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Planck, Max: Vorlesungen über Thermodynamik. Leipzig: Veit & C., 1897.

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Der zweite Hauptsatz der Wärmetheorie.
digen Kraft die Gleichgewichtslage überschreiten, nach der ent-
gegengesetzten Seite pendeln und schliesslich, da keine Reibung
vorausgesetzt ist, genau in ihren Anfangszustand zurückkehren.
Dann ist der Prozess vollständig rückgängig geworden und ge-
hört daher zu den reversibeln Prozessen. Sobald aber die Rei-
bung ins Spiel kommt, ist die Reversibilität mindestens fraglich.
Ob es überhaupt irreversible Prozesse gibt, kann man von vorne-
herein nicht wissen und auch nicht beweisen; denn rein logisch
genommen ist es sehr wohl denkbar, dass eines Tages ein Mittel
aufgefunden würde, durch dessen Anwendung es gelänge, einen
bisher als irreversibel angenommenen Prozess, z. B. einen Vor-
gang, in welchem Reibung oder Wärmeleitung vorkommt, voll-
ständig rückgängig zu machen. Wohl aber lässt sich be-
weisen -- und dieser Beweis wird im nächsten Capitel geführt
werden -- dass, wenn auch nur in einem einzigen Falle einer
der in den §§ 109 ff. als irreversibel bezeichneten Prozesse in
Wirklichkeit reversibel wäre, es nothwendig auch alle übrigen
in allen Fällen sein müssten. Folglich sind entweder sämmt-
liche oben angeführte Prozesse wirklich irreversibel, oder es ist
kein einziger von ihnen. Ein Drittes ist ausgeschlossen. Im
letzteren Falle stürzt der ganze Bau des zweiten Hauptsatzes
zusammen, keine der zahlreichen aus ihm hergeleiteten Be-
ziehungen, so viele einzelne auch durch die Erfahrung bestätigt
sind, kann mehr als allgemein bewiesen gelten und die Arbeit
der Theorie muss von vorne beginnen. (Die sogenannten Be-
weise der "Energetik" gewähren keinen Ersatz; denn sie stellen
sich bei näherer Prüfung sämmtlich nur als mehr oder minder
mangelhafte Umschreibungen des zu Beweisenden heraus, was
darzulegen hier nicht der Ort ist). Aber gerade in diesem
Punkte liegt auch die dem zweiten Hauptsatz innewohnende
Kraft. Denn ebenso wie jede einzelne Lücke ihn völlig un-
haltbar macht, so kommt auch jede einzelne Bestätigung dem
Ganzen zu Gute und verleiht den Schlüssen auch auf schein-
bar entfernten Gebieten die volle Bedeutung, die der Satz
selber besitzt.

§ 114. Da die Entscheidung darüber, ob ein bestimmter
ins Auge gefasster Prozess irreversibel oder reversibel ist, nur
davon abhängt, ob er sich auf irgend eine Weise vollständig
rückgängig machen lässt oder nicht, so kommt es dabei lediglich

Der zweite Hauptsatz der Wärmetheorie.
digen Kraft die Gleichgewichtslage überschreiten, nach der ent-
gegengesetzten Seite pendeln und schliesslich, da keine Reibung
vorausgesetzt ist, genau in ihren Anfangszustand zurückkehren.
Dann ist der Prozess vollständig rückgängig geworden und ge-
hört daher zu den reversibeln Prozessen. Sobald aber die Rei-
bung ins Spiel kommt, ist die Reversibilität mindestens fraglich.
Ob es überhaupt irreversible Prozesse gibt, kann man von vorne-
herein nicht wissen und auch nicht beweisen; denn rein logisch
genommen ist es sehr wohl denkbar, dass eines Tages ein Mittel
aufgefunden würde, durch dessen Anwendung es gelänge, einen
bisher als irreversibel angenommenen Prozess, z. B. einen Vor-
gang, in welchem Reibung oder Wärmeleitung vorkommt, voll-
ständig rückgängig zu machen. Wohl aber lässt sich be-
weisen — und dieser Beweis wird im nächsten Capitel geführt
werden — dass, wenn auch nur in einem einzigen Falle einer
der in den §§ 109 ff. als irreversibel bezeichneten Prozesse in
Wirklichkeit reversibel wäre, es nothwendig auch alle übrigen
in allen Fällen sein müssten. Folglich sind entweder sämmt-
liche oben angeführte Prozesse wirklich irreversibel, oder es ist
kein einziger von ihnen. Ein Drittes ist ausgeschlossen. Im
letzteren Falle stürzt der ganze Bau des zweiten Hauptsatzes
zusammen, keine der zahlreichen aus ihm hergeleiteten Be-
ziehungen, so viele einzelne auch durch die Erfahrung bestätigt
sind, kann mehr als allgemein bewiesen gelten und die Arbeit
der Theorie muss von vorne beginnen. (Die sogenannten Be-
weise der „Energetik“ gewähren keinen Ersatz; denn sie stellen
sich bei näherer Prüfung sämmtlich nur als mehr oder minder
mangelhafte Umschreibungen des zu Beweisenden heraus, was
darzulegen hier nicht der Ort ist). Aber gerade in diesem
Punkte liegt auch die dem zweiten Hauptsatz innewohnende
Kraft. Denn ebenso wie jede einzelne Lücke ihn völlig un-
haltbar macht, so kommt auch jede einzelne Bestätigung dem
Ganzen zu Gute und verleiht den Schlüssen auch auf schein-
bar entfernten Gebieten die volle Bedeutung, die der Satz
selber besitzt.

