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Pichler, Adolf: Der Flüchtling. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 13. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 233–318. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Alles dunkel; er legte sich auf das andere Ohr und schnarchte ruhig weiter. Er erwachte wieder; es war Alles dunkel. Will es denn heute gar nicht mehr Tag werden? rief er sich aufrichtend, oder hab' ich den Tag bereits verschlafen und es ist neuerdings Nacht angebrochen? Er zündete einen Span und hielt die Uhr an das Licht. Eins! Das konnte aber auch Eins nach Mitternacht sein. Zweifelnd hielt er die Uhr an das Ohr, sie war nicht stehen geblieben und tickte fleißig fort. Zugleich fühlte er Hunger und Durst wie noch nie, wenn er in der Frühe das Lager verließ. Will doch sehen, wie weit die Sterne sind! Er öffnete die Thüre, die nach innen aufging, eine Schneemauer starrte ihm entgegen. Ah so, meinte er, das ist was Anderes, und griff zur Schaufel, die er für alle Fälle bereit hielt. Schräg durch den Schnee empor grub er einen Stollen, schlug den Boden und die Wände fest, um vor einem Zusammensturz sicher zu sein; bald hatte er sich an das Licht emporgearbeitet. Das war ein Tag! Der Schnee fiel in so schweren Flocken, daß man kaum zwei Schritte weit sehen konnte.

Klaus blieb einen Augenblick stehen und kehrte kopfschüttelnd um. Den Anbruch des Abends erkannte man bloß daran, daß es noch dunkler wurde, als es schon war. Er machte Licht und las des heiligen Tages wegen in einer vergilbten Postille, die er von Nidinger ausgeborgt. Nach Mitternacht hörte es auf zu schneien, dafür quoll ein dichter Nebel über das

Alles dunkel; er legte sich auf das andere Ohr und schnarchte ruhig weiter. Er erwachte wieder; es war Alles dunkel. Will es denn heute gar nicht mehr Tag werden? rief er sich aufrichtend, oder hab' ich den Tag bereits verschlafen und es ist neuerdings Nacht angebrochen? Er zündete einen Span und hielt die Uhr an das Licht. Eins! Das konnte aber auch Eins nach Mitternacht sein. Zweifelnd hielt er die Uhr an das Ohr, sie war nicht stehen geblieben und tickte fleißig fort. Zugleich fühlte er Hunger und Durst wie noch nie, wenn er in der Frühe das Lager verließ. Will doch sehen, wie weit die Sterne sind! Er öffnete die Thüre, die nach innen aufging, eine Schneemauer starrte ihm entgegen. Ah so, meinte er, das ist was Anderes, und griff zur Schaufel, die er für alle Fälle bereit hielt. Schräg durch den Schnee empor grub er einen Stollen, schlug den Boden und die Wände fest, um vor einem Zusammensturz sicher zu sein; bald hatte er sich an das Licht emporgearbeitet. Das war ein Tag! Der Schnee fiel in so schweren Flocken, daß man kaum zwei Schritte weit sehen konnte.

Klaus blieb einen Augenblick stehen und kehrte kopfschüttelnd um. Den Anbruch des Abends erkannte man bloß daran, daß es noch dunkler wurde, als es schon war. Er machte Licht und las des heiligen Tages wegen in einer vergilbten Postille, die er von Nidinger ausgeborgt. Nach Mitternacht hörte es auf zu schneien, dafür quoll ein dichter Nebel über das

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[0076] Alles dunkel; er legte sich auf das andere Ohr und schnarchte ruhig weiter. Er erwachte wieder; es war Alles dunkel. Will es denn heute gar nicht mehr Tag werden? rief er sich aufrichtend, oder hab' ich den Tag bereits verschlafen und es ist neuerdings Nacht angebrochen? Er zündete einen Span und hielt die Uhr an das Licht. Eins! Das konnte aber auch Eins nach Mitternacht sein. Zweifelnd hielt er die Uhr an das Ohr, sie war nicht stehen geblieben und tickte fleißig fort. Zugleich fühlte er Hunger und Durst wie noch nie, wenn er in der Frühe das Lager verließ. Will doch sehen, wie weit die Sterne sind! Er öffnete die Thüre, die nach innen aufging, eine Schneemauer starrte ihm entgegen. Ah so, meinte er, das ist was Anderes, und griff zur Schaufel, die er für alle Fälle bereit hielt. Schräg durch den Schnee empor grub er einen Stollen, schlug den Boden und die Wände fest, um vor einem Zusammensturz sicher zu sein; bald hatte er sich an das Licht emporgearbeitet. Das war ein Tag! Der Schnee fiel in so schweren Flocken, daß man kaum zwei Schritte weit sehen konnte. Klaus blieb einen Augenblick stehen und kehrte kopfschüttelnd um. Den Anbruch des Abends erkannte man bloß daran, daß es noch dunkler wurde, als es schon war. Er machte Licht und las des heiligen Tages wegen in einer vergilbten Postille, die er von Nidinger ausgeborgt. Nach Mitternacht hörte es auf zu schneien, dafür quoll ein dichter Nebel über das

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-23T13:06:45Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-23T13:06:45Z)

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Zitationshilfe: Pichler, Adolf: Der Flüchtling. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 13. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 233–318. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pichler_fluechtling_1910/76>, abgerufen am 22.11.2024.