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Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743.

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vom gesunden Witze, etc.
nur muß man solche als eigene Gedanken vor-
tragen, und nicht sprechen: Jener malte das
und das,
und setzte die oder die Ueberschrift dar-
über. Denn solches ist dem gusto unsers itzi-
gen
seculi entgegen. Man schmelze vielmehr
das Sinnbild und die Ueberschrift in einen ein-
zigen an einander hängenden Gedanken. Z. E.
ein richtiger Verstand gleichet einer accura-
ten Minuten-Uhr, vermittelst der man alle
falsche Pulse anderer Uhren beurtheilen, und
allenthalben das rechte Gleichgewichte beob-
achten kann.
Dieses wird ohnstreitig besser
klingen, als wenn mans so ausdrückte: Jener
malte eine Uhr,
und setzte darüber: Jn der
Anzeige richtig, im Gewichte gleichhaltend.
LXX. Alles, was in der Aussprache hart
klinget,
die Ohren verletzet, sehr undeutlich ist,
oder allzuviel vorgekauet wird, daß dem Leser
nichts übrig bleibet, selber dabey zu denken, ist
dem guten Geschmacke entgegen.
LXXI. Doch muß man einen Unterschied un-
ter den Personen und Sachen machen. Schwe-
re tiefsinnige Sachen erfordern oft, daß, da-
mit sie begriffen werden mögen, durch mehrma-
lige Umschreibung
erst verständlich gemachet
werden. Hat man mehr einfältige, als wiz-
zige,
vor sich: So weichet es vom guten Ge-
schmacke nicht ab, einerley mehrmals zu wieder-
holen, damit man ihrem schwachen Gedächt-
nisse
nachhelfe; dagegen einem witzigen Kopfe
einen Ekel verursachen würde, wenn ihm das,
was
vom geſunden Witze, ꝛc.
nur muß man ſolche als eigene Gedanken vor-
tragen, und nicht ſprechen: Jener malte das
und das,
und ſetzte die oder die Ueberſchrift dar-
uͤber. Denn ſolches iſt dem guſto unſers itzi-
gen
ſeculi entgegen. Man ſchmelze vielmehr
das Sinnbild und die Ueberſchrift in einen ein-
zigen an einander haͤngenden Gedanken. Z. E.
ein richtiger Verſtand gleichet einer accura-
ten Minuten-Uhr, vermittelſt der man alle
falſche Pulſe anderer Uhren beurtheilen, und
allenthalben das rechte Gleichgewichte beob-
achten kann.
Dieſes wird ohnſtreitig beſſer
klingen, als wenn mans ſo ausdruͤckte: Jener
malte eine Uhr,
und ſetzte daruͤber: Jn der
Anzeige richtig, im Gewichte gleichhaltend.
LXX. Alles, was in der Ausſprache hart
klinget,
die Ohren verletzet, ſehr undeutlich iſt,
oder allzuviel vorgekauet wird, daß dem Leſer
nichts uͤbrig bleibet, ſelber dabey zu denken, iſt
dem guten Geſchmacke entgegen.
LXXI. Doch muß man einen Unterſchied un-
ter den Perſonen und Sachen machen. Schwe-
re tiefſinnige Sachen erfordern oft, daß, da-
mit ſie begriffen werden moͤgen, durch mehrma-
lige Umſchreibung
erſt verſtaͤndlich gemachet
werden. Hat man mehr einfaͤltige, als wiz-
zige,
vor ſich: So weichet es vom guten Ge-
ſchmacke nicht ab, einerley mehrmals zu wieder-
holen, damit man ihrem ſchwachen Gedaͤcht-
niſſe
nachhelfe; dagegen einem witzigen Kopfe
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[203/0211] vom geſunden Witze, ꝛc. nur muß man ſolche als eigene Gedanken vor- tragen, und nicht ſprechen: Jener malte das und das, und ſetzte die oder die Ueberſchrift dar- uͤber. Denn ſolches iſt dem guſto unſers itzi- gen ſeculi entgegen. Man ſchmelze vielmehr das Sinnbild und die Ueberſchrift in einen ein- zigen an einander haͤngenden Gedanken. Z. E. ein richtiger Verſtand gleichet einer accura- ten Minuten-Uhr, vermittelſt der man alle falſche Pulſe anderer Uhren beurtheilen, und allenthalben das rechte Gleichgewichte beob- achten kann. Dieſes wird ohnſtreitig beſſer klingen, als wenn mans ſo ausdruͤckte: Jener malte eine Uhr, und ſetzte daruͤber: Jn der Anzeige richtig, im Gewichte gleichhaltend. LXX. Alles, was in der Ausſprache hart klinget, die Ohren verletzet, ſehr undeutlich iſt, oder allzuviel vorgekauet wird, daß dem Leſer nichts uͤbrig bleibet, ſelber dabey zu denken, iſt dem guten Geſchmacke entgegen. LXXI. Doch muß man einen Unterſchied un- ter den Perſonen und Sachen machen. Schwe- re tiefſinnige Sachen erfordern oft, daß, da- mit ſie begriffen werden moͤgen, durch mehrma- lige Umſchreibung erſt verſtaͤndlich gemachet werden. Hat man mehr einfaͤltige, als wiz- zige, vor ſich: So weichet es vom guten Ge- ſchmacke nicht ab, einerley mehrmals zu wieder- holen, damit man ihrem ſchwachen Gedaͤcht- niſſe nachhelfe; dagegen einem witzigen Kopfe einen Ekel verurſachen wuͤrde, wenn ihm das, was

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Zitationshilfe: Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/philippi_reimschmiedekunst_1743/211>, abgerufen am 27.04.2024.