Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pichler, Adolf: Der Flüchtling. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 13. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 233–318. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

Für Walburg brachen traurige Tage an. Am nächsten Morgen theilte ihr der Vater mit, was vorgefallen, nicht ohne strenge Vorwürfe, daß sie sich in diesen Handel eingelassen. Sie erwiderte: Alle haben ihn geschätzt und geliebt, und ich sollte ihn nicht gern haben?

Schlag' dir die Sache aus dem Kopf, sprach der Alte unmuthig, da wird nie etwas draus.

Sie schwieg, und damit hatte die Sache vorläufig ein Ende, denn er berührte sie mit keinem Worte, indem er schlau darauf rechnete, gerade dadurch das Vergessen zu erleichtern. Dem war aber nicht so; Walburg war und blieb traurig, Niemand konnte sie bewegen, einen Heimgarten, oder gar den Tanzboden zu besuchen. Wenn mir nur irgend jemand von Klaus Botschaft brächte! dachte sie oft im Stillen. Aber Woche um Woche verrann, ohne daß sie etwas von ihm hörte, kein Mensch redete mehr von ihm, als ob er längst gestorben wäre. Dem Alten entging ihr Zustand nicht, er war überzeugt, daß Vorstellungen und Zureden nichts nützen würden, und beschloß einen andern Weg einzuschlagen. Der Nachbar Angerer hatte einen Buben, den Naz, welcher schon lange Walburg umschlich, aber von ihr auch nicht im Mindesten beachtet wurde. War er Nidinger zwar nicht gerade willkommen, so ließ sich gegen ihn doch auch nicht viel einwenden; er hatte Aussicht, als einziger Sohn einmal das Gütchen seines freilich noch rüstigen Vaters, der

Für Walburg brachen traurige Tage an. Am nächsten Morgen theilte ihr der Vater mit, was vorgefallen, nicht ohne strenge Vorwürfe, daß sie sich in diesen Handel eingelassen. Sie erwiderte: Alle haben ihn geschätzt und geliebt, und ich sollte ihn nicht gern haben?

Schlag' dir die Sache aus dem Kopf, sprach der Alte unmuthig, da wird nie etwas draus.

Sie schwieg, und damit hatte die Sache vorläufig ein Ende, denn er berührte sie mit keinem Worte, indem er schlau darauf rechnete, gerade dadurch das Vergessen zu erleichtern. Dem war aber nicht so; Walburg war und blieb traurig, Niemand konnte sie bewegen, einen Heimgarten, oder gar den Tanzboden zu besuchen. Wenn mir nur irgend jemand von Klaus Botschaft brächte! dachte sie oft im Stillen. Aber Woche um Woche verrann, ohne daß sie etwas von ihm hörte, kein Mensch redete mehr von ihm, als ob er längst gestorben wäre. Dem Alten entging ihr Zustand nicht, er war überzeugt, daß Vorstellungen und Zureden nichts nützen würden, und beschloß einen andern Weg einzuschlagen. Der Nachbar Angerer hatte einen Buben, den Naz, welcher schon lange Walburg umschlich, aber von ihr auch nicht im Mindesten beachtet wurde. War er Nidinger zwar nicht gerade willkommen, so ließ sich gegen ihn doch auch nicht viel einwenden; er hatte Aussicht, als einziger Sohn einmal das Gütchen seines freilich noch rüstigen Vaters, der

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0027"/>
      <div n="2">
        <p>Für Walburg brachen traurige Tage an. Am nächsten Morgen theilte ihr der Vater mit,                was vorgefallen, nicht ohne strenge Vorwürfe, daß sie sich in diesen Handel                eingelassen. Sie erwiderte: Alle haben ihn geschätzt und geliebt, und ich sollte ihn                nicht gern haben?</p><lb/>
        <p>Schlag' dir die Sache aus dem Kopf, sprach der Alte unmuthig, da wird nie etwas                draus.</p><lb/>
        <p>Sie schwieg, und damit hatte die Sache vorläufig ein Ende, denn er berührte sie mit                keinem Worte, indem er schlau darauf rechnete, gerade dadurch das Vergessen zu                erleichtern. Dem war aber nicht so; Walburg war und blieb traurig, Niemand konnte sie                bewegen, einen Heimgarten, oder gar den Tanzboden zu besuchen. Wenn mir nur irgend                jemand von Klaus Botschaft brächte! dachte sie oft im Stillen. Aber Woche um Woche                verrann, ohne daß sie etwas von ihm hörte, kein Mensch redete mehr von ihm, als ob er                längst gestorben wäre. Dem Alten entging ihr Zustand nicht, er war überzeugt, daß                Vorstellungen und Zureden nichts nützen würden, und beschloß einen andern Weg                einzuschlagen. Der Nachbar Angerer hatte einen Buben, den Naz, welcher schon lange                Walburg umschlich, aber von ihr auch nicht im Mindesten beachtet wurde. War er                Nidinger zwar nicht gerade willkommen, so ließ sich gegen ihn doch auch nicht viel                einwenden; er hatte Aussicht, als einziger Sohn einmal das Gütchen seines freilich                noch rüstigen Vaters, der<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0027] Für Walburg brachen traurige Tage an. Am nächsten Morgen theilte ihr der Vater mit, was vorgefallen, nicht ohne strenge Vorwürfe, daß sie sich in diesen Handel eingelassen. Sie erwiderte: Alle haben ihn geschätzt und geliebt, und ich sollte ihn nicht gern haben? Schlag' dir die Sache aus dem Kopf, sprach der Alte unmuthig, da wird nie etwas draus. Sie schwieg, und damit hatte die Sache vorläufig ein Ende, denn er berührte sie mit keinem Worte, indem er schlau darauf rechnete, gerade dadurch das Vergessen zu erleichtern. Dem war aber nicht so; Walburg war und blieb traurig, Niemand konnte sie bewegen, einen Heimgarten, oder gar den Tanzboden zu besuchen. Wenn mir nur irgend jemand von Klaus Botschaft brächte! dachte sie oft im Stillen. Aber Woche um Woche verrann, ohne daß sie etwas von ihm hörte, kein Mensch redete mehr von ihm, als ob er längst gestorben wäre. Dem Alten entging ihr Zustand nicht, er war überzeugt, daß Vorstellungen und Zureden nichts nützen würden, und beschloß einen andern Weg einzuschlagen. Der Nachbar Angerer hatte einen Buben, den Naz, welcher schon lange Walburg umschlich, aber von ihr auch nicht im Mindesten beachtet wurde. War er Nidinger zwar nicht gerade willkommen, so ließ sich gegen ihn doch auch nicht viel einwenden; er hatte Aussicht, als einziger Sohn einmal das Gütchen seines freilich noch rüstigen Vaters, der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-23T13:06:45Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-23T13:06:45Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pichler_fluechtling_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pichler_fluechtling_1910/27
Zitationshilfe: Pichler, Adolf: Der Flüchtling. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 13. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 233–318. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pichler_fluechtling_1910/27>, abgerufen am 26.04.2024.