Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Planck, Max: Vorlesungen über Thermodynamik. Leipzig: Veit & C., 1897.

Bild:
<< vorherige Seite

Anwendungen auf spezielle Gleichgewichtszustände.
Veränderung einen bestimmten im Allgemeinen endlichen Werth,
und es kann daher nach der Gleichung (218) keine der Con-
centrationen c genau gleich Null werden, solange Temperatur
und Druck endlich bleiben. Diese durch die Thermodynamik
bedingte prinzipielle Auffassung hat sich schon nach verschiedenen
Seiten hin fruchtbar gezeigt, wie z. B. in der Erklärung der
Thatsache, dass weder ein Gas, noch eine Flüssigkeit, noch auch
ein fester Körper jemals vollständig von den letzten Spuren
fremder gelöster Stoffe befreit werden kann. Aus ihr folgt auch,
dass es im absoluten Sinne keine semipermeable Wand geben
kann. Denn unter allen Umständen wird sich mit der Zeit die
Substanz der Wand mit jedem der in einer angrenzenden Phase
befindlichen Stoffe sättigen, und daher auch jeden Stoff nach
der anderen Seite wieder abgeben (vgl. § 229).

Andrerseits wird durch die genannte Auffassung die Be-
rechnung der thermodynamischen Eigenschaften einer Lösung
beträchtlich complicirt, da man, um sicher zu gehen, von vorne-
herein immer alle bei den gegebenen Bestandtheilen überhaupt
möglichen Arten von Molekülen als in der Lösung wirklich vor-
handen annehmen muss, und erst dann Vernachlässigungen ein-
treten lassen darf, wenn man sich durch eine besondere Unter-
suchung überzeugt hat, dass einzelne Molekülarten in ihr nicht
in merklichem Maasse vorkommen. Auf diesen Punkt ist wahr-
scheinlich in vielen Fällen eine scheinbar auftretende Nicht-
übereinstimmung der Theorie mit der Erfahrung zurückzuführen.

Es sollen nun einige der wichtigsten speziellen Fälle näher
besprochen werden. Die Anordnung ist in erster Linie nach
der Zahl der unabhängigen Bestandtheile des Systems (§ 198),
in zweiter nach der Zahl der Phasen eingerichtet.

§ 260. Ein unabhängiger Bestandtheil in einer Phase.
Nach der Phasenregel hängt der innere Zustand der Phase von
zwei Variabeln ab, also z. B. von der Temperatur th und dem
Druck p. Dabei kann die Phase beliebig viele Molekülarten
enthalten. So wird eine Quantität flüssiges Wasser ausser den
einfachen H2O-Molekülen auch Doppel- und mehrfache Moleküle,
ferner Moleküle H2 und O2, auch H2O2, ferner geladene Ionen
H+, HO- und O--, u. s. w. in endlichem Betrage enthalten. Die
elektrischen Ladungen der Ionen spielen in der Thermodynamik

Anwendungen auf spezielle Gleichgewichtszustände.
Veränderung einen bestimmten im Allgemeinen endlichen Werth,
und es kann daher nach der Gleichung (218) keine der Con-
centrationen c genau gleich Null werden, solange Temperatur
und Druck endlich bleiben. Diese durch die Thermodynamik
bedingte prinzipielle Auffassung hat sich schon nach verschiedenen
Seiten hin fruchtbar gezeigt, wie z. B. in der Erklärung der
Thatsache, dass weder ein Gas, noch eine Flüssigkeit, noch auch
ein fester Körper jemals vollständig von den letzten Spuren
fremder gelöster Stoffe befreit werden kann. Aus ihr folgt auch,
dass es im absoluten Sinne keine semipermeable Wand geben
kann. Denn unter allen Umständen wird sich mit der Zeit die
Substanz der Wand mit jedem der in einer angrenzenden Phase
befindlichen Stoffe sättigen, und daher auch jeden Stoff nach
der anderen Seite wieder abgeben (vgl. § 229).