§ 114. Da die Entscheidung darüber, ob ein bestimmter
ins Auge gefasster Prozess irreversibel oder reversibel ist, nur
davon abhängt, ob er sich auf irgend eine Weise vollständig
rückgängig machen lässt oder nicht, so kommt es dabei lediglich

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[78/0094] Der zweite Hauptsatz der Wärmetheorie. digen Kraft die Gleichgewichtslage überschreiten, nach der ent- gegengesetzten Seite pendeln und schliesslich, da keine Reibung vorausgesetzt ist, genau in ihren Anfangszustand zurückkehren. Dann ist der Prozess vollständig rückgängig geworden und ge- hört daher zu den reversibeln Prozessen. Sobald aber die Rei- bung ins Spiel kommt, ist die Reversibilität mindestens fraglich. Ob es überhaupt irreversible Prozesse gibt, kann man von vorne- herein nicht wissen und auch nicht beweisen; denn rein logisch genommen ist es sehr wohl denkbar, dass eines Tages ein Mittel aufgefunden würde, durch dessen Anwendung es gelänge, einen bisher als irreversibel angenommenen Prozess, z. B. einen Vor- gang, in welchem Reibung oder Wärmeleitung vorkommt, voll- ständig rückgängig zu machen. Wohl aber lässt sich be- weisen — und dieser Beweis wird im nächsten Capitel geführt werden — dass, wenn auch nur in einem einzigen Falle einer der in den §§ 109 ff. als irreversibel bezeichneten Prozesse in Wirklichkeit reversibel wäre, es nothwendig auch alle übrigen in allen Fällen sein müssten. Folglich sind entweder sämmt- liche oben angeführte Prozesse wirklich irreversibel, oder es ist kein einziger von ihnen. Ein Drittes ist ausgeschlossen. Im letzteren Falle stürzt der ganze Bau des zweiten Hauptsatzes zusammen, keine der zahlreichen aus ihm hergeleiteten Be- ziehungen, so viele einzelne auch durch die Erfahrung bestätigt sind, kann mehr als allgemein bewiesen gelten und die Arbeit der Theorie muss von vorne beginnen. (Die sogenannten Be- weise der „Energetik“ gewähren keinen Ersatz; denn sie stellen sich bei näherer Prüfung sämmtlich nur als mehr oder minder mangelhafte Umschreibungen des zu Beweisenden heraus, was darzulegen hier nicht der Ort ist). Aber gerade in diesem Punkte liegt auch die dem zweiten Hauptsatz innewohnende Kraft. Denn ebenso wie jede einzelne Lücke ihn völlig un- haltbar macht, so kommt auch jede einzelne Bestätigung dem Ganzen zu Gute und verleiht den Schlüssen auch auf schein- bar entfernten Gebieten die volle Bedeutung, die der Satz selber besitzt. § 114. Da die Entscheidung darüber, ob ein bestimmter ins Auge gefasster Prozess irreversibel oder reversibel ist, nur davon abhängt, ob er sich auf irgend eine Weise vollständig rückgängig machen lässt oder nicht, so kommt es dabei lediglich

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Zitationshilfe: Planck, Max: Vorlesungen über Thermodynamik. Leipzig: Veit & C., 1897, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/planck_thermodynamik_1897/94>, abgerufen am 09.05.2024.