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Pichler, Adolf: Der Flüchtling. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 13. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 233–318. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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kletterte auf den Felsen, die Lawine hatte am Abhange des Berges eine breite Furche gerissen und in ihrem Laufe den Wald niedergeschmettert. Zwischen den ungeheuern, schmutzigen Schneeblöcken ragten gebrochene Bäume in allen Richtungen empor. Der streckte die Wurzeln mit den schwarzen Erdklumpen in die Höhe, jener war in der Mitte geborsten, der lag der Länge, der ganz zerschunden der Quere nach. Die Bäume am Rande, welche die Lawine nur berührt hatte, standen schief, wie Trunkene. Vor der Hütte traf Klaus seine Gäste, die Jochdohlen. Sie wurden nach und nach ganz zahm; täglich versammelten sie sich, nahmen ihre Brosamen in Empfang, einige pickten sie ihm sogar aus der Hand.

Grimmiger Frost wechselte mit Thauwetter. Klaus konnte nicht daran denken, in das Thal hinabzusteigen, dafür erhielt er jedoch einen sehr unerwarteten Besuch. Er hatte sich Abends niedergelegt und war bereits fest eingeschlafen, da wurde er durch ein Kratzen und Schaben an der Thüre aufgeweckt; erst glaubte er, es sei der Sturm, nun schien es ihm gar, als wolle Jemand einbrechen. Rasch griff er zum Stutzen; was sollten Diebe bei ihm suchen? Das Gebirg war für sie eben so unwegsam, wie für einen Verräther, der etwa seinen Kopf holen möchte. Die Balken krachten, durch eine Lucke schob sich ein struppiges Gesicht, aus dem zwei Augen in das Dunkel funkelten. Jesus Maria! rief Klaus erschrocken, das ist ja gar der Teufel, was

kletterte auf den Felsen, die Lawine hatte am Abhange des Berges eine breite Furche gerissen und in ihrem Laufe den Wald niedergeschmettert. Zwischen den ungeheuern, schmutzigen Schneeblöcken ragten gebrochene Bäume in allen Richtungen empor. Der streckte die Wurzeln mit den schwarzen Erdklumpen in die Höhe, jener war in der Mitte geborsten, der lag der Länge, der ganz zerschunden der Quere nach. Die Bäume am Rande, welche die Lawine nur berührt hatte, standen schief, wie Trunkene. Vor der Hütte traf Klaus seine Gäste, die Jochdohlen. Sie wurden nach und nach ganz zahm; täglich versammelten sie sich, nahmen ihre Brosamen in Empfang, einige pickten sie ihm sogar aus der Hand.

Grimmiger Frost wechselte mit Thauwetter. Klaus konnte nicht daran denken, in das Thal hinabzusteigen, dafür erhielt er jedoch einen sehr unerwarteten Besuch. Er hatte sich Abends niedergelegt und war bereits fest eingeschlafen, da wurde er durch ein Kratzen und Schaben an der Thüre aufgeweckt; erst glaubte er, es sei der Sturm, nun schien es ihm gar, als wolle Jemand einbrechen. Rasch griff er zum Stutzen; was sollten Diebe bei ihm suchen? Das Gebirg war für sie eben so unwegsam, wie für einen Verräther, der etwa seinen Kopf holen möchte. Die Balken krachten, durch eine Lucke schob sich ein struppiges Gesicht, aus dem zwei Augen in das Dunkel funkelten. Jesus Maria! rief Klaus erschrocken, das ist ja gar der Teufel, was

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[0079] kletterte auf den Felsen, die Lawine hatte am Abhange des Berges eine breite Furche gerissen und in ihrem Laufe den Wald niedergeschmettert. Zwischen den ungeheuern, schmutzigen Schneeblöcken ragten gebrochene Bäume in allen Richtungen empor. Der streckte die Wurzeln mit den schwarzen Erdklumpen in die Höhe, jener war in der Mitte geborsten, der lag der Länge, der ganz zerschunden der Quere nach. Die Bäume am Rande, welche die Lawine nur berührt hatte, standen schief, wie Trunkene. Vor der Hütte traf Klaus seine Gäste, die Jochdohlen. Sie wurden nach und nach ganz zahm; täglich versammelten sie sich, nahmen ihre Brosamen in Empfang, einige pickten sie ihm sogar aus der Hand. Grimmiger Frost wechselte mit Thauwetter. Klaus konnte nicht daran denken, in das Thal hinabzusteigen, dafür erhielt er jedoch einen sehr unerwarteten Besuch. Er hatte sich Abends niedergelegt und war bereits fest eingeschlafen, da wurde er durch ein Kratzen und Schaben an der Thüre aufgeweckt; erst glaubte er, es sei der Sturm, nun schien es ihm gar, als wolle Jemand einbrechen. Rasch griff er zum Stutzen; was sollten Diebe bei ihm suchen? Das Gebirg war für sie eben so unwegsam, wie für einen Verräther, der etwa seinen Kopf holen möchte. Die Balken krachten, durch eine Lucke schob sich ein struppiges Gesicht, aus dem zwei Augen in das Dunkel funkelten. Jesus Maria! rief Klaus erschrocken, das ist ja gar der Teufel, was

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Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-23T13:06:45Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Pichler, Adolf: Der Flüchtling. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 13. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 233–318. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pichler_fluechtling_1910/79>, abgerufen am 22.11.2024.