Andrerseits wird durch die genannte Auffassung die Be-
rechnung der thermodynamischen Eigenschaften einer Lösung
beträchtlich complicirt, da man, um sicher zu gehen, von vorne-
herein immer alle bei den gegebenen Bestandtheilen überhaupt
möglichen Arten von Molekülen als in der Lösung wirklich vor-
handen annehmen muss, und erst dann Vernachlässigungen ein-
treten lassen darf, wenn man sich durch eine besondere Unter-
suchung überzeugt hat, dass einzelne Molekülarten in ihr nicht
in merklichem Maasse vorkommen. Auf diesen Punkt ist wahr-
scheinlich in vielen Fällen eine scheinbar auftretende Nicht-
übereinstimmung der Theorie mit der Erfahrung zurückzuführen.

Es sollen nun einige der wichtigsten speziellen Fälle näher
besprochen werden. Die Anordnung ist in erster Linie nach
der Zahl der unabhängigen Bestandtheile des Systems (§ 198),
in zweiter nach der Zahl der Phasen eingerichtet.

§ 260. Ein unabhängiger Bestandtheil in einer Phase.
Nach der Phasenregel hängt der innere Zustand der Phase von
zwei Variabeln ab, also z. B. von der Temperatur ϑ und dem
Druck p. Dabei kann die Phase beliebig viele Molekülarten
enthalten. So wird eine Quantität flüssiges Wasser ausser den
einfachen H2O-Molekülen auch Doppel- und mehrfache Moleküle,
ferner Moleküle H2 und O2, auch H2O2, ferner geladene Ionen
H⁺, HO⁻ und O⁻⁻, u. s. w. in endlichem Betrage enthalten. Die
elektrischen Ladungen der Ionen spielen in der Thermodynamik

