Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pfleiderer, Edmund: Kosmopolitismus und Patriotismus. Berlin, 1874.

Bild:
<< vorherige Seite

Beispiel der anderen, zäh-national gesinnten Völker und Völkchen
aus rein germanischem Blut die Voreiligkeit dieses Schlusses leh¬
ren und auf die fatale Geschichte als Hauptursache dieses unseres
Wesens hinweisen können. Hinsichtlich des Rechts zum Patriotis¬
mus haben sogar Stimmen aus unserer eigenen Mitte in verzwei¬
felter Geschichtsphilosophie den kühnen Vergleich mit dem israe¬
litischen Volke gezogen, das seinen verwandten Hang zur Fremd¬
länderei (damals zugleich religiöse Abgötterei) schließlich mit der
Zerstreuung unter alle Nationen büßte. Eine ähnliche Diaspora
zur Belebung der Weltkultur, die Rolle eines Geistesguanos wollte
man, in minder feinem landwirthschaftlichem Bilde, auch als unsre
normale Mission bezeichnen. Vergesse man aber bei diesem flachen
Vergleiche nicht, daß auch Israel, was es Großes geleistet, nicht
als zerstreutes, sondern als zusammengehaltenes (im makkabäischen
Heldenkampf beinahe kulminirendes) Volk für die Menschheitsge¬
schichte gethan hat. -- Außerdem aber mußte doch wahrhaftig schon
vor dem Jahre 1870 gegen solche jammerbare Selbstwegwerfung
unserer Nationalität, gegen ein derartiges Molochsopfer an die
Menschheit, energisch protestiren, wer irgend unter den Deutschen
noch Aesthetik und Ehrgefühl besaß.

Was am Ende, geographisch und geistig, an jener deutschen
Universalität Wahres sein dürfte -- dem Philosophen Fichte hat
es seinerzeit die interessante Brücke bei dem Wechsel seiner An¬
schauungen gebildet -- das mögen wir immerhin und gerne be¬
halten; jetzt, vom festen erkämpften Boden aus haben wir erst
eigentlich ein Recht dazu. Denn in der That, um ein Wort des
größten deutschen Mannes der Gegenwart leicht anzustreifen: der
Kosmopolitismus ist zwar nicht gerade ein Luxus, aber doch
nur ein hinzukommender Schmuck, den sich erst eine durch den
Patriotismus ihrer Bürger starkgefugte und wohlbewehrte
Nation erlauben darf.


Druck von J. Dräger's Buchdruckerei (C. Feicht) in Berlin.

Beiſpiel der anderen, zäh-national geſinnten Völker und Völkchen
aus rein germaniſchem Blut die Voreiligkeit dieſes Schluſſes leh¬
ren und auf die fatale Geſchichte als Haupturſache dieſes unſeres
Weſens hinweiſen können. Hinſichtlich des Rechts zum Patriotis¬
mus haben ſogar Stimmen aus unſerer eigenen Mitte in verzwei¬
felter Geſchichtsphiloſophie den kühnen Vergleich mit dem israë¬
litiſchen Volke gezogen, das ſeinen verwandten Hang zur Fremd¬
länderei (damals zugleich religiöſe Abgötterei) ſchließlich mit der
Zerſtreuung unter alle Nationen büßte. Eine ähnliche Diaſpora
zur Belebung der Weltkultur, die Rolle eines Geiſtesguanos wollte
man, in minder feinem landwirthſchaftlichem Bilde, auch als unſre
normale Miſſion bezeichnen. Vergeſſe man aber bei dieſem flachen
Vergleiche nicht, daß auch Israël, was es Großes geleiſtet, nicht
als zerſtreutes, ſondern als zuſammengehaltenes (im makkabäiſchen
Heldenkampf beinahe kulminirendes) Volk für die Menſchheitsge¬
ſchichte gethan hat. — Außerdem aber mußte doch wahrhaftig ſchon
vor dem Jahre 1870 gegen ſolche jammerbare Selbſtwegwerfung
unſerer Nationalität, gegen ein derartiges Molochsopfer an die
Menſchheit, energiſch proteſtiren, wer irgend unter den Deutſchen
noch Aeſthetik und Ehrgefühl beſaß.

