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Pichler, Adolf: Der Flüchtling. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 13. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 233–318. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Am gefürchteten Tage des Abschieds klangen schon früh die Glocken vom Thurme, der Pfarrer wollte eine feierliche Messe halten, ein Todtenamt, wie Manche Uebles vorausahnend meinten. Die Kirche war gedrängt voll, wie kaum zu Weihnachten oder Ostern, Alle beteten andächtig, die Mütter machten heimliche Gelübde. Wenn das Loos ihren Sohn nicht traf, fiel es auf einen Andern, denn das Regiment forderte unerbittlich seinen Blutzins. Als der letzte Segen ertheilt war, standen vor Riederer's Wirthshaus bereits drei Leiterwagen mit Brettern überquer, welche grobe Kotzen deckten; Bogen aus Fichtengezweig, die sich darüber wölbten, verliehen dem Ganzen einen festlichen Ausdruck. Auf dem ersten saß der Postillon in seiner bunten Tracht und blies lustige Fanfaren über die Scene eines traurigen Abschieds. Dort machte ein Mütterlein dem Sohne, zu dessen Stirn es kaum hinaufreichte, das Zeichen des Kreuzes: seitab knüpfte ein Diendl, das die Scheu vor den Zuschauern überwunden, dem Herzensschatz einen Strauß von Rosmarin auf den Hut; Geschwister reichten sich die Hand; . . . nur Walburg hatte Niemand, dem sie ein freundliches: Behüt' Gott! sagen konnte. Da trat Naz zu ihr: Willst du mir nicht einmal heut' ein Blumensträußchen schenken?

Ich wünsche dir gewiß alles Gute, erwiderte sie, Strauß kriegst du keinen, es geht ein Besserer als du mit dem leeren Hute herum. Nimm mir nichts für

Am gefürchteten Tage des Abschieds klangen schon früh die Glocken vom Thurme, der Pfarrer wollte eine feierliche Messe halten, ein Todtenamt, wie Manche Uebles vorausahnend meinten. Die Kirche war gedrängt voll, wie kaum zu Weihnachten oder Ostern, Alle beteten andächtig, die Mütter machten heimliche Gelübde. Wenn das Loos ihren Sohn nicht traf, fiel es auf einen Andern, denn das Regiment forderte unerbittlich seinen Blutzins. Als der letzte Segen ertheilt war, standen vor Riederer's Wirthshaus bereits drei Leiterwagen mit Brettern überquer, welche grobe Kotzen deckten; Bogen aus Fichtengezweig, die sich darüber wölbten, verliehen dem Ganzen einen festlichen Ausdruck. Auf dem ersten saß der Postillon in seiner bunten Tracht und blies lustige Fanfaren über die Scene eines traurigen Abschieds. Dort machte ein Mütterlein dem Sohne, zu dessen Stirn es kaum hinaufreichte, das Zeichen des Kreuzes: seitab knüpfte ein Diendl, das die Scheu vor den Zuschauern überwunden, dem Herzensschatz einen Strauß von Rosmarin auf den Hut; Geschwister reichten sich die Hand; . . . nur Walburg hatte Niemand, dem sie ein freundliches: Behüt' Gott! sagen konnte. Da trat Naz zu ihr: Willst du mir nicht einmal heut' ein Blumensträußchen schenken?

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-23T13:06:45Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-23T13:06:45Z)

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Zitationshilfe: Pichler, Adolf: Der Flüchtling. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 13. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 233–318. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pichler_fluechtling_1910/30>, abgerufen am 23.04.2024.