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0236" n="220"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#i">Anwendungen auf spezielle Gleichgewichtszustände</hi>.</fw><lb/>
Veränderung einen bestimmten im Allgemeinen endlichen Werth,<lb/>
und es kann daher nach der Gleichung (218) keine der Con-<lb/>
centrationen <hi rendition="#i">c</hi> genau gleich Null werden, solange Temperatur<lb/>
und Druck endlich bleiben. Diese durch die Thermodynamik<lb/>
bedingte prinzipielle Auffassung hat sich schon nach verschiedenen<lb/>
Seiten hin fruchtbar gezeigt, wie z. B. in der Erklärung der<lb/>
Thatsache, dass weder ein Gas, noch eine Flüssigkeit, noch auch<lb/>
ein fester Körper jemals vollständig von den letzten Spuren<lb/>
fremder gelöster Stoffe befreit werden kann. Aus ihr folgt auch,<lb/>
dass es im absoluten Sinne keine semipermeable Wand geben<lb/>
kann. Denn unter allen Umständen wird sich mit der Zeit die<lb/>
Substanz der Wand mit jedem der in einer angrenzenden Phase<lb/>
befindlichen Stoffe sättigen, und daher auch jeden Stoff nach<lb/>
der anderen Seite wieder abgeben (vgl. § 229).</p><lb/>
          <p>Andrerseits wird durch die genannte Auffassung die Be-<lb/>
rechnung der thermodynamischen Eigenschaften einer Lösung<lb/>
beträchtlich complicirt, da man, um sicher zu gehen, von vorne-<lb/>
herein immer alle bei den gegebenen Bestandtheilen überhaupt<lb/>
möglichen Arten von Molekülen als in der Lösung wirklich vor-<lb/>
handen annehmen muss, und erst dann Vernachlässigungen ein-<lb/>
treten lassen darf, wenn man sich durch eine besondere Unter-<lb/>
suchung überzeugt hat, dass einzelne Molekülarten in ihr nicht<lb/>
in merklichem Maasse vorkommen. Auf diesen Punkt ist wahr-<lb/>
scheinlich in vielen Fällen eine scheinbar auftretende Nicht-<lb/>
übereinstimmung der Theorie mit der Erfahrung zurückzuführen.</p><lb/>
          <p>Es sollen nun einige der wichtigsten speziellen Fälle näher<lb/>
besprochen werden. Die Anordnung ist in erster Linie nach<lb/>
der Zahl der unabhängigen Bestandtheile des Systems (§ 198),<lb/>
in zweiter nach der Zahl der Phasen eingerichtet.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#b">§ 260. Ein unabhängiger Bestandtheil in einer Phase.</hi><lb/>
Nach der Phasenregel hängt der innere Zustand der Phase von<lb/>
zwei Variabeln ab, also z. B. von der Temperatur <hi rendition="#i">&#x03D1;</hi> und dem<lb/>
Druck <hi rendition="#i">p</hi>. Dabei kann die Phase beliebig viele Molekülarten<lb/>
enthalten. So wird eine Quantität flüssiges Wasser ausser den<lb/>
einfachen H<hi rendition="#sub">2</hi>O-Molekülen auch Doppel- und mehrfache Moleküle,<lb/>
ferner Moleküle H<hi rendition="#sub">2</hi> und O<hi rendition="#sub">2</hi>, auch H<hi rendition="#sub">2</hi>O<hi rendition="#sub">2</hi>, ferner geladene Ionen<lb/>
H&#x207A;, HO&#x207B; und O&#x207B;&#x207B;, u. s. w. in endlichem Betrage enthalten. Die<lb/>
elektrischen Ladungen der Ionen spielen in der Thermodynamik<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[220/0236] Anwendungen auf spezielle Gleichgewichtszustände. Veränderung einen bestimmten im Allgemeinen endlichen Werth, und es kann daher nach der Gleichung (218) keine der Con- centrationen c genau gleich Null werden, solange Temperatur und Druck endlich bleiben. Diese durch die Thermodynamik bedingte prinzipielle Auffassung hat sich schon nach verschiedenen Seiten hin fruchtbar gezeigt, wie z. B. in der Erklärung der Thatsache, dass weder ein Gas, noch eine Flüssigkeit, noch auch ein fester Körper jemals vollständig von den letzten Spuren fremder gelöster Stoffe befreit werden kann. Aus ihr folgt auch, dass es im absoluten Sinne keine semipermeable Wand geben kann. Denn unter allen Umständen wird sich mit der Zeit die Substanz der Wand mit jedem der in einer angrenzenden Phase befindlichen Stoffe sättigen, und daher auch jeden Stoff nach der anderen Seite wieder abgeben (vgl. § 229). Andrerseits wird durch die genannte Auffassung die Be- rechnung der thermodynamischen Eigenschaften einer Lösung beträchtlich complicirt, da man, um sicher zu gehen, von vorne- herein immer alle bei den gegebenen Bestandtheilen überhaupt möglichen Arten von Molekülen als in der Lösung wirklich vor- handen annehmen muss, und erst dann Vernachlässigungen ein- treten lassen darf, wenn man sich durch eine besondere Unter- suchung überzeugt hat, dass einzelne Molekülarten in ihr nicht in merklichem Maasse vorkommen. Auf diesen Punkt ist wahr- scheinlich in vielen Fällen eine scheinbar auftretende Nicht- übereinstimmung der Theorie mit der Erfahrung zurückzuführen. Es sollen nun einige der wichtigsten speziellen Fälle näher besprochen werden. Die Anordnung ist in erster Linie nach der Zahl der unabhängigen Bestandtheile des Systems (§ 198), in zweiter nach der Zahl der Phasen eingerichtet. § 260. Ein unabhängiger Bestandtheil in einer Phase. Nach der Phasenregel hängt der innere Zustand der Phase von zwei Variabeln ab, also z. B. von der Temperatur ϑ und dem Druck p. Dabei kann die Phase beliebig viele Molekülarten enthalten. So wird eine Quantität flüssiges Wasser ausser den einfachen H2O-Molekülen auch Doppel- und mehrfache Moleküle, ferner Moleküle H2 und O2, auch H2O2, ferner geladene Ionen H⁺, HO⁻ und O⁻⁻, u. s. w. in endlichem Betrage enthalten. Die elektrischen Ladungen der Ionen spielen in der Thermodynamik

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/planck_thermodynamik_1897
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/planck_thermodynamik_1897/236
Zitationshilfe: Planck, Max: Vorlesungen über Thermodynamik. Leipzig: Veit & C., 1897, S. 220. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/planck_thermodynamik_1897/236>, abgerufen am 24.11.2024.