Was am Ende, geographiſch und geiſtig, an jener deutſchen
Univerſalität Wahres ſein dürfte — dem Philoſophen Fichte hat
es ſeinerzeit die intereſſante Brücke bei dem Wechſel ſeiner An¬
ſchauungen gebildet — das mögen wir immerhin und gerne be¬
halten; jetzt, vom feſten erkämpften Boden aus haben wir erſt
eigentlich ein Recht dazu. Denn in der That, um ein Wort des
größten deutſchen Mannes der Gegenwart leicht anzuſtreifen: der
Kosmopolitismus iſt zwar nicht gerade ein Luxus, aber doch
nur ein hinzukommender Schmuck, den ſich erſt eine durch den
Patriotismus ihrer Bürger ſtarkgefugte und wohlbewehrte
Nation erlauben darf.


Druck von J. Dräger's Buchdruckerei (C. Feicht) in Berlin.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0050" n="40"/>
Bei&#x017F;piel der anderen, zäh-national ge&#x017F;innten Völker und Völkchen<lb/>
aus rein germani&#x017F;chem Blut die Voreiligkeit die&#x017F;es Schlu&#x017F;&#x017F;es leh¬<lb/>
ren und auf die fatale Ge&#x017F;chichte als Hauptur&#x017F;ache die&#x017F;es un&#x017F;eres<lb/>
We&#x017F;ens hinwei&#x017F;en können. Hin&#x017F;ichtlich des Rechts zum Patriotis¬<lb/>
mus haben &#x017F;ogar Stimmen aus un&#x017F;erer eigenen Mitte in verzwei¬<lb/>
felter Ge&#x017F;chichtsphilo&#x017F;ophie den kühnen Vergleich mit dem israë¬<lb/>
liti&#x017F;chen Volke gezogen, das &#x017F;einen verwandten Hang zur Fremd¬<lb/>
länderei (damals zugleich religiö&#x017F;e Abgötterei) &#x017F;chließlich mit der<lb/>
Zer&#x017F;treuung unter alle Nationen büßte. Eine ähnliche Dia&#x017F;pora<lb/>
zur Belebung der Weltkultur, die Rolle eines Gei&#x017F;tesguanos wollte<lb/>
man, in minder feinem landwirth&#x017F;chaftlichem Bilde, auch als un&#x017F;re<lb/>
normale Mi&#x017F;&#x017F;ion bezeichnen. Verge&#x017F;&#x017F;e man aber bei die&#x017F;em flachen<lb/>
Vergleiche nicht, daß auch Israël, was es Großes gelei&#x017F;tet, nicht<lb/>
als zer&#x017F;treutes, &#x017F;ondern als zu&#x017F;ammengehaltenes (im makkabäi&#x017F;chen<lb/>
Heldenkampf beinahe kulminirendes) Volk für die Men&#x017F;chheitsge¬<lb/>
&#x017F;chichte gethan hat. &#x2014; Außerdem aber mußte doch wahrhaftig &#x017F;chon<lb/>
vor dem Jahre 1870 gegen &#x017F;olche jammerbare Selb&#x017F;twegwerfung<lb/>
un&#x017F;erer Nationalität, gegen ein derartiges Molochsopfer an die<lb/>
Men&#x017F;chheit, energi&#x017F;ch prote&#x017F;tiren, wer irgend unter den Deut&#x017F;chen<lb/>
noch Ae&#x017F;thetik und Ehrgefühl be&#x017F;aß.</p><lb/>
      <p>Was am Ende, geographi&#x017F;ch und gei&#x017F;tig, an jener deut&#x017F;chen<lb/>
Univer&#x017F;alität Wahres &#x017F;ein dürfte &#x2014; dem Philo&#x017F;ophen Fichte hat<lb/>
es &#x017F;einerzeit die intere&#x017F;&#x017F;ante Brücke bei dem Wech&#x017F;el &#x017F;einer An¬<lb/>
&#x017F;chauungen gebildet &#x2014; das mögen wir immerhin und gerne be¬<lb/>
halten; jetzt, vom fe&#x017F;ten erkämpften Boden aus haben wir er&#x017F;t<lb/>
eigentlich ein Recht dazu. Denn in der That, um ein Wort des<lb/>
