Platen, August von: Der romantische Oedipus. Stuttgart u. a., 1829.
Und den Zustand auch, wie er Deutschland fand, und die jetzige herrschende Dichtkunst, Wo ein Clauren sogar Reichthum sich erschreibt, als wär's ein gewaltiger Byron! Ihr Fromme zumal, in der Schrift so gelehrt, seht lieber ein sichtliches Vorbild In dem Göttlichen selbst, der nie es verschwieg, was ihm in der Seele so tief lag! Als ihn des Bezirks Landpfleger gefragt: Sprich! Bist du der König der Juden? Nicht läugnete Der es bescheiden hinweg, er erwiederte ruhig: Du sagst es. Euch sagt der Poet: Das bin ich, und nie, nie hat er ver- wegen behauptet, Mehr gelte vor Gott ein gefühlter Gesang, als irgend ein frommer Gemeinplatz! Gönnt einst das Geschick ihm höheren Flug, ihm ernstere Fülle der Bildkraft, Dann möge dem Volk der Erfolg darthun, wer schönere sittliche Reinheit, Wer mehr Andacht den Gemüthern entlockt, ihr oder die weltliche Dichtkunst, Wenn je sie den Schritt in Kothurne verhüllt, und die Stirn wie ein Priester belorbeert. Wohl äußert vielleicht ein bedächtiger Mann, ja selbst ein geduldiger Freund wohl, Weßhalb der Poet auf Fehlende stets hinweis't in der tra- gischen Dichtkunst, Und doch nie selbst den Kothurn festschnallt an die Knöchel und ernsteren Tanz tritt? Zwar könnt' er darauf antworten, es sei die Comödie seines Bereichs nur, v. Platen, der romant. Oedipus. 2
Und den Zuſtand auch, wie er Deutſchland fand, und die jetzige herrſchende Dichtkunſt, Wo ein Clauren ſogar Reichthum ſich erſchreibt, als waͤr's ein gewaltiger Byron! Ihr Fromme zumal, in der Schrift ſo gelehrt, ſeht lieber ein ſichtliches Vorbild In dem Goͤttlichen ſelbſt, der nie es verſchwieg, was ihm in der Seele ſo tief lag! Als ihn des Bezirks Landpfleger gefragt: Sprich! Biſt du der Koͤnig der Juden? Nicht laͤugnete Der es beſcheiden hinweg, er erwiederte ruhig: Du ſagſt es. Euch ſagt der Poet: Das bin ich, und nie, nie hat er ver- wegen behauptet, Mehr gelte vor Gott ein gefuͤhlter Geſang, als irgend ein frommer Gemeinplatz! Goͤnnt einſt das Geſchick ihm hoͤheren Flug, ihm ernſtere Fuͤlle der Bildkraft, Dann moͤge dem Volk der Erfolg darthun, wer ſchoͤnere ſittliche Reinheit, Wer mehr Andacht den Gemuͤthern entlockt, ihr oder die weltliche Dichtkunſt, Wenn je ſie den Schritt in Kothurne verhuͤllt, und die Stirn wie ein Prieſter belorbeert. Wohl aͤußert vielleicht ein bedaͤchtiger Mann, ja ſelbſt ein geduldiger Freund wohl, Weßhalb der Poet auf Fehlende ſtets hinweiſ't in der tra- giſchen Dichtkunſt, Und doch nie ſelbſt den Kothurn feſtſchnallt an die Knoͤchel und ernſteren Tanz tritt? Zwar koͤnnt' er darauf antworten, es ſei die Comoͤdie ſeines Bereichs nur, v. Platen, der romant. Oedipus. 2
