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Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743.

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mit der kriechenden Poesie.
genes, gewandtes, beissendes Thierlein. Die
Geschwindigkeit seiner Füßlein schützet es vor
manchem Angriff, obwol die weise Natur ihm
zwey Haupt-Feinde gesetzet, den Menschen und
die Katze. Die Katze spielt eine Weile mit der
Maus, als einem gegen sie ohnmächtigen Fein-
de, schlenkert solche in die Höhe, tappet mit der
Pfote säuberlich nach ihr, um sie zur Flucht zu
reizen. Wenn das Mäusgen aber Reißaus
nehmen will, giebt ihr die Katze einen Trebs,
und wenn sie des Spielens überdrüßig, zieht sie
ihr die Haut über die Ohren, und verschluckt
sie vom Haupte bis auf den Fuß, ausgenommen
das Schwänzgen, welches sie selten mitfrißt.
Die Menschen stellen allerhand Fallen, die Maus
durch den Speck anzulocken, und das einfältige
Thierlein, das sich keines Betruges versiehet,
sondern seiner Nahrung bey Nachts-Zeit begie-
rig nachgehet, wird in der Falle lebendig oder
todt gefangen, auch wol noch dazu eines mar-
ternden Todes, durch Ersäufen, Spiessen, Ver-
brennen, von Ergrimmten beleget!

§ 5. Die kriechende Poesie hat gewißlich
mit der Schlange, dem Frosch und der Maus
eine große Aehnlichkeit. Die Schlange wird
für ein heimtückisches, giftiges und den Men-
schen feindseliges Thier gehalten. Sie stehet
bey den Gottesgelehrten in üblem Ruf, und heis-
set die verfluchte Schlange, die unsere erste all-
gemeine Mutter verführet habe. Derjenige, so
der Größte unter denen heisset, die von Wei-

bern

mit der kriechenden Poeſie.
genes, gewandtes, beiſſendes Thierlein. Die
Geſchwindigkeit ſeiner Fuͤßlein ſchuͤtzet es vor
manchem Angriff, obwol die weiſe Natur ihm
zwey Haupt-Feinde geſetzet, den Menſchen und
die Katze. Die Katze ſpielt eine Weile mit der
Maus, als einem gegen ſie ohnmaͤchtigen Fein-
de, ſchlenkert ſolche in die Hoͤhe, tappet mit der
Pfote ſaͤuberlich nach ihr, um ſie zur Flucht zu
reizen. Wenn das Maͤusgen aber Reißaus
nehmen will, giebt ihr die Katze einen Trebs,
und wenn ſie des Spielens uͤberdruͤßig, zieht ſie
ihr die Haut uͤber die Ohren, und verſchluckt
ſie vom Haupte bis auf den Fuß, ausgenommen
das Schwaͤnzgen, welches ſie ſelten mitfrißt.
Die Menſchen ſtellen allerhand Fallen, die Maus
durch den Speck anzulocken, und das einfaͤltige
Thierlein, das ſich keines Betruges verſiehet,
ſondern ſeiner Nahrung bey Nachts-Zeit begie-
rig nachgehet, wird in der Falle lebendig oder
todt gefangen, auch wol noch dazu eines mar-
ternden Todes, durch Erſaͤufen, Spieſſen, Ver-
brennen, von Ergrimmten beleget!

§ 5. Die kriechende Poeſie hat gewißlich
mit der Schlange, dem Froſch und der Maus
eine große Aehnlichkeit. Die Schlange wird
fuͤr ein heimtuͤckiſches, giftiges und den Men-
ſchen feindſeliges Thier gehalten. Sie ſtehet
bey den Gottesgelehrten in uͤblem Ruf, und heiſ-
ſet die verfluchte Schlange, die unſere erſte all-
gemeine Mutter verfuͤhret habe. Derjenige, ſo
der Groͤßte unter denen heiſſet, die von Wei-

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[43/0051] mit der kriechenden Poeſie. genes, gewandtes, beiſſendes Thierlein. Die Geſchwindigkeit ſeiner Fuͤßlein ſchuͤtzet es vor manchem Angriff, obwol die weiſe Natur ihm zwey Haupt-Feinde geſetzet, den Menſchen und die Katze. Die Katze ſpielt eine Weile mit der Maus, als einem gegen ſie ohnmaͤchtigen Fein- de, ſchlenkert ſolche in die Hoͤhe, tappet mit der Pfote ſaͤuberlich nach ihr, um ſie zur Flucht zu reizen. Wenn das Maͤusgen aber Reißaus nehmen will, giebt ihr die Katze einen Trebs, und wenn ſie des Spielens uͤberdruͤßig, zieht ſie ihr die Haut uͤber die Ohren, und verſchluckt ſie vom Haupte bis auf den Fuß, ausgenommen das Schwaͤnzgen, welches ſie ſelten mitfrißt. Die Menſchen ſtellen allerhand Fallen, die Maus durch den Speck anzulocken, und das einfaͤltige Thierlein, das ſich keines Betruges verſiehet, ſondern ſeiner Nahrung bey Nachts-Zeit begie- rig nachgehet, wird in der Falle lebendig oder todt gefangen, auch wol noch dazu eines mar- ternden Todes, durch Erſaͤufen, Spieſſen, Ver- brennen, von Ergrimmten beleget! § 5. Die kriechende Poeſie hat gewißlich mit der Schlange, dem Froſch und der Maus eine große Aehnlichkeit. Die Schlange wird fuͤr ein heimtuͤckiſches, giftiges und den Men- ſchen feindſeliges Thier gehalten. Sie ſtehet bey den Gottesgelehrten in uͤblem Ruf, und heiſ- ſet die verfluchte Schlange, die unſere erſte all- gemeine Mutter verfuͤhret habe. Derjenige, ſo der Groͤßte unter denen heiſſet, die von Wei- bern

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Zitationshilfe: Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/philippi_reimschmiedekunst_1743/51>, abgerufen am 27.04.2024.