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Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743.

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Zwey hundert Maximen
gegen kann eine gehäßige Critic in reizender
Schreib-Art abgefasset seyn, daß, wenn man
nicht wohl Acht auf sich hat, einer dadurch wie
angestecket wird, auch wol einen Unschuldigen
anzufeinden.
CXXVII. Es giebt Schriften, die die Reli-
gion durch eine solche Tour angreifen, die, in
ihr selbst betrachtet, admirable und unverbes-
serlich
ist, obgleich die Absicht des Schriftstel-
lers hämisch und ruchlos gewesen. Da hat
man sich also vorzusehen, daß man sieh nicht
durch den einnehmenden Geschmack der schönen
Schreib-Art verleiten lasse, die wahre Religion
selbst für verdächtig oder niederträchtig zu halten.
Man bedaure also den Mißbrauch schöner Ge-
danken, und lobe die angebrachte sinnreiche Art
zu denken.
CXXVIII. Gleichwie eine Schönheit da-
durch aufhöret, eine wahre Schöne zu seyn,
wenn sie sich gleich von vielen debouchiren liesse:
Also können gottlose und lasterhafte Gedanken
doch in einer schönen Schreib-Art eingekleidet
seyn; da man also die genothzüchtigte Wahr-
heit
beklagen, das Sinnreiche aber in dem Aus-
drucke
solcher Gedanken dennoch loben muß.
Doch ist es besser, ein einfältiger weiser Mann,
als ein scharfsinniger Thor, zu seyn. Unge-
übten aber werden dadurch Fallstricke geleget,
sich durch die einnehmende Schreib-Art zu La-
stern verleiten zu lassen. Denn die Lüsternheit
des, zu Ausschweifungen ohnedem geneigten,
Herzens
Zwey hundert Maximen
gegen kann eine gehaͤßige Critic in reizender
Schreib-Art abgefaſſet ſeyn, daß, wenn man
nicht wohl Acht auf ſich hat, einer dadurch wie
angeſtecket wird, auch wol einen Unſchuldigen
anzufeinden.
CXXVII. Es giebt Schriften, die die Reli-
gion durch eine ſolche Tour angreifen, die, in
ihr ſelbſt betrachtet, admirable und unverbeſ-
ſerlich
iſt, obgleich die Abſicht des Schriftſtel-
lers haͤmiſch und ruchlos geweſen. Da hat
man ſich alſo vorzuſehen, daß man ſieh nicht
durch den einnehmenden Geſchmack der ſchoͤnen
Schreib-Art verleiten laſſe, die wahre Religion
ſelbſt fuͤr verdaͤchtig oder niedertraͤchtig zu halten.
Man bedaure alſo den Mißbrauch ſchoͤner Ge-
danken, und lobe die angebrachte ſinnreiche Art
zu denken.
CXXVIII. Gleichwie eine Schoͤnheit da-
durch aufhoͤret, eine wahre Schoͤne zu ſeyn,
wenn ſie ſich gleich von vielen debouchiren lieſſe:
Alſo koͤnnen gottloſe und laſterhafte Gedanken
doch in einer ſchoͤnen Schreib-Art eingekleidet
ſeyn; da man alſo die genothzuͤchtigte Wahr-
heit
beklagen, das Sinnreiche aber in dem Aus-
drucke
ſolcher Gedanken dennoch loben muß.
Doch iſt es beſſer, ein einfaͤltiger weiſer Mann,
als ein ſcharfſinniger Thor, zu ſeyn. Unge-
uͤbten aber werden dadurch Fallſtricke geleget,
ſich durch die einnehmende Schreib-Art zu La-
ſtern verleiten zu laſſen. Denn die Luͤſternheit
des, zu Ausſchweifungen ohnedem geneigten,
Herzens
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[218/0226] Zwey hundert Maximen gegen kann eine gehaͤßige Critic in reizender Schreib-Art abgefaſſet ſeyn, daß, wenn man nicht wohl Acht auf ſich hat, einer dadurch wie angeſtecket wird, auch wol einen Unſchuldigen anzufeinden. CXXVII. Es giebt Schriften, die die Reli- gion durch eine ſolche Tour angreifen, die, in ihr ſelbſt betrachtet, admirable und unverbeſ- ſerlich iſt, obgleich die Abſicht des Schriftſtel- lers haͤmiſch und ruchlos geweſen. Da hat man ſich alſo vorzuſehen, daß man ſieh nicht durch den einnehmenden Geſchmack der ſchoͤnen Schreib-Art verleiten laſſe, die wahre Religion ſelbſt fuͤr verdaͤchtig oder niedertraͤchtig zu halten. Man bedaure alſo den Mißbrauch ſchoͤner Ge- danken, und lobe die angebrachte ſinnreiche Art zu denken. CXXVIII. Gleichwie eine Schoͤnheit da- durch aufhoͤret, eine wahre Schoͤne zu ſeyn, wenn ſie ſich gleich von vielen debouchiren lieſſe: Alſo koͤnnen gottloſe und laſterhafte Gedanken doch in einer ſchoͤnen Schreib-Art eingekleidet ſeyn; da man alſo die genothzuͤchtigte Wahr- heit beklagen, das Sinnreiche aber in dem Aus- drucke ſolcher Gedanken dennoch loben muß. Doch iſt es beſſer, ein einfaͤltiger weiſer Mann, als ein ſcharfſinniger Thor, zu ſeyn. Unge- uͤbten aber werden dadurch Fallſtricke geleget, ſich durch die einnehmende Schreib-Art zu La- ſtern verleiten zu laſſen. Denn die Luͤſternheit des, zu Ausſchweifungen ohnedem geneigten, Herzens

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Zitationshilfe: Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/philippi_reimschmiedekunst_1743/226>, abgerufen am 27.04.2024.