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <sp who="#CHOF"> <p><pb facs="#f0023" n="17"/> Und den Zuſtand auch, wie er Deutſchland fand, und die<lb/> jetzige herrſchende Dichtkunſt,<lb/> Wo ein Clauren ſogar Reichthum ſich erſchreibt, als waͤr's<lb/> ein gewaltiger Byron!<lb/> Ihr Fromme zumal, in der Schrift ſo gelehrt, ſeht lieber<lb/> ein ſichtliches Vorbild<lb/> In dem Goͤttlichen ſelbſt, der nie es verſchwieg, was ihm<lb/> in der Seele ſo tief lag!<lb/> Als ihn des Bezirks Landpfleger gefragt: Sprich! Biſt du<lb/> der Koͤnig der Juden?<lb/> Nicht laͤugnete Der es beſcheiden hinweg, er erwiederte<lb/> ruhig: Du ſagſt es.<lb/> Euch ſagt der Poet: Das bin ich, und nie, nie hat er ver-<lb/> wegen behauptet,<lb/> Mehr gelte vor Gott ein gefuͤhlter Geſang, als irgend ein<lb/> frommer Gemeinplatz!<lb/> Goͤnnt einſt das Geſchick ihm hoͤheren Flug, ihm ernſtere<lb/> Fuͤlle der Bildkraft,<lb/> Dann moͤge dem Volk der Erfolg darthun, wer ſchoͤnere<lb/> ſittliche Reinheit,<lb/> Wer mehr Andacht den Gemuͤthern entlockt, ihr oder die<lb/> weltliche Dichtkunſt,<lb/> Wenn je ſie den Schritt in Kothurne verhuͤllt, und die Stirn<lb/> wie ein Prieſter belorbeert.<lb/> Wohl aͤußert vielleicht ein bedaͤchtiger Mann, ja ſelbſt ein<lb/> geduldiger Freund wohl,<lb/> Weßhalb der Poet auf Fehlende ſtets hinweiſ't in der tra-<lb/> giſchen Dichtkunſt,<lb/> Und doch nie ſelbſt den Kothurn feſtſchnallt an die Knoͤchel<lb/> und ernſteren Tanz tritt?<lb/> Zwar koͤnnt' er darauf antworten, es ſei die Comoͤdie ſeines<lb/> Bereichs nur,<lb/> <fw place="bottom" type="sig">v. Platen, der romant. Oedipus. 2</fw><lb/></p> </sp> </div> </div> </body> </text> </TEI> [17/0023]
Und den Zuſtand auch, wie er Deutſchland fand, und die
jetzige herrſchende Dichtkunſt,
Wo ein Clauren ſogar Reichthum ſich erſchreibt, als waͤr's
ein gewaltiger Byron!
Ihr Fromme zumal, in der Schrift ſo gelehrt, ſeht lieber
ein ſichtliches Vorbild
In dem Goͤttlichen ſelbſt, der nie es verſchwieg, was ihm
in der Seele ſo tief lag!
Als ihn des Bezirks Landpfleger gefragt: Sprich! Biſt du
der Koͤnig der Juden?
Nicht laͤugnete Der es beſcheiden hinweg, er erwiederte
ruhig: Du ſagſt es.
Euch ſagt der Poet: Das bin ich, und nie, nie hat er ver-
wegen behauptet,
Mehr gelte vor Gott ein gefuͤhlter Geſang, als irgend ein
frommer Gemeinplatz!
Goͤnnt einſt das Geſchick ihm hoͤheren Flug, ihm ernſtere
Fuͤlle der Bildkraft,
Dann moͤge dem Volk der Erfolg darthun, wer ſchoͤnere
ſittliche Reinheit,
Wer mehr Andacht den Gemuͤthern entlockt, ihr oder die
weltliche Dichtkunſt,
Wenn je ſie den Schritt in Kothurne verhuͤllt, und die Stirn
wie ein Prieſter belorbeert.
Wohl aͤußert vielleicht ein bedaͤchtiger Mann, ja ſelbſt ein
geduldiger Freund wohl,
Weßhalb der Poet auf Fehlende ſtets hinweiſ't in der tra-
giſchen Dichtkunſt,
Und doch nie ſelbſt den Kothurn feſtſchnallt an die Knoͤchel
und ernſteren Tanz tritt?
Zwar koͤnnt' er darauf antworten, es ſei die Comoͤdie ſeines
Bereichs nur,
v. Platen, der romant. Oedipus. 2
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
| URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/platen_oedipus_1829 |
| URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/platen_oedipus_1829/23 |
| Zitationshilfe: | Platen, August von: Der romantische Oedipus. Stuttgart u. a., 1829, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/platen_oedipus_1829/23>, abgerufen am 29.01.2025. |
