Pichler, Adolf: Der Flüchtling. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 13. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 233–318. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.verräth er es noch einmal. Das ist die Anklage, so wahr mir Gott helfe! Zeugen sind wir alle! rief der zweite Bauer. Spricht Niemand für ihn? fragte Anton. Allgemeines Schweigen. Dann werfe ich ihn in den großen Bann! rief Anton und legte den Finger auf den gezogenen Degen. Niemand gewähre ihm Obdach, Niemand atze ihn, Niemand tränke ihn, Niemand rede ihn an, es sei denn der Priester, der ihn zur letzten Beichte mahnt. Spricht Niemand für ihn? Allgemeines Schweigen. Noch einmal wiederholte er die Formel, und der Kreis lös'te sich auf. Nicht wahr, das ist eine sonderbare Scene, fast wie bei der Vehme in einem Ritterbuche? So haben jedoch unsere Alten über Leute gerichtet, welche sie in ihrem Gewissen einer Unthat schuldig hielten, die sonst auf Erden nicht gestraft worden wäre. Das Haberfeldtreiben gehört auch hierher, das ist aber jetzt zu einem Gassenunfug frecher Bursche herabgesunken und war bei uns in Tirol nie recht üblich, wenn es auch, wie Sie vielleicht vernommen, jüngst einem Pfarrer widerfuhr, den man wegen seines Geizes allgemein nicht Seel-, sondern Geldsorger nennt. Ja, so war es; jetzt hat es ein Ende, wenigstens hört man nichts mehr davon. Die Männer redeten nach dem kurzen Processe verräth er es noch einmal. Das ist die Anklage, so wahr mir Gott helfe! Zeugen sind wir alle! rief der zweite Bauer. Spricht Niemand für ihn? fragte Anton. Allgemeines Schweigen. Dann werfe ich ihn in den großen Bann! rief Anton und legte den Finger auf den gezogenen Degen. Niemand gewähre ihm Obdach, Niemand atze ihn, Niemand tränke ihn, Niemand rede ihn an, es sei denn der Priester, der ihn zur letzten Beichte mahnt. Spricht Niemand für ihn? Allgemeines Schweigen. Noch einmal wiederholte er die Formel, und der Kreis lös'te sich auf. Nicht wahr, das ist eine sonderbare Scene, fast wie bei der Vehme in einem Ritterbuche? So haben jedoch unsere Alten über Leute gerichtet, welche sie in ihrem Gewissen einer Unthat schuldig hielten, die sonst auf Erden nicht gestraft worden wäre. Das Haberfeldtreiben gehört auch hierher, das ist aber jetzt zu einem Gassenunfug frecher Bursche herabgesunken und war bei uns in Tirol nie recht üblich, wenn es auch, wie Sie vielleicht vernommen, jüngst einem Pfarrer widerfuhr, den man wegen seines Geizes allgemein nicht Seel-, sondern Geldsorger nennt. Ja, so war es; jetzt hat es ein Ende, wenigstens hört man nichts mehr davon. Die Männer redeten nach dem kurzen Processe <TEI> <text> <body> <div n="6"> <p><pb facs="#f0064"/> verräth er es noch einmal. Das ist die Anklage, so wahr mir Gott helfe!</p><lb/> <p>Zeugen sind wir alle! rief der zweite Bauer.</p><lb/> <p>Spricht Niemand für ihn? fragte Anton.</p><lb/> <p>Allgemeines Schweigen.</p><lb/> <p>Dann werfe ich ihn in den großen Bann! rief Anton und legte den Finger auf den gezogenen Degen. Niemand gewähre ihm Obdach, Niemand atze ihn, Niemand tränke ihn, Niemand rede ihn an, es sei denn der Priester, der ihn zur letzten Beichte mahnt. Spricht Niemand für ihn?</p><lb/> <p>Allgemeines Schweigen.</p><lb/> <p>Noch einmal wiederholte er die Formel, und der Kreis lös'te sich auf.</p><lb/> <p>Nicht wahr, das ist eine sonderbare Scene, fast wie bei der Vehme in einem Ritterbuche? So haben jedoch unsere Alten über Leute gerichtet, welche sie in ihrem Gewissen einer Unthat schuldig hielten, die sonst auf Erden nicht gestraft worden wäre. Das Haberfeldtreiben gehört auch hierher, das ist aber jetzt zu einem Gassenunfug frecher Bursche herabgesunken und war bei uns in Tirol nie recht üblich, wenn es auch, wie Sie vielleicht vernommen, jüngst einem Pfarrer widerfuhr, den man wegen seines Geizes allgemein nicht Seel-, sondern Geldsorger nennt. Ja, so war es; jetzt hat es ein Ende, wenigstens hört man nichts mehr davon.</p><lb/> <p>Die Männer redeten nach dem kurzen Processe<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0064]
verräth er es noch einmal. Das ist die Anklage, so wahr mir Gott helfe!
Zeugen sind wir alle! rief der zweite Bauer.
Spricht Niemand für ihn? fragte Anton.
Allgemeines Schweigen.
Dann werfe ich ihn in den großen Bann! rief Anton und legte den Finger auf den gezogenen Degen. Niemand gewähre ihm Obdach, Niemand atze ihn, Niemand tränke ihn, Niemand rede ihn an, es sei denn der Priester, der ihn zur letzten Beichte mahnt. Spricht Niemand für ihn?
Allgemeines Schweigen.
Noch einmal wiederholte er die Formel, und der Kreis lös'te sich auf.
Nicht wahr, das ist eine sonderbare Scene, fast wie bei der Vehme in einem Ritterbuche? So haben jedoch unsere Alten über Leute gerichtet, welche sie in ihrem Gewissen einer Unthat schuldig hielten, die sonst auf Erden nicht gestraft worden wäre. Das Haberfeldtreiben gehört auch hierher, das ist aber jetzt zu einem Gassenunfug frecher Bursche herabgesunken und war bei uns in Tirol nie recht üblich, wenn es auch, wie Sie vielleicht vernommen, jüngst einem Pfarrer widerfuhr, den man wegen seines Geizes allgemein nicht Seel-, sondern Geldsorger nennt. Ja, so war es; jetzt hat es ein Ende, wenigstens hört man nichts mehr davon.
Die Männer redeten nach dem kurzen Processe
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/pichler_fluechtling_1910 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/pichler_fluechtling_1910/64 |
Zitationshilfe: | Pichler, Adolf: Der Flüchtling. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 13. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 233–318. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pichler_fluechtling_1910/64>, abgerufen am 26.06.2024. |