Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743.

Bild:
<< vorherige Seite

vor der erhabenen Dichterey.
umgehen können, ob sie gleich beyderseits ganz
contraire Meynungen haben, ist dieser: Es
nimmt der erhabene Poete den kriechenden auf
seinen Rücken, sackt ihn da auf, und fähret
mit ihm in die Höhe,
nachher bringt er ihn
durch einen geschwinden Flug wieder in die Tie-
fe, und setzet ihn sanft auf die Erde. Wollte
der erhabene Poete gern wissen, wie es im Ab-
grunde
aussehe: So klettert der kriechende Poe-
te so weit bergan, als er Luft holen kann; als-
dann leihet er dem erhabenen Poeten seinen Rük-
ken zum Sattel, läßt ihn auf solchen vest an-
schnüren, daß er nicht von der Luft, wegen sei-
ner Leichte, herausgehoben werde, und alsdann
bringt ihn der kriechende Poete in die Tiefe.
Er zeiget ihm alle Gemächer des Bathos. Er
führet ihn in die finsteren Keller derer Grob-
und Klein-Schmiede. Endlich kriecht er mit
ihm, wenn ers ausdauren kann, in die Abgrün-
de der versinkenden Dichter, sie mögen nun in
einen Schlamm, oder in einen leeren Raum
versinken. Wird dem erhabenen Poeten übel:
So löset der kriechende geschwinde den Sattel-
gurt auf, und der erhabene Poete hebet sich au-
genblicks aus der Tiefe in die Höhe. Dieses
ist die Ursache, warum die kriechenden Poeten
manchmal einen hohen Gedanken einstreuen,
der doch nicht auf ihrem Mistbeete gewachsen,
sondern sie ihn bey obbeschriebener Luftfahrt,
als einen erwischten Raub, mit herunter gebracht;
desgleichen, warum manchem erhabenen Poe-

ten
J

vor der erhabenen Dichterey.
umgehen koͤnnen, ob ſie gleich beyderſeits ganz
contraire Meynungen haben, iſt dieſer: Es
nimmt der erhabene Poete den kriechenden auf
ſeinen Ruͤcken, ſackt ihn da auf, und faͤhret
mit ihm in die Hoͤhe,
nachher bringt er ihn
durch einen geſchwinden Flug wieder in die Tie-
fe, und ſetzet ihn ſanft auf die Erde. Wollte
der erhabene Poete gern wiſſen, wie es im Ab-
grunde
ausſehe: So klettert der kriechende Poe-
te ſo weit bergan, als er Luft holen kann; als-
dann leihet er dem erhabenen Poeten ſeinen Ruͤk-
ken zum Sattel, laͤßt ihn auf ſolchen veſt an-
ſchnuͤren, daß er nicht von der Luft, wegen ſei-
ner Leichte, herausgehoben werde, und alsdann
bringt ihn der kriechende Poete in die Tiefe.
Er zeiget ihm alle Gemaͤcher des Bathos. Er
fuͤhret ihn in die finſteren Keller derer Grob-
und Klein-Schmiede. Endlich kriecht er mit
ihm, wenn ers ausdauren kann, in die Abgruͤn-
de der verſinkenden Dichter, ſie moͤgen nun in
einen Schlamm, oder in einen leeren Raum
verſinken. Wird dem erhabenen Poeten uͤbel:
So loͤſet der kriechende geſchwinde den Sattel-
gurt auf, und der erhabene Poete hebet ſich au-
genblicks aus der Tiefe in die Hoͤhe. Dieſes
iſt die Urſache, warum die kriechenden Poeten
manchmal einen hohen Gedanken einſtreuen,
der doch nicht auf ihrem Miſtbeete gewachſen,
ſondern ſie ihn bey obbeſchriebener Luftfahrt,
als einen erwiſchten Raub, mit herunter gebracht;
desgleichen, warum manchem erhabenen Poe-

