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Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743.

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in dem Tempel des guten Geschmacks.
Sinn gekommen. Und gesetzt, daß er ihm
den Einfall vom Geschmacks-Tempel zu dan-
ken hätte: So hätte Opitz eben so seltsam
vorgeleyert, als der neumodische Poete ihm
nachleyert. Denn ich bleibe dabey, ein Tem-
pel
schickt sich gar nicht zu dem Begriff von
gutem Geschmacke. Er hätte eher sagen mö-
gen: Gasthaus des guten Geschmacks, oder
des Apollo Garküche, darinn der gute Ge-
schmack gelernet
wird; aber einen Tempel in
der Absicht zu bauen, um den guten Geschmack
darinn zu äussern, ist noch keinem einzigen
Baumeister,
weder von der alten corinthi-
schen, dorischen, jonischen und thessalischen
Baukunst, noch neuen Tempelbauer, er baue
nun mosaisch, oder grotesco, oder italienisch,
oder holländisch, oder deutsch, bis Dato ein-
gekommen. Trolle dich also, du neumodi-
scher Baumeister,
mit deinen Bau-Rissen zu
denen Spittel-Weibern von achtzig Jahren,
die nicht mehr schmecken können, was gut
oder schlimm sey.
9. Dis ist ein Ort, wovon jedermann re-
det, und darum sich die Reisenden nicht sehr
bekümmern.
Solch unschmackhaft Zeug soll
Opitz
im Traune dem Verfasser vorgesagt
haben. Es ist aber a) ein Widerspruch in
diesen Worten. Denn wenn jedermann
vom Geschmacks-Tempel redet: So ist es
falsch, daß sich die Reisenden sehr wenig dar-
um bekümmern. b) Jst unverständlich, daß
die
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in dem Tempel des guten Geſchmacks.
Sinn gekommen. Und geſetzt, daß er ihm
den Einfall vom Geſchmacks-Tempel zu dan-
ken haͤtte: So haͤtte Opitz eben ſo ſeltſam
vorgeleyert, als der neumodiſche Poete ihm
nachleyert. Denn ich bleibe dabey, ein Tem-
pel
ſchickt ſich gar nicht zu dem Begriff von
gutem Geſchmacke. Er haͤtte eher ſagen moͤ-
gen: Gaſthaus des guten Geſchmacks, oder
des Apollo Garkuͤche, darinn der gute Ge-
ſchmack gelernet
wird; aber einen Tempel in
der Abſicht zu bauen, um den guten Geſchmack
darinn zu aͤuſſern, iſt noch keinem einzigen
Baumeiſter,
weder von der alten corinthi-
ſchen, doriſchen, joniſchen und theſſaliſchen
Baukunſt, noch neuen Tempelbauer, er baue
nun moſaiſch, oder grotesco, oder italieniſch,
oder hollaͤndiſch, oder deutſch, bis Dato ein-
gekommen. Trolle dich alſo, du neumodi-
ſcher Baumeiſter,
mit deinen Bau-Riſſen zu
denen Spittel-Weibern von achtzig Jahren,
die nicht mehr ſchmecken koͤnnen, was gut
oder ſchlimm ſey.
9. Dis iſt ein Ort, wovon jedermann re-
det, und darum ſich die Reiſenden nicht ſehr
bekuͤmmern.
Solch unſchmackhaft Zeug ſoll
Opitz
im Traune dem Verfaſſer vorgeſagt
haben. Es iſt aber a) ein Widerſpruch in
dieſen Worten. Denn wenn jedermann
vom Geſchmacks-Tempel redet: So iſt es
falſch, daß ſich die Reiſenden ſehr wenig dar-
um bekuͤmmern. b) Jſt unverſtaͤndlich, daß
die
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[281/0289] in dem Tempel des guten Geſchmacks. Sinn gekommen. Und geſetzt, daß er ihm den Einfall vom Geſchmacks-Tempel zu dan- ken haͤtte: So haͤtte Opitz eben ſo ſeltſam vorgeleyert, als der neumodiſche Poete ihm nachleyert. Denn ich bleibe dabey, ein Tem- pel ſchickt ſich gar nicht zu dem Begriff von gutem Geſchmacke. Er haͤtte eher ſagen moͤ- gen: Gaſthaus des guten Geſchmacks, oder des Apollo Garkuͤche, darinn der gute Ge- ſchmack gelernet wird; aber einen Tempel in der Abſicht zu bauen, um den guten Geſchmack darinn zu aͤuſſern, iſt noch keinem einzigen Baumeiſter, weder von der alten corinthi- ſchen, doriſchen, joniſchen und theſſaliſchen Baukunſt, noch neuen Tempelbauer, er baue nun moſaiſch, oder grotesco, oder italieniſch, oder hollaͤndiſch, oder deutſch, bis Dato ein- gekommen. Trolle dich alſo, du neumodi- ſcher Baumeiſter, mit deinen Bau-Riſſen zu denen Spittel-Weibern von achtzig Jahren, die nicht mehr ſchmecken koͤnnen, was gut oder ſchlimm ſey. 9. Dis iſt ein Ort, wovon jedermann re- det, und darum ſich die Reiſenden nicht ſehr bekuͤmmern. Solch unſchmackhaft Zeug ſoll Opitz im Traune dem Verfaſſer vorgeſagt haben. Es iſt aber a) ein Widerſpruch in dieſen Worten. Denn wenn jedermann vom Geſchmacks-Tempel redet: So iſt es falſch, daß ſich die Reiſenden ſehr wenig dar- um bekuͤmmern. b) Jſt unverſtaͤndlich, daß die S 5

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Zitationshilfe: Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743, S. 281. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/philippi_reimschmiedekunst_1743/289>, abgerufen am 08.05.2024.