Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743.Vorzug der kriechenden Poesie Gedichten zu machen pflegen. Jch glaube, ichwürde sehr unnatürlich handeln, wenn ich ei- nen kriechenden Poeten beschreiben, und nicht selber par compagnie mitkriechen, oder ihm nachkriechen wollte; so wie ich oben, da ich die schlammigten Poeten beschrieben, selbst in ihre Pfützen habe treten, und es nicht achten müs- sen, von dem aufsprützenden Unflathe mit be- sprützet zu werden. (S. viertes Probestück, 23, 25 und 26 Frage.) § 22. Die kriechenden Poeten haben auch auf
Vorzug der kriechenden Poeſie Gedichten zu machen pflegen. Jch glaube, ichwuͤrde ſehr unnatuͤrlich handeln, wenn ich ei- nen kriechenden Poeten beſchreiben, und nicht ſelber par compagnie mitkriechen, oder ihm nachkriechen wollte; ſo wie ich oben, da ich die ſchlammigten Poeten beſchrieben, ſelbſt in ihre Pfuͤtzen habe treten, und es nicht achten muͤſ- ſen, von dem aufſpruͤtzenden Unflathe mit be- ſpruͤtzet zu werden. (S. viertes Probeſtuͤck, 23, 25 und 26 Frage.) § 22. Die kriechenden Poeten haben auch auf
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Vorzug der kriechenden Poeſie
Gedichten zu machen pflegen. Jch glaube, ich
wuͤrde ſehr unnatuͤrlich handeln, wenn ich ei-
nen kriechenden Poeten beſchreiben, und nicht
ſelber par compagnie mitkriechen, oder ihm
nachkriechen wollte; ſo wie ich oben, da ich die
ſchlammigten Poeten beſchrieben, ſelbſt in ihre
Pfuͤtzen habe treten, und es nicht achten muͤſ-
ſen, von dem aufſpruͤtzenden Unflathe mit be-
ſpruͤtzet zu werden. (S. viertes Probeſtuͤck,
23, 25 und 26 Frage.)
§ 22. Die kriechenden Poeten haben auch
ein Großes vor den erhabenen voraus, daß ſie
ruͤckwaͤrts und vorwaͤrts kriechen duͤrfen, wie
die Krebſe; bald traben, bald galoppiren, wie
die Pferde; bald Luft-Spruͤnge, bald ſeitwaͤrts
einen Satz thun, wie die kollernde Schimmel.
Dagegen ſoll, nach der erhabenen Poeten Re-
gel, der Dichter allezeit in gradem Gleiſe blei-
ben; nicht eher ſeinen poetiſchen Gaul anſpor-
nen, als wenn er allzuſchlaͤfrig trabet; nicht ei-
nem Reuter gleichen, der uͤber die Graben ſetzet,
oder mit einem Sprunge vom Felſen ins Thal
ſtuͤrzet. Er ſolle vielmehr ſtuffenweiſe auf- und
niederſteigen, damit eine Gleichheit in ſeinem
Gedichte ſey, und man nicht denke: Jtzt habe
der Poete geraſet; nun ſey er ſchlaftrunken
worden; itzt habe er eine Bouteille Wein beym
Verſemachen geſoffen, bald darauf den Durſt
mit duͤnnem Biere geloͤſchet; itzt ſey er im Thal
Joſaphat geweſen; bald habe ihn der Teufel,
oder ſonſt ein poetiſcher Geiſt, durch die Luft
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Zitationshilfe: | Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743, S. 150. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/philippi_reimschmiedekunst_1743/158>, abgerufen am 17.02.2025. |