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Planck, Max: Vorlesungen über Thermodynamik. Leipzig: Veit & C., 1897.

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Der zweite Hauptsatz der Wärmetheorie.
abgabe an die Umgebung erfordert, und umgekehrt, dass diese
Wärme gebunden wird, wenn das Wasser sich in Wasserstoff
und Sauerstoff zersetzt; sie ertheilt aber keinen Aufschluss
darüber, ob sich Knallgas wirklich zu Wasser verbindet, oder
ob sich Wasser in Knallgas zersetzt, oder ob der Prozess über-
haupt in irgend einer Richtung direkt vor sich gehen kann
(vgl. § 104). Vom Standpunkt des ersten Hauptsatzes aus be-
trachtet erscheinen also Anfangszustand und Endzustand eines
jeden Prozesses als vollkommen gleichwerthig.

§ 107. Es gibt allerdings einen singulären Fall, wo das
Energieprincip allein einem Prozesse eine ganz bestimmte
Richtung vorschreibt; dieser Fall tritt dann ein, wenn sich das
betrachtete System in einem Zustand befindet, für den eine der
verschiedenen Energiearten ein absolutes Maximum oder ein
absolutes Minimum besitzt. Dann kann nämlich eine Ver-
änderung offenbar nur in dem Sinne erfolgen, dass die betr.
Energie abnimmt, bez. zunimmt. Dieser singuläre Fall findet
sich z. B. verwirklicht in der Mechanik, wenn ein Punktsystem
ruht, wenn also die kinetische Energie ein absolutes Minimum
ist; d. h. in einem ruhenden Punktsystem ist jede Veränderung
mit einer Zunahme der kinetischen, folglich, falls keine Ein-
wirkungen von Aussen stattfinden, mit einer Abnahme der po-
tentiellen Energie verknüpft. Hieraus entspringt ein wichtiger
Satz der Mechanik, der die Richtung von selbst eintretender
Bewegungen charakterisirt und dadurch auch zur Fixirung der
allgemeinen mechanischen Gleichgewichtsbedingung führt. Denn
wenn ausser der kinetischen auch die potentielle Energie ein
Minimum ist, so kann offenbar überhaupt keine Veränderung
eintreten, da sich dann keine der beiden Energieen auf Kosten
der andern vergrössern kann, und das System muss in Ruhe
bleiben.

Befindet sich z. B. eine schwere Flüssigkeit in zwei com-
municirenden Röhren auf verschiedenen Niveauhöhen im Ruhe-
zustand, so muss die Bewegung in dem Sinne eintreten, dass
das höhere Niveau sinkt, das tiefere steigt, weil dabei der Schwer-
punkt des Systems tiefer gelegt wird und dadurch die potentielle
Energie, deren Werth mit der Höhe des Schwerpunkts wächst,
vermindert wird. Gleichgewicht ist dann vorhanden, wenn die
Höhe des Schwerpunkts und mit ihr die potentielle Energie ein

Der zweite Hauptsatz der Wärmetheorie.
abgabe an die Umgebung erfordert, und umgekehrt, dass diese
Wärme gebunden wird, wenn das Wasser sich in Wasserstoff
und Sauerstoff zersetzt; sie ertheilt aber keinen Aufschluss
darüber, ob sich Knallgas wirklich zu Wasser verbindet, oder
ob sich Wasser in Knallgas zersetzt, oder ob der Prozess über-
haupt in irgend einer Richtung direkt vor sich gehen kann
(vgl. § 104). Vom Standpunkt des ersten Hauptsatzes aus be-
trachtet erscheinen also Anfangszustand und Endzustand eines
jeden Prozesses als vollkommen gleichwerthig.

