Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Platen, August von: Die verhängnißvolle Gabel. Stuttgart u. a., 1826.

Bild:
<< vorherige Seite
Die man ihm als Muster lobte, ließ er hinter sich so weit!
Gerne beugt er sich der Stirne, die ein Zweig mit Recht umlaubt,
Beugt vor Goethe's greisen Schläfen ein noch nicht bekränztes
Haupt;
Doch vor Eingedrungnen, sey'n sie auch begabt mit Sinn und
Witz,
Die er nicht erkennt als Meister, springt er nicht empor vom
Sitz.
Größres wollt' er wohl vollenden; doch die Zeiten hindern es:
Nur ein freies Volk ist würdig eines Aristophanes.
Zwar der Dichter freut sich eines großgesinnten Königs Gunst,
Doch Europa's Seufzer steigen um ihn her als Nebeldunst!
Da der Sonnenstrahl der Freiheit seine Tage nicht erhellt,
Gibt er, statt des Weltenbildes, nur ein Bild des Bilds der
Welt.
Mag er wissen, was vom deutschen Schaugerüst man sich ver-
spricht,
Wie es steht in deutschen Landen, frage man Poeten nicht!
Einem spätern Meister überläßt er die berühmte That,
Volk und Mächtige zu geißeln, ein gefürchtet Haupt im Staat.
Zürnt ihr ihm, wenn seine Feder, die die Bühne sich als Stoff
Auserkoren, von Satyre, wie die Reb' im Lenze, troff?
Der Begeisterung Altäre sind in Dampf gehüllt und Qualm,
Und im Pantheon der Helden singen Pfuscher ihren Psalm:
Wo Gestalten schreiten sollten, schwebeln Schatten, leer und
hohl,
Und der Dichter sagt den Brettern ein entschiednes Lebewohl!
Wehe Jedem, der vertrauend unter ein Geschlecht sich mischt,
Welches heute klatscht der Thorheit, und der Wahrheit morgen
zischt;
Die man ihm als Muſter lobte, ließ er hinter ſich ſo weit!
Gerne beugt er ſich der Stirne, die ein Zweig mit Recht umlaubt,
Beugt vor Goethe's greiſen Schlaͤfen ein noch nicht bekraͤnztes
Haupt;
Doch vor Eingedrungnen, ſey'n ſie auch begabt mit Sinn und
Witz,
Die er nicht erkennt als Meiſter, ſpringt er nicht empor vom
Sitz.
Groͤßres wollt' er wohl vollenden; doch die Zeiten hindern es:
Nur ein freies Volk iſt wuͤrdig eines Ariſtophanes.
Zwar der Dichter freut ſich eines großgeſinnten Koͤnigs Gunſt,
Doch Europa's Seufzer ſteigen um ihn her als Nebeldunſt!
Da der Sonnenſtrahl der Freiheit ſeine Tage nicht erhellt,
Gibt er, ſtatt des Weltenbildes, nur ein Bild des Bilds der
Welt.
Mag er wiſſen, was vom deutſchen Schaugeruͤſt man ſich ver-
ſpricht,
Wie es ſteht in deutſchen Landen, frage man Poeten nicht!
Einem ſpaͤtern Meiſter uͤberlaͤßt er die beruͤhmte That,
Volk und Maͤchtige zu geißeln, ein gefuͤrchtet Haupt im Staat.
Zuͤrnt ihr ihm, wenn ſeine Feder, die die Buͤhne ſich als Stoff
Auserkoren, von Satyre, wie die Reb' im Lenze, troff?
Der Begeiſterung Altaͤre ſind in Dampf gehuͤllt und Qualm,
Und im Pantheon der Helden ſingen Pfuſcher ihren Pſalm:
Wo Geſtalten ſchreiten ſollten, ſchwebeln Schatten, leer und
hohl,
Und der Dichter ſagt den Brettern ein entſchiednes Lebewohl!