ten
J
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0137" n="129"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">vor der erhabenen Dichterey.</hi></fw><lb/>
umgehen ko&#x0364;nnen, ob &#x017F;ie gleich beyder&#x017F;eits ganz<lb/>
contraire Meynungen haben, i&#x017F;t die&#x017F;er: Es<lb/>
nimmt der erhabene Poete den kriechenden auf<lb/>
&#x017F;einen Ru&#x0364;cken, &#x017F;ackt ihn da auf, und <hi rendition="#fr">fa&#x0364;hret<lb/>
mit ihm in die Ho&#x0364;he,</hi> nachher bringt er ihn<lb/>
durch einen ge&#x017F;chwinden Flug wieder in die Tie-<lb/>
fe, und &#x017F;etzet ihn &#x017F;anft auf die Erde. Wollte<lb/>
der <hi rendition="#fr">erhabene</hi> Poete gern wi&#x017F;&#x017F;en, wie es im <hi rendition="#fr">Ab-<lb/>
grunde</hi> aus&#x017F;ehe: So klettert der kriechende Poe-<lb/>
te &#x017F;o weit bergan, als er Luft holen kann; als-<lb/>
dann leihet er dem erhabenen Poeten &#x017F;einen Ru&#x0364;k-<lb/>
ken zum Sattel, la&#x0364;ßt ihn auf &#x017F;olchen ve&#x017F;t an-<lb/>
&#x017F;chnu&#x0364;ren, daß er nicht von der Luft, wegen &#x017F;ei-<lb/>
ner Leichte, herausgehoben werde, und alsdann<lb/>
bringt ihn der kriechende Poete in die <hi rendition="#fr">Tiefe.</hi><lb/>
Er zeiget ihm alle Gema&#x0364;cher des <hi rendition="#aq">Bathos.</hi> Er<lb/>
fu&#x0364;hret ihn in die fin&#x017F;teren Keller derer <hi rendition="#fr">Grob-</hi><lb/>
und <hi rendition="#fr">Klein-Schmiede.</hi> Endlich kriecht er mit<lb/>
ihm, wenn ers ausdauren kann, in die Abgru&#x0364;n-<lb/>
de der <hi rendition="#fr">ver&#x017F;inkenden Dichter,</hi> &#x017F;ie mo&#x0364;gen nun in<lb/>
einen <hi rendition="#fr">Schlamm,</hi> oder in einen <hi rendition="#fr">leeren Raum</hi><lb/>
ver&#x017F;inken. Wird dem erhabenen Poeten u&#x0364;bel:<lb/>
So lo&#x0364;&#x017F;et der kriechende ge&#x017F;chwinde den Sattel-<lb/>
gurt auf, und der erhabene Poete hebet &#x017F;ich au-<lb/>
genblicks aus der <hi rendition="#fr">Tiefe in die Ho&#x0364;he.</hi> Die&#x017F;es<lb/>
i&#x017F;t die Ur&#x017F;ache, warum die kriechenden Poeten<lb/>
manchmal einen <hi rendition="#fr">hohen Gedanken</hi> ein&#x017F;treuen,<lb/>
der doch nicht auf ihrem Mi&#x017F;tbeete gewach&#x017F;en,<lb/>
&#x017F;ondern &#x017F;ie ihn bey obbe&#x017F;chriebener <hi rendition="#fr">Luftfahrt,</hi><lb/>
als einen erwi&#x017F;chten Raub, mit herunter gebracht;<lb/>
desgleichen, warum manchem <hi rendition="#fr">erhabenen Poe-</hi><lb/>
<fw place="bottom" type="sig">J</fw><fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#fr">ten</hi></fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[129/0137] vor der erhabenen Dichterey. umgehen koͤnnen, ob ſie gleich beyderſeits ganz contraire Meynungen haben, iſt dieſer: Es nimmt der erhabene Poete den kriechenden auf ſeinen Ruͤcken, ſackt ihn da auf, und faͤhret mit ihm in die Hoͤhe, nachher bringt er ihn durch einen geſchwinden Flug wieder in die Tie- fe, und ſetzet ihn ſanft auf die Erde. Wollte der erhabene Poete gern wiſſen, wie es im Ab- grunde ausſehe: So klettert der kriechende Poe- te ſo weit bergan, als er Luft holen kann; als- dann leihet er dem erhabenen Poeten ſeinen Ruͤk- ken zum Sattel, laͤßt ihn auf ſolchen veſt an- ſchnuͤren, daß er nicht von der Luft, wegen ſei- ner Leichte, herausgehoben werde, und alsdann bringt ihn der kriechende Poete in die Tiefe. Er zeiget ihm alle Gemaͤcher des Bathos. Er fuͤhret ihn in die finſteren Keller derer Grob- und Klein-Schmiede. Endlich kriecht er mit ihm, wenn ers ausdauren kann, in die Abgruͤn- de der verſinkenden Dichter, ſie moͤgen nun in einen Schlamm, oder in einen leeren Raum verſinken. Wird dem erhabenen Poeten uͤbel: So loͤſet der kriechende geſchwinde den Sattel- gurt auf, und der erhabene Poete hebet ſich au- genblicks aus der Tiefe in die Hoͤhe. Dieſes iſt die Urſache, warum die kriechenden Poeten manchmal einen hohen Gedanken einſtreuen, der doch nicht auf ihrem Miſtbeete gewachſen, ſondern ſie ihn bey obbeſchriebener Luftfahrt, als einen erwiſchten Raub, mit herunter gebracht; desgleichen, warum manchem erhabenen Poe- ten J

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/philippi_reimschmiedekunst_1743
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/philippi_reimschmiedekunst_1743/137
Zitationshilfe: Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/philippi_reimschmiedekunst_1743/137>, abgerufen am 03.05.2024.