Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743.

Bild:
<< vorherige Seite
vom gesunden Witze, etc.
verräth seinen lächerlichen Galimathias-Ge-
schmack.
LX. Jn Lobes-Erhebungen an einen Großen,
oder Patron, dessen Fehler oder gar Laster zu
loben, verräth einen sehr niederträchtigen Ge-
schmack.
LXI. Ein anmuthiger Vortrag ist der, wo
das Tiefsinnige mit dem Lebhaften, das Ernst-
hafte mit dem Scherzhaften, das Ausschweifen-
de mit dem Kurzgefaßten, in einer guten Pro-
portion abwechselt; folglich ist es dem guten
Geschmacke
am nächsten.
LXII. Die Neugierde ist den Menschen an-
geboren. Je mehr solche gestärket wird, oder
einer an ihm selbst wahrnimmt, daß er einen
Zuwachs auserlesener Gedanken bekomme,
und merklich profitire, oder in der Erkenntniß
zunehme; je mehr wird es nach dem allgemei-
nen
gusto seyn.
LXIII. Daher sind lebhafte Geschicht-Bü-
cher, künstlich ausgesonnene Romanen, wun-
derbare Abentheuer, scharfgewürzte Wochen-
Schriften nach dem Geschmacke der meisten Ge-
lehrten und Liebhaber der Wissenschaften.
LXIV. Man hat sich aber dabey inacht zu
nehmen, daß sich nicht die Neugierde in einen
sträflichen Vorwitz verwandle. Also, wer gern
großer Herren und Minister Handlungen durch-
ziehet, und darüber critisiret, der kann wol nach
dem Geschmacke der Vorwitzigen geschrieben
haben; aber sich selbst durch seinen unzeitigen
Kützel
N 5
vom geſunden Witze, ꝛc.
verraͤth ſeinen laͤcherlichen Galimathias-Ge-
ſchmack.
LX. Jn Lobes-Erhebungen an einen Großen,
oder Patron, deſſen Fehler oder gar Laſter zu
loben, verraͤth einen ſehr niedertraͤchtigen Ge-
ſchmack.
LXI. Ein anmuthiger Vortrag iſt der, wo
das Tiefſinnige mit dem Lebhaften, das Ernſt-
hafte mit dem Scherzhaften, das Ausſchweifen-
de mit dem Kurzgefaßten, in einer guten Pro-
portion abwechſelt; folglich iſt es dem guten
Geſchmacke
am naͤchſten.
LXII. Die Neugierde iſt den Menſchen an-
geboren. Je mehr ſolche geſtaͤrket wird, oder
einer an ihm ſelbſt wahrnimmt, daß er einen
Zuwachs auserleſener Gedanken bekomme,
und merklich profitire, oder in der Erkenntniß
zunehme; je mehr wird es nach dem allgemei-
nen
guſto ſeyn.
LXIII. Daher ſind lebhafte Geſchicht-Buͤ-
cher, kuͤnſtlich ausgeſonnene Romanen, wun-
derbare Abentheuer, ſcharfgewuͤrzte Wochen-
Schriften nach dem Geſchmacke der meiſten Ge-
lehrten und Liebhaber der Wiſſenſchaften.
LXIV. Man hat ſich aber dabey inacht zu
nehmen, daß ſich nicht die Neugierde in einen
ſtraͤflichen Vorwitz verwandle. Alſo, wer gern
großer Herren und Miniſter Handlungen durch-
ziehet, und daruͤber critiſiret, der kann wol nach
dem Geſchmacke der Vorwitzigen geſchrieben
haben; aber ſich ſelbſt durch ſeinen unzeitigen
Kuͤtzel
N 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <list>
              <item><pb facs="#f0209" n="201"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">vom ge&#x017F;unden Witze, &#xA75B;c.</hi></fw><lb/>
verra&#x0364;th &#x017F;einen <hi rendition="#fr">la&#x0364;cherlichen Galimathias-Ge-<lb/>
&#x017F;chmack.</hi></item><lb/>
              <item><hi rendition="#aq">LX.</hi> Jn Lobes-Erhebungen an einen Großen,<lb/>
oder Patron, de&#x017F;&#x017F;en <hi rendition="#fr">Fehler</hi> oder gar <hi rendition="#fr">La&#x017F;ter</hi> zu<lb/>
loben, verra&#x0364;th einen &#x017F;ehr <hi rendition="#fr">niedertra&#x0364;chtigen Ge-<lb/>
&#x017F;chmack.</hi></item><lb/>
              <item><hi rendition="#aq">LXI.</hi> Ein <hi rendition="#fr">anmuthiger Vortrag</hi> i&#x017F;t der, wo<lb/>
das Tief&#x017F;innige mit dem Lebhaften, das Ern&#x017F;t-<lb/>
hafte mit dem Scherzhaften, das Aus&#x017F;chweifen-<lb/>
de mit dem Kurzgefaßten, in einer guten Pro-<lb/>