§ 107. Es gibt allerdings einen singulären Fall, wo das
Energieprincip allein einem Prozesse eine ganz bestimmte
Richtung vorschreibt; dieser Fall tritt dann ein, wenn sich das
betrachtete System in einem Zustand befindet, für den eine der
verschiedenen Energiearten ein absolutes Maximum oder ein
absolutes Minimum besitzt. Dann kann nämlich eine Ver-
änderung offenbar nur in dem Sinne erfolgen, dass die betr.
Energie abnimmt, bez. zunimmt. Dieser singuläre Fall findet
sich z. B. verwirklicht in der Mechanik, wenn ein Punktsystem
ruht, wenn also die kinetische Energie ein absolutes Minimum
ist; d. h. in einem ruhenden Punktsystem ist jede Veränderung
mit einer Zunahme der kinetischen, folglich, falls keine Ein-
wirkungen von Aussen stattfinden, mit einer Abnahme der po-
tentiellen Energie verknüpft. Hieraus entspringt ein wichtiger
Satz der Mechanik, der die Richtung von selbst eintretender
Bewegungen charakterisirt und dadurch auch zur Fixirung der
allgemeinen mechanischen Gleichgewichtsbedingung führt. Denn
wenn ausser der kinetischen auch die potentielle Energie ein
Minimum ist, so kann offenbar überhaupt keine Veränderung
eintreten, da sich dann keine der beiden Energieen auf Kosten
der andern vergrössern kann, und das System muss in Ruhe
bleiben.

Befindet sich z. B. eine schwere Flüssigkeit in zwei com-
municirenden Röhren auf verschiedenen Niveauhöhen im Ruhe-
zustand, so muss die Bewegung in dem Sinne eintreten, dass
das höhere Niveau sinkt, das tiefere steigt, weil dabei der Schwer-
punkt des Systems tiefer gelegt wird und dadurch die potentielle
Energie, deren Werth mit der Höhe des Schwerpunkts wächst,
vermindert wird. Gleichgewicht ist dann vorhanden, wenn die
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[72/0088] Der zweite Hauptsatz der Wärmetheorie. abgabe an die Umgebung erfordert, und umgekehrt, dass diese Wärme gebunden wird, wenn das Wasser sich in Wasserstoff und Sauerstoff zersetzt; sie ertheilt aber keinen Aufschluss darüber, ob sich Knallgas wirklich zu Wasser verbindet, oder ob sich Wasser in Knallgas zersetzt, oder ob der Prozess über- haupt in irgend einer Richtung direkt vor sich gehen kann (vgl. § 104). Vom Standpunkt des ersten Hauptsatzes aus be- trachtet erscheinen also Anfangszustand und Endzustand eines jeden Prozesses als vollkommen gleichwerthig. § 107. Es gibt allerdings einen singulären Fall, wo das Energieprincip allein einem Prozesse eine ganz bestimmte Richtung vorschreibt; dieser Fall tritt dann ein, wenn sich das betrachtete System in einem Zustand befindet, für den eine der verschiedenen Energiearten ein absolutes Maximum oder ein absolutes Minimum besitzt. Dann kann nämlich eine Ver- änderung offenbar nur in dem Sinne erfolgen, dass die betr. Energie abnimmt, bez. zunimmt. Dieser singuläre Fall findet sich z. B. verwirklicht in der Mechanik, wenn ein Punktsystem ruht, wenn also die kinetische Energie ein absolutes Minimum ist; d. h. in einem ruhenden Punktsystem ist jede Veränderung mit einer Zunahme der kinetischen, folglich, falls keine Ein- wirkungen von Aussen stattfinden, mit einer Abnahme der po- tentiellen Energie verknüpft. Hieraus entspringt ein wichtiger Satz der Mechanik, der die Richtung von selbst eintretender Bewegungen charakterisirt und dadurch auch zur Fixirung der allgemeinen mechanischen Gleichgewichtsbedingung führt. Denn wenn ausser der kinetischen auch die potentielle Energie ein Minimum ist, so kann offenbar überhaupt keine Veränderung eintreten, da sich dann keine der beiden Energieen auf Kosten der andern vergrössern kann, und das System muss in Ruhe bleiben. Befindet sich z. B. eine schwere Flüssigkeit in zwei com- municirenden Röhren auf verschiedenen Niveauhöhen im Ruhe- zustand, so muss die Bewegung in dem Sinne eintreten, dass das höhere Niveau sinkt, das tiefere steigt, weil dabei der Schwer- punkt des Systems tiefer gelegt wird und dadurch die potentielle Energie, deren Werth mit der Höhe des Schwerpunkts wächst, vermindert wird. Gleichgewicht ist dann vorhanden, wenn die Höhe des Schwerpunkts und mit ihr die potentielle Energie ein

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Zitationshilfe: Planck, Max: Vorlesungen über Thermodynamik. Leipzig: Veit & C., 1897, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/planck_thermodynamik_1897/88>, abgerufen am 25.11.2024.