnige zulieb, Der's zum Dank dann ſtrich mit Ruthen, ja mit Skorpionen hieb! Mehr gekroͤnte Gimpel ſah ich, als es Grillen giebt im Gras, Einen Vatermoͤrder endlich, welcher fromm im Kempis las; Aber nur mit Einem Auge, denn das andre ſchielte dreiſt Nach verbuhlten Frau'n, es blieb ihm keins fuͤr ſeines Vaters Geiſt, Der mit offnen Augen hinter ſeinem Seſſel ſchnarchend ſchlief; Aber ich erwachte ſchaudernd, waͤhrend ich um Huͤlfe rief. Jokaſte. Laß die Nachtgeſpenſter, freue dich des Tags! Lajus. Ich eile fort, Hole mir von Delphi's Dreifuß irgend ein Orakelwort. (Ab.) Jokaſte. Kann ich doch indeß mit meinen beiden Saͤngern mich erfreu'n, Ein'ge Leſefruͤchte ſammeln, einige Gedichte ſtreu'n! Ach, da las ich juſt im Houwald eine Stelle, welche nie Wieder aus dem Kopfe geht mir, oder aus der Phantaſie; Denn in einem Trauerſpiele tritt (die Feinde heißt das Stuͤck) Eine Fuͤrſtin auf um Mitternacht und wuͤnſcht den Tag zuruͤck, Und ſie ſagt, dieß auszudruͤcken, wie's nur ein Genie vermag: Daß ich waͤre deine Mutter, um zu wecken dich, o Tag! Welch ein kuͤhnes Bild, wie wuͤrdig eines Weſens auf dem Thron!

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Zitationshilfe: Platen, August von: Der romantische Oedipus. Stuttgart u. a., 1829, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/platen_oedipus_1829/46>, abgerufen am 03.12.2024.