portion abwech&#x017F;elt; folglich i&#x017F;t es dem <hi rendition="#fr">guten<lb/>
Ge&#x017F;chmacke</hi> am na&#x0364;ch&#x017F;ten.</item><lb/>
              <item><hi rendition="#aq">LXII.</hi> Die <hi rendition="#fr">Neugierde</hi> i&#x017F;t den Men&#x017F;chen an-<lb/>
geboren. Je mehr &#x017F;olche ge&#x017F;ta&#x0364;rket wird, oder<lb/>
einer an ihm &#x017F;elb&#x017F;t wahrnimmt, daß er einen<lb/><hi rendition="#fr">Zuwachs auserle&#x017F;ener Gedanken</hi> bekomme,<lb/>
und merklich profitire, oder in der Erkenntniß<lb/>
zunehme; je mehr wird es nach dem <hi rendition="#fr">allgemei-<lb/>
nen</hi> <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">gu&#x017F;to</hi></hi> &#x017F;eyn.</item><lb/>
              <item><hi rendition="#aq">LXIII.</hi> Daher &#x017F;ind lebhafte Ge&#x017F;chicht-Bu&#x0364;-<lb/>
cher, ku&#x0364;n&#x017F;tlich ausge&#x017F;onnene Romanen, wun-<lb/>
derbare Abentheuer, &#x017F;charfgewu&#x0364;rzte Wochen-<lb/>
Schriften nach dem <hi rendition="#fr">Ge&#x017F;chmacke</hi> der mei&#x017F;ten Ge-<lb/>
lehrten und Liebhaber der Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften.</item><lb/>
              <item><hi rendition="#aq">LXIV.</hi> Man hat &#x017F;ich aber dabey inacht zu<lb/>
nehmen, daß &#x017F;ich nicht die <hi rendition="#fr">Neugierde</hi> in einen<lb/>
&#x017F;tra&#x0364;flichen <hi rendition="#fr">Vorwitz</hi> verwandle. Al&#x017F;o, wer gern<lb/>
großer Herren und Mini&#x017F;ter Handlungen durch-<lb/>
ziehet, und daru&#x0364;ber criti&#x017F;iret, der kann wol nach<lb/>
dem <hi rendition="#fr">Ge&#x017F;chmacke</hi> der Vorwitzigen ge&#x017F;chrieben<lb/>
haben; aber &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t durch &#x017F;einen unzeitigen<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">N 5</fw><fw place="bottom" type="catch">Ku&#x0364;tzel</fw><lb/></item>
            </list>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[201/0209] vom geſunden Witze, ꝛc. verraͤth ſeinen laͤcherlichen Galimathias-Ge- ſchmack. LX. Jn Lobes-Erhebungen an einen Großen, oder Patron, deſſen Fehler oder gar Laſter zu loben, verraͤth einen ſehr niedertraͤchtigen Ge- ſchmack. LXI. Ein anmuthiger Vortrag iſt der, wo das Tiefſinnige mit dem Lebhaften, das Ernſt- hafte mit dem Scherzhaften, das Ausſchweifen- de mit dem Kurzgefaßten, in einer guten Pro- portion abwechſelt; folglich iſt es dem guten Geſchmacke am naͤchſten. LXII. Die Neugierde iſt den Menſchen an- geboren. Je mehr ſolche geſtaͤrket wird, oder einer an ihm ſelbſt wahrnimmt, daß er einen Zuwachs auserleſener Gedanken bekomme, und merklich profitire, oder in der Erkenntniß zunehme; je mehr wird es nach dem allgemei- nen guſto ſeyn. LXIII. Daher ſind lebhafte Geſchicht-Buͤ- cher, kuͤnſtlich ausgeſonnene Romanen, wun- derbare Abentheuer, ſcharfgewuͤrzte Wochen- Schriften nach dem Geſchmacke der meiſten Ge- lehrten und Liebhaber der Wiſſenſchaften. LXIV. Man hat ſich aber dabey inacht zu nehmen, daß ſich nicht die Neugierde in einen ſtraͤflichen Vorwitz verwandle. Alſo, wer gern großer Herren und Miniſter Handlungen durch- ziehet, und daruͤber critiſiret, der kann wol nach dem Geſchmacke der Vorwitzigen geſchrieben haben; aber ſich ſelbſt durch ſeinen unzeitigen Kuͤtzel N 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/philippi_reimschmiedekunst_1743
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/philippi_reimschmiedekunst_1743/209
Zitationshilfe: Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743, S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/philippi_reimschmiedekunst_1743/209>, abgerufen am 22.11.2024.