Wehe Jedem, der vertrauend unter ein Geſchlecht ſich miſcht,
Welches heute klatſcht der Thorheit, und der Wahrheit morgen
ziſcht;
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <sp who="#SCHM">
            <p><pb facs="#f0077" n="71"/>
Die man ihm als Mu&#x017F;ter lobte, ließ er hinter &#x017F;ich &#x017F;o weit!<lb/>
Gerne beugt er &#x017F;ich der Stirne, die ein Zweig mit Recht umlaubt,<lb/>
Beugt vor Goethe's grei&#x017F;en Schla&#x0364;fen ein noch nicht bekra&#x0364;nztes<lb/>
Haupt;<lb/>
Doch vor Eingedrungnen, &#x017F;ey'n &#x017F;ie auch begabt mit Sinn und<lb/>
Witz,<lb/>
Die er nicht erkennt als Mei&#x017F;ter, &#x017F;pringt er nicht empor vom<lb/>
Sitz.<lb/>
Gro&#x0364;ßres wollt' er wohl vollenden; doch die Zeiten hindern es:<lb/>
Nur ein freies Volk i&#x017F;t wu&#x0364;rdig eines Ari&#x017F;tophanes.<lb/>
Zwar der Dichter freut &#x017F;ich eines großge&#x017F;innten Ko&#x0364;nigs Gun&#x017F;t,<lb/>
Doch Europa's Seufzer &#x017F;teigen um ihn her als Nebeldun&#x017F;t!<lb/>
Da der Sonnen&#x017F;trahl der Freiheit &#x017F;eine Tage nicht erhellt,<lb/>
Gibt er, &#x017F;tatt des Weltenbildes, nur ein Bild des Bilds der<lb/>
Welt.<lb/>
Mag er wi&#x017F;&#x017F;en, was vom deut&#x017F;chen Schaugeru&#x0364;&#x017F;t man &#x017F;ich ver-<lb/>
&#x017F;pricht,<lb/>
Wie es &#x017F;teht in deut&#x017F;chen Landen, frage man Poeten nicht!<lb/>
Einem &#x017F;pa&#x0364;tern Mei&#x017F;ter u&#x0364;berla&#x0364;ßt er die beru&#x0364;hmte That,<lb/>
Volk und Ma&#x0364;chtige zu geißeln, ein gefu&#x0364;rchtet Haupt im Staat.<lb/>
Zu&#x0364;rnt ihr ihm, wenn &#x017F;eine Feder, die die Bu&#x0364;hne &#x017F;ich als Stoff<lb/>
Auserkoren, von Satyre, wie die Reb' im Lenze, troff?<lb/>
Der Begei&#x017F;terung Alta&#x0364;re &#x017F;ind in Dampf gehu&#x0364;llt und Qualm,<lb/>
Und im Pantheon der Helden &#x017F;ingen Pfu&#x017F;cher ihren P&#x017F;alm:<lb/>
Wo Ge&#x017F;talten &#x017F;chreiten &#x017F;ollten, &#x017F;chwebeln Schatten, leer und<lb/>
hohl,<lb/>
Und der Dichter &#x017F;agt den Brettern ein ent&#x017F;chiednes Lebewohl!<lb/>
Wehe Jedem, der vertrauend unter ein Ge&#x017F;chlecht &#x017F;ich mi&#x017F;cht,<lb/>
Welches heute klat&#x017F;cht der Thorheit, und der Wahrheit morgen<lb/>
zi&#x017F;cht;<lb/></p>
          </sp>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[71/0077] Die man ihm als Muſter lobte, ließ er hinter ſich ſo weit! Gerne beugt er ſich der Stirne, die ein Zweig mit Recht umlaubt, Beugt vor Goethe's greiſen Schlaͤfen ein noch nicht bekraͤnztes Haupt; Doch vor Eingedrungnen, ſey'n ſie auch begabt mit Sinn und Witz, Die er nicht erkennt als Meiſter, ſpringt er nicht empor vom Sitz. Groͤßres wollt' er wohl vollenden; doch die Zeiten hindern es: Nur ein freies Volk iſt wuͤrdig eines Ariſtophanes. Zwar der Dichter freut ſich eines großgeſinnten Koͤnigs Gunſt, Doch Europa's Seufzer ſteigen um ihn her als Nebeldunſt! Da der Sonnenſtrahl der Freiheit ſeine Tage nicht erhellt, Gibt er, ſtatt des Weltenbildes, nur ein Bild des Bilds der Welt. Mag er wiſſen, was vom deutſchen Schaugeruͤſt man ſich ver- ſpricht, Wie es ſteht in deutſchen Landen, frage man Poeten nicht! Einem ſpaͤtern Meiſter uͤberlaͤßt er die beruͤhmte That, Volk und Maͤchtige zu geißeln, ein gefuͤrchtet Haupt im Staat. Zuͤrnt ihr ihm, wenn ſeine Feder, die die Buͤhne ſich als Stoff Auserkoren, von Satyre, wie die Reb' im Lenze, troff? Der Begeiſterung Altaͤre ſind in Dampf gehuͤllt und Qualm, Und im Pantheon der Helden ſingen Pfuſcher ihren Pſalm: Wo Geſtalten ſchreiten ſollten, ſchwebeln Schatten, leer und hohl, Und der Dichter ſagt den Brettern ein entſchiednes Lebewohl! Wehe Jedem, der vertrauend unter ein Geſchlecht ſich miſcht, Welches heute klatſcht der Thorheit, und der Wahrheit morgen ziſcht;

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/platen_gabel_1826
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/platen_gabel_1826/77
Zitationshilfe: Platen, August von: Die verhängnißvolle Gabel. Stuttgart u. a., 1826, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/platen_gabel_1826/77>, abgerufen am 03.05.2024.