größten deut&#x017F;chen Mannes der Gegenwart leicht anzu&#x017F;treifen: der<lb/><hi rendition="#g">Kosmopolitismus</hi> i&#x017F;t zwar nicht gerade ein Luxus, aber doch<lb/>
nur ein hinzukommender Schmuck, den &#x017F;ich er&#x017F;t eine durch den<lb/><hi rendition="#g">Patriotismus</hi> ihrer Bürger &#x017F;tarkgefugte und wohlbewehrte<lb/>
Nation erlauben darf.</p><lb/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
    </body>
    <back>
      <div type="imprint">
        <p rendition="#c">Druck von J. Dräger's Buchdruckerei (C. <hi rendition="#g">Feicht</hi>) in Berlin.</p><lb/>
      </div>
    </back>
  </text>
</TEI>
[40/0050] Beiſpiel der anderen, zäh-national geſinnten Völker und Völkchen aus rein germaniſchem Blut die Voreiligkeit dieſes Schluſſes leh¬ ren und auf die fatale Geſchichte als Haupturſache dieſes unſeres Weſens hinweiſen können. Hinſichtlich des Rechts zum Patriotis¬ mus haben ſogar Stimmen aus unſerer eigenen Mitte in verzwei¬ felter Geſchichtsphiloſophie den kühnen Vergleich mit dem israë¬ litiſchen Volke gezogen, das ſeinen verwandten Hang zur Fremd¬ länderei (damals zugleich religiöſe Abgötterei) ſchließlich mit der Zerſtreuung unter alle Nationen büßte. Eine ähnliche Diaſpora zur Belebung der Weltkultur, die Rolle eines Geiſtesguanos wollte man, in minder feinem landwirthſchaftlichem Bilde, auch als unſre normale Miſſion bezeichnen. Vergeſſe man aber bei dieſem flachen Vergleiche nicht, daß auch Israël, was es Großes geleiſtet, nicht als zerſtreutes, ſondern als zuſammengehaltenes (im makkabäiſchen Heldenkampf beinahe kulminirendes) Volk für die Menſchheitsge¬ ſchichte gethan hat. — Außerdem aber mußte doch wahrhaftig ſchon vor dem Jahre 1870 gegen ſolche jammerbare Selbſtwegwerfung unſerer Nationalität, gegen ein derartiges Molochsopfer an die Menſchheit, energiſch proteſtiren, wer irgend unter den Deutſchen noch Aeſthetik und Ehrgefühl beſaß. Was am Ende, geographiſch und geiſtig, an jener deutſchen Univerſalität Wahres ſein dürfte — dem Philoſophen Fichte hat es ſeinerzeit die intereſſante Brücke bei dem Wechſel ſeiner An¬ ſchauungen gebildet — das mögen wir immerhin und gerne be¬ halten; jetzt, vom feſten erkämpften Boden aus haben wir erſt eigentlich ein Recht dazu. Denn in der That, um ein Wort des größten deutſchen Mannes der Gegenwart leicht anzuſtreifen: der Kosmopolitismus iſt zwar nicht gerade ein Luxus, aber doch nur ein hinzukommender Schmuck, den ſich erſt eine durch den Patriotismus ihrer Bürger ſtarkgefugte und wohlbewehrte Nation erlauben darf. Druck von J. Dräger's Buchdruckerei (C. Feicht) in Berlin.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pfleiderer_kosmopolitismus_1874
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pfleiderer_kosmopolitismus_1874/50
Zitationshilfe: Pfleiderer, Edmund: Kosmopolitismus und Patriotismus. Berlin, 1874, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pfleiderer_kosmopolitismus_1874/50>, abgerufen am 